Essen. . Ob Turnvater Jahn, Fürst Pückler oder das Olympische Komitee: Was als Sport interpretiert wird und was nicht, wandelte sich im Laufe der Zeit.

Die spinnen, die Engländer! Unerhörtes berichtete um 1830 Hermann Fürst von Pückler-Muskau von der britischen Insel aus in die mitteldeutsche Heimat: Die Menschen dort machten keine Leibesübungen, sie trieben in ihrer Freizeit etwas, das sich „Sport“ nannte. Wenn das Turnvater Jahn wüsste … Verrückt! Unterschiedlichste „Vergnügungen“ würden diese Leute mit „Leidenschaft“ und „Geschick“ treiben: „Boxen, Pferderennen, Entenschießen, Fuchshetzen, Hahnenkämpfe etc., alles ist Sport.“

Brozeplatte, die an Fürst Pückler erinnert.
Brozeplatte, die an Fürst Pückler erinnert. © Patrick Pleul

Vergleichbar Verrücktes aus den USA berichteten die Zeitungen im Jahr 1980: Tausende Jugendliche versammelten sich in New York vor Fernsehgeräten, um mit Hilfe eines Steuerknüppels und eines Druckknopfes über die Bildschirme flimmernde Monster aus dem All abzuschießen. Das Ganze nannte sich „National Space Invaders Championship“, die Gewinnerin Rebecca Heinemann daddelte im Finale einen „Highscore“ von 165 200 Punkten zusammen. Doch ist gemeinsames Videospielen, neudeutsch: „Gaming“, wirklich ein Sport? (Siehe Interview rechts.)

Ist das noch Hobby oder schon Sport?

Seit Fürst Pücklers ersten Versuchen, den Deutschen das Prinzip „Sport“ zu erklären, ist der Meinungsstreit darüber, was eine Sportart ist, fast schon selbst zur Sportart mutiert. Bei Briefmarkensammeln, Buddelschiffbasteln oder Runkelrübenzüchten mag es noch einfach sein — diese Tätigkeiten sträuben sich gegen die Versportung und gelten international als Hobby.

Zauberwürfellösen kann ein Sport sein.
Zauberwürfellösen kann ein Sport sein. © Lutz von Staegmann

Vielleicht ja, weil man sich dabei nicht bewegen muss? Tatsächlich ist es bei Disziplinen wie Zauberwürfellösen beim Jonglieren, Sumpfschnorcheln oder dem Dauerlauf in lebenden Mänteln aus Bienen schon schwieriger, den Betreibern mangelnden sportlichen Ehrgeiz vorzuwerfen.

Strategisches Geschick oder Kombinationsgabe spielen natürlich auch eine Rolle, nicht nur beim Mannschaftssport. Nicht umsonst redet man ja vom „Denksport“ – seit 2008 werden sogar parallel zur Olympiade die „Weltdenksportspiele“ veranstaltet, mit Bridge, Dame, Go und europäischem sowie chinesischem Schach. Das Internationale Olympische Komitee selbst allerdings will von Brett- oder Kartenspielen bisher nichts wissen.

Bei den olympischen Spielen in der Antike, die von 776 vor bis 393 nach Christus abgehalten wurden, standen Lauf- und Pferdesportwettbewerbe, Fünfkampf und Schwerathletik auf dem Plan.

Als 1894 in Athen die ersten olympischen Spiele der Neuzeit veranstaltet werden sollten, stritten Sportfunktionäre im Vorfeld erbittert über erlaubte Disziplinen. Fußball und Kricket waren am Ende nicht mit dabei, Radfahren und Tennis schafften es dagegen – und interessanterweise auch das „Turnen“.

So wurde im Panathinaiko-Stadion zu Füßen der Akropolis kurioserweise an Ringen, Pferd und Tau um Medaillen gerungen, unter aktiver Teilnahme deutscher Turner. Das wiederum brachte ihnen am Ende einen Verweis des heimischen Dachverbandes ein. Denn das „Schneller, höher, weiter“-Prinzip der Olympioniken galt als ungesund, unsozial und auch als grässlich anzusehen, mit andere Worten: Leistungssport hielten die Jahnhallen-Jünger für komplett verrückt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Begriff „Sport“ immerhin schon seit einigen Jahren Aufnahme in den Duden wie auch in Meyers Konversations-Lexikon gefunden. Dort allerdings mit dem Zusatz, wesentliches Merkmal sei, dass die „Ausübung nicht um des Gelderwerbs wegen geschieht“.

Unsportliche Bezahlung

Es klingt aus heutiger Sicht irre, doch Sport als bezahlte Arbeit, das galt früher schlicht als unsportlich — oder auch als „Nicht-Sport“. Doch tatsächlich blieb selbst die Fußballbundesliga bis in die Sechzigerjahre nur Amateuren vorbehalten, Berufsfußballern bei der bezahlten Ballkunst auf dem Rasen zuzuschauen, war für viele Zeitgenossen nur schwer vorstellbar.

