Essen. . Leser erinnern sich an ihre Pöhler-Zeit auf Asche, in Hochhaus-Siedlungen oder Affenkäfigen. Ein Plädoyer für den Bolzplatz als Weltkulturerbe.
Der Bolzplatz soll immaterielles Weltkulturerbe werden, das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund hat den Antrag bei der Unesco gestellt. Das war – siehe rechts – für uns der Steilpass, Sie nach Ihrer Pöhler-Jugend zu fragen.
Vielen Dank für die zahlreichen Zuschriften! Da werden Erinnerungen wach: an Zeiten, in denen es kein schlechtes Wetter gab, als man notfalls auch barfuß auf Tore aus Jacken oder Taschen schoss und der Kakao nach der Partie gegen die Straßenmannschaft der Nachbarschaft einem glücklich machenden Pokal glich.
Wir zeigen, in Auszügen, eine Auswahl dieser wunderbaren Leser-Geschichten.
Pöhlen an Heiligabend
Nachbarkumpel zusammengetrommelt, und los ging’s nach der Bescherung mit dem neuen Lederball, in kurzer Hose, Stutzen und den alten Pöhlern (Stahlkappe und Stollen, die druntergeschlagen wurden). Schnee bedeckte das kleine Brachland. Vier Balken, ohne Querbalken, waren das Gehäuse. Wir waren heiß darauf, unsere Weihnachtsgeschenke zu präsentieren, neue Stutzen, neue Pöhler oder eben den Lederball, dessen Geruch ich heute noch in der Nase habe – das war kein Kunststoff!
Kälte und Nässe merkten wir nicht. Denn wir waren doch Siggi Held, Lothar „Emma“ Emmerich, Hans Tilkowski, Uwe Seeler – und die froren nun mal nicht.
Die Dunkelheit war schon so weit fortgeschritten, dass wir die Pille kaum noch sehen konnten. Wir mussten leider heim, wo aber schon ein heißer Kakao auf uns wartete. Wir sind heute glücklich und froh, dass wir von der Zeit mit Smartphone und anderen Stubenhockergeräten verschont geblieben sind.
Jürgen Lange aus Dortmund wuchs in Bochum-Langendreer auf
Nach dem Spiel gab es Kakao und Kuchen
Auch wir hatten in den 60er- Jahren einen Bolzplatz mitten in unserer Bergarbeitersiedlung, genannt Schlägel und Eisen in Gladbeck-Zweckel. Der erste Lederball, den ich geschenkt bekommen habe, von meiner Tante, hatte eine dicke Naht – nach dem Aufpumpen musste der Ball noch verschnürt werden. Wenn er nass war und man hat einen Kopfball gemacht, tat das richtig weh. Egal, ich war stolz, dass ich der Erste war, der einen Lederball hatte. Man nannte ihn auch „Kirsche“.
Nachdem meine Straßenschuhe die Sohlen verloren hatten, wurde ein Einmachgummi drumgemacht – und weitergepöhlt. Die ersten Fußballschuhe haben mir meine Eltern gekauft. Die hatten Zwillingsstollen, die musste man mit kleinen Nägeln drunternageln.
Wir haben fast jeden Tag Fußball gespielt, an Wochenenden mit unseren Vätern – das hat vielleicht Spaß gemacht, da meine Mutter nach dem Spiel mit zwei bis drei Blechen Apfelkuchen und Kakao kam. Wir waren meistens acht bis zehn Kinder und genau so viele Väter. Einmal im Monat gab es nach dem Spiel Kartoffelsalat mit Würstchen!
Ich kann nur sagen: Unsere Kindheit war super schön! Vor drei Jahren wurde bei uns in der Siedlung ein Teil des Spielfilms „Landauer“ gedreht, und die haben auch auf unserem Bolzplatz gefilmt. Da wurden alte Erinnerungen wach. Wir haben uns bis spät in die Nacht über früher unterhalten, wie schön es doch auf dem Bolzplatz war – weil alle mitgemacht haben.
Ich wurde leider kein Fußballer, schaue aber leidenschaftlich gerne zu.
Heinz Siepmann, Gladbeck
Gehütet wie eine Wunderperle
Ich bin Jahrgang 39 und wir hatten damals nach dem Krieg keine Bolzplätze bei uns in Essen-Unterfrintrop. An einen Ball zu kommen, war auch nicht leicht. Hatten wir einen, egal aus welchem Material oder in welcher Größe, haben wir ihn gehütet wie eine Wunderperle. Unsere Plätze waren die Straßen. Da hatten wir unsere Ruhe, denn von Verkehr konnte keine Rede sein. Es wurde jedesmal neu gewählt und es war immer gut, nicht zu denen zu gehören, bei denen die Stimme des Aufrufers müde und uninteressiert klang. Das war immer bei den letzten so, die eigentlich keiner wollte.
Weil es keine Schuhe gab, spielten viele Kinder in Holzklotschen oder wie ich barfuß. Wenn Klotschen