Essen. Die eigenen Träume nach dem Aufwachen zu deuten, ist meist wenig sinnvoll. Wir erklären, warum sich das nächtliche Kopfkino trotzdem lohnt.
Gerade ist man noch im Eiltempo durch den Dschungel gelaufen, auf der Flucht vor kindskopfgroßen Moskitos. Und plötzlich wacht man auf, noch schweißgebadet – aber im eigenen Bett, in den eigenen vier Wänden. Und man fragt sich, wie schon so häufig: Was war das denn wieder für ein Quatsch? Und wie soll das denn nun wieder interpretiert werden, was einem im Schlaf durch den Kopf gegangen ist?
Träume und Traumwelten beschäftigen die Menschen schon seit jeher. Und das liegt auch ziemlich nahe: Schließlich wird rund ein Drittel des Lebens verschlafen – und somit auch verträumt. Ganz gleich, ob nun Kindheitserinnerungen wieder aufblitzen, sich in einer Parallelrealität Karrierechancen als Rockstar auftun oder eine alltägliche Arbeitsroutine im Traum zur unbezwingbaren Aufgabe wird: Häufig fühlen sich Träume und Traumerinnerungen so real an, sie müssten doch auch irgendwie eine direkte Verbindung zum Wach-Ich haben. Oder etwa nicht?
Wandel der Deutung
Die Einordnung von Träumen hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. In der Antike glaubte man, in Träumen Göttern zu begegnen, die einem dann Tipps und Tricks zur Bewältigung von Lebensfragen einflüsterten. Im Mittelalter hingegen überwog die Auffassung, sie seien ein Ventil teuflischer Kräfte. Der vernunftorientierte Blick der Aufklärung verurteilte die nächtlichen Bilder als Ausdruck reiner Unvernunft. Dies änderte sich wieder in den schwelgerischen Zeiten der Romantik: Träume wurden nun als eine literarische Form des (Er-)Lebens verstanden und idealisiert.
Als schließlich Sigmund Freud 1899 sein Werk „Die Traumdeutung“ veröffentlichte, stellte er damit zumindest die westliche Sicht auf das nächtliche Treiben auf den Kopf. Er glaubte, mit der Entwicklung der Psychoanalyse und der Entdeckung des Unbewussten in den Träumen einen Schlüssel zu inneren Vorgängen des Individuums gefunden zu haben. Und daraus entstand dann eine Fülle angeblich allgemeingültiger Traumsymbole. Doch bedeuten ausfallende Zähne tatsächlich die Angst vor einem Verlust im Privaten? Ist eine geträumte Geburt ein Zeichen für einen Neuanfang? Und ist es deswegen ein intimer Einblick in das eigene Ich, wenn man den Arbeitskollegen von seinem letzten Traum erzählt?
Keine Interpretation nötig
Gerhard Klösch ist da anderer Meinung. Er ist Schlaf- und Traumforscher an der Universitätsklinik für Neurologie in Wien. Seine Theorie: „Dass wir uns an Träume erinnern, ist einfach nur ein Unfall.“ Unsere Träume seien bildhaft und nach dem Aufwachen würden sie rekonstruiert und verbal weitergegeben. „Der Mensch versucht, den Träumen einen Sinn zu geben – in derselben Struktur wie im Wachzustand. Dabei sollte man das im Traum Erlebte einfach so für sich nehmen.“ Häufig hebeln wir im Traum ja auch Zeit und Raum und sämtliche Naturgesetze aus. Und genau das, was so oft als der fantastische Moment in den eigenen Traumwelten wahrgenommen wird, wird über das sprachliche Korsett und den Drang zum linearen Deuten wieder zerstört. Schade eigentlich – ist das eigene Kopfkino doch so etwas Besonderes.
Pragmatische Grundlagen
Nach Freuds psychoanalytischer Deutung war ein wichtiger Meilenstein für die Traumforschung die Entdeckung der sogenannten REM-Phase im Jahr 1953. Der gehirnphysiologische Ansatz indes brachte eine pragmatischere Herangehensweise ins Spiel. Die Gehirnaktivität ist in dieser Schlafphase ähnlich wie im Wachzustand – und wir träumen am intensivsten. Die Augen bewegen sich unter den geschlossenen Lidern, dafür ist die gesamte Körpermuskulatur nahezu gelähmt – damit die Traumbewegungen nicht im Schlaf ausgeführt werden.