Der Trend macht’s

Heutzutage ist die Trennung zwischen Amateur- und Profisport ebenso wie zwischen „Breitensport“ und „Leistungssport“ nur noch eine Formalie. Was auch bedeutet: Spätestens wenn Sponsoren Geld geben, ein Verein dahintersteht und die Medien berichten, kann fast jede denkbare Betätigung zur gesellschaftlich akzeptierten Trendsportart werden. Ganz egal, ob man Fackeln mit der Zunge löscht, mit einer Peitsche Bauklötze aus Yenga-Türmen stößt oder Rückwärtssalti mit dem Fahrrad vollführt.

Schon Fürst Pückler sah das übrigens ähnlich locker – der begeisterte Reiter stellte so manchen verrückten Rekord im Eilreiten auf. Und sprang auch schon mal mitsamt Pferd von einer Elbbrücke. Getreu dem Motto: „Alles ist Sport!“

>>> Warum wir uns für welche Sportart entscheiden

Professor Dr. Thomas Alkemeyer ist Soziologe am Institut für Sportwissenschaft an der Universität Oldenburg. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Soziologie des Körpers und des Sports. Kathrin Gemein sprach mit ihm über Aspekte bei der Sportauswahl.

Herr Alkemeyer, was gilt als Sport und was nicht – wo zieht man da die Grenze?

Ein zentrales Kriterium ist, dass eine Leistung um ihrer selbst willen mit den Kräften des eigenen Körpers erbracht wird. Sie kann hier nicht delegiert werden.

Und wie passen in diese Beschreibung Schach oder Gaming?

Thomas Alkemeyer.
Thomas Alkemeyer. © Robert Mitschke

Das sind in der Tat viel diskutierte Grenzfälle. Aktuelle Diskussionen drehen sich beispielsweise darum, ob Gaming olympisch werden könnte. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) lehnte das bislang mit dem Argument ab, es fehle eine „sportbestimmende motorische Aktivität“. Sportwissenschaftler sehen dies anders: Computerspieler erreichten tippend und klickend vor ihren Bildschirmen Cortisolwerte und Herzfrequenzen wie herkömmliche Spitzensportler. Man könne Gaming mithin als Sport anerkennen.

Welche unterschiedlichen Kategorien von Sport gibt es?

Gängig ist die Unterscheidung zwischen einem auf Überbietung angelegten Leistungssport und einem Breitensport, in dem Spaßorientierung und Geselligkeit im Vordergrund stehen. Die heutige Sportlandschaft ist aber weiter ausdifferenziert: Es gibt den an Prävention und Rehabilitation orientierten Gesundheitssport, einen posttraditionalen, stark mit der Popkultur sich mischenden Sport, etwa den urbanen Straßensport wie Skateboarding, BMX-Radfahren oder Parkour.

Was sagt die Wahl der Sportart über den jeweiligen Sportler aus?

Soziologisch gibt es einen recht deutlichen Zusammenhang zwischen der Wahl einer Sportart und der sozialen Herkunft oder detaillierter: der Milieuzugehörigkeit. In modernen Gesellschaften sind die Mittelschichten im Sport insgesamt deutlich überrepräsentiert

Woran liegt das?

Das hängt mit Einstellungen beispielsweise zu Leistung oder dem eigenen Körper zusammen. Der Körper gilt gerade in den Mittelschichten als eine Art Visitenkarte der Person: Am Körper zeigt sich aus dieser Sicht, ob eine Person selbstdiszipliniert ist, ob sie die eigenen Bedürfnisse im Griff hat. Zudem sind Körper und Sport gerade in mittleren Milieus Medien der sozialen Unterscheidung und Abgrenzung vor allem nach ‚unten‘. So haben zum Beispiel Sportarten wie Leichtathletik oder Tennis in unserer Gesellschaft ein vergleichsweise hohes Sozialprestige.

Wie sieht das dann außerhalb der Mittelschichten aus?

Plakativ zugespitzt gelten als typische Sportarten der sogenannten unteren Schichten solche, in denen der ganze Körper mit seiner ganzen Kraft eingesetzt wird: Ringen, Boxen, Eishockey. Sportarten also, die sich zugleich durch ein Bild traditioneller Männlichkeit auszeichnen. In den Sportarten der sogenannten höheren Schichten wird weniger der Körper in seiner gesamten Kraft eingesetzt, sondern er wird auf eine als fein und elegant geltende, stilisierte, zurückgenommene Art und Weise ins Spiel gebracht – wie im Golf oder beim Dressurreiten.

Und warum begeistern sich manche für Leistungssport und andere für Bubble-Fußball?

Eine gute Frage. Ich glaube, das schließt sich gar nicht immer aus. Sich für lokale Traditionen, das Authentische und Einfache oder deren Neuerfindungen zu begeistern und auch spie­lerisch zu reinszenieren, ist seit Jahren en ­vogue, vor allem in den mittleren sozialen Lagen, also dort, wo auch Leistung etwas gilt. Man kann die vermeintlichen Traditionen auch ironisch gebrochen wiederentdecken. Das ist dann eine Art intellektuelle Verfeinerung. Womöglich geht es einfach auch nur darum, zeitweilig einmal Kind zu sein, sich gewissermaßen selbst zu infantilisieren, komplementär zu den Leistungserwartungen, denen man sich sonst konfrontiert sieht.

>>>Kuriose Sportarten: Sumpfschnorcheln

Ziel des Spiels ist es, nicht zu verzweifeln und tapfer einen kalten, sumpfigen Graben nur per Schwimmflosse an den Füßen hin und zurück zu schnorcheln, insgesamt 110 Meter. Normales Schwimmen ist nicht erlaubt bei dieser Sportart, die in einem morastigen walisischen Kaff namens Llanwrtyd Wells erfunden wurde, warum auch immer. Profi-Schlammtaucher brauchen dafür bei der ebenfalls in Wales ausgetragenen „World Bog Snorkelling Championship“ knapp 90 Sekunden. Obwohl es weltweit zahllose Sümpfe gibt, werden sie in sportlichem Wettkampf außerhalb von Wales nur sehr sporadisch durchschnorchelt. anwa

Muggle-Quidditch: von Besen und Gürtelsocken

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© wabo/zumapress

Ziel des Spiels ist es, den Quaffel-Ball in eines der drei Tore der Gegner zu befördern. Verantwortlich dafür sind die Jäger, die es dabei mit den gegnerischen Treibern zu tun bekommen, deren Klatscher-Bällen sie ausweichen müssen. Gleichzeitig machen die Sucher Jagd auf den neutralen „Snitch Runner“, um ihm spielverkürzend einen Tennisball zu entreißen. Hinderlich bei alldem: die Besen zwischen den Beinen. Vorbild ist nämlich das Hexen-Quidditch aus der Welt von Joanne K. Rowlings literarischem Zauberlehrling „Harry Potter“ – wo das Ganze obendrein im freien Flug abläuft. frei

Boßeln: zügiges Klootschießen

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© dpa

Ziel des Spiels ist es, eine Kugel, die sogenannte Boßel, möglichst zügig, also in möglichst wenigen Würfen, über eine im Vorfeld vereinbarte Strecke zu werfen. Wie und wo diese Strecke verläuft, über Feld oder Straße oder gar durchs Gebirge, das kennt von Land zu Land, teils von Region zu Region sogar noch mehr Varianten als das mal als Krugeln (Schweiz), mal als Bocciaforte (Italien), mal als Klootschießen bekannte Spiel Namen hat. Den Weltrekord für den weitesten Wurf hält mit 106,2 Metern derzeit ein Friese. Kein Wunder: Dort darf man zum Abwerfen eine kleine Holzrampe nutzen. frei

Unterwasserhockey: bleierner Puck

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© PA/SzPhoto

Ziel des Spiels ist es, einen knapp anderthalb Kilo schweren bleiernen Puck im Tor des Gegners unterzubringen – ganz wie beim im besten Wortsinn landläufigeren Pendant. Im mitunter hektischen Kampf mit Puck, Gegner und Sauerstoffpegel kann so einiges schiefgehen, daher sind die Spieler anders als die Kollegen auf dem Feld bestens eingepackt: Mund- und Ohrschutz sind ebenso verbindlich wie Taucherbrille und Schnorchel, hinzu kommen Handschuhe und Flossen. Unterwasserhockey ist unter keinen Umständen mit dem erst seit 2007 gepflegten Unterwassereishockey zu verwechseln. frei

Crossgolf: Abschlag in freier Wildbahn

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Ziel des Spiels ist wie beim normalen Golf, den Ball mit einer festgelegten Anzahl von Schlägen in ein Loch oder zumindest in die Nähe eines Loches zu befördern – höchstens eine Schlägerlänge entfernt. Crossgolf gab es bereits, bevor mit dem „Old Course“ im schottischen St. Andrews der erste Golfplatz überhaupt gegründet wurde. Als „Urban Golf“ gewinnt es aktuell rund um den Globus viele Anhänger – wer braucht dazu schon einen elitären Golfclub-Rasen, wenn es auch die Abraumhalde tut? (Aber nicht erwischen lassen!) Für den Abschlag nimmt man das Originalgerät, der Ball ist hingegen weicher als ein normaler Golfball. frei

Bubble-Fußball: gepolsterter Kontaktsport

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© PA/Pixsell

Ziel des Spiels ist es, Tore zu schießen. Na, so was. Das läuft im Prinzip wie bei der Urform der schönsten Nebensache der Welt – nur dass den Spielern die aufblasbaren PVC-Bälle in die Quere kommen, die sie sich über den Oberkörper gestülpt haben. Deren Durchmesser von rund anderthalb Metern schafft zwar eine wunderbar knautschige Knautschzone, macht jeder ernst zu nehmenden Technik am Ball aber einen Strich durch die Rechnung. Stellungsspiel ist also alles – nicht zuletzt, weil man den Gegner nach Lust und Laune wegschubsen darf. Bubble-Fußball ist also ein echter Kontaktsport. frei