Auch wenn während des gesamten Schlafs geträumt wird, hat diese Phase wahrscheinlich eine besondere Funktion: „Wir denken, dass die Nicht-REM-Schlafphase zum Reparieren der Hardware, also für den Körper, zuständig ist“, vermutet Gerhard Klösch, „die REM-Phase hingegen für die Software, also emotionale und psychologische Bearbeitungsmuster.“ Das sorge für eine Psychohygiene und emotionale Gesundheit.
Keine eindeutigen Zusammenhänge
Was aber nicht unbedingt bedeutet, dass Menschen, die weniger träumen, psychisch instabiler sind. Ein Beispiel dafür sind Antidepressiva: Diese unterdrücken den REM-Schlaf, aber viele Patienten fühlen sich trotzdem besser. So eindeutig sind die Zusammenhänge eben nicht.
Träume zu erforschen ist somit ein nicht so ganz einfaches Unterfangen. Schließlich kann man den Träumenden nicht komplett in den Kopf schauen. Auch wenn die Wissenschaft genau dies versucht: durch das Messen von Gehirnströmen abzubilden, was von den Schlafenden gerade geträumt wird. Klingt spannend und beängstigend zugleich. Klösch winkt aber ab: „Wenn wir Elektroden an den Kopf bringen, ist das so, wie wenn wir Mikrofone ins Auto hängen. Wir können nicht hören, wo es hinfährt. Aber wir können vielleicht noch den Benzinverbrauch feststellen.“ Kurzum: Den Träumen komplett auf die Spur zu kommen, das ist höchstens Zukunftsrauschen.
Wie ein spannender Reisebericht
Aber auch wenn man nicht genau weiß, was die eigenen Träume denn nun bedeuten sollen oder wofür sie gut sind – man sollte sie einfach unvoreingenommen begrüßen. Das findet auch Gerhard Klösch: „Ich bin dafür, dass man ihnen den Erlebnisgehalt wiedergibt, wie bei einem spannenden Reisebericht. Wir sollten den Träumen die Unschuld zurückgeben.“
>> MIT KLARTRÄUMEN LÄSST SICH DAS KOPFKINO BEWUSST STEUERN
Die Vorstellung klingt wahnsinnig gut: Wenn ich gerade nicht das nötige Kleingeld für eine Reise nach Australien habe – warum träume ich mich nicht bewusst ins Land der Kängurus und Koalas? Und auch wenn George mit Amal Clooney verheiratet ist – im Traum mit dem Schauspieler durchzubrennen, wird ja wohl erlaubt sein.
In Albträume eingreifen
Mit der Technik des Klarträumens soll so etwas mehr oder weniger möglich sein. Was das genau bedeutet? Nun: Sobald einem bewusst wird, dass man gerade träumt, kann man auch in diesen Traum eingreifen. Und dann eben einfach aus dem Fenster fliegen. Doch dazu bedarf es einer gewissen Übung – und man sollte sich im Wachzustand mit den eigenen Träumen beschäftigen und so Traum- und Wachrealität bewusst voneinander abgrenzen. Helfen kann etwa, sich im Wachzustand ein Zeichen auf den Handrücken zu malen und regelmäßig draufzuschauen. Wenn das zur Gewohnheit geworden ist, wird man das vielleicht auch im Traum versuchen – und feststellen, dass dieses Zeichen nicht da ist und man sich also im Traumzustand befindet.
Großer Unterhaltungswert
Das Beherrschen des Klarträumens kann nicht nur einen großen Unterhaltungswert für den jeweiligen Schlafenden haben. So kann die Technik gegen Albträume helfen – wichtig für traumatisierte Menschen, deren Albträume unglaublich belastend sein können. Sportler versuchen, mittels Klarträumen ihre motorischen Leistungen zu steigern, indem sie im Traum bestimmte Bewegungsabläufe trainieren und so ihre Technik verfeinern.
Bei Klarträumern wurde ein vergrößertes vorderes Stirnhirn festgestellt – der sogenannte anteriore präfrontale Kortex. Dieser Bereich steuert bewusste kognitive Prozesse: Dazu gehört neben Kreativität auch das Denken über das Denken – die Metakognition.
Eine Henne-Ei-Frage
Doch wird man durch das Klarträumen reflektierter oder kann man nur als reflektierter Mensch klarträumen? Das ist wieder eine dieser Henne-Ei-Fragen, die einem den Kopf zerbrechen könnte. Dann doch lieber schnell ins All fliegen und mit „Star Wars“-Held Han Solo einen Drink einnehmen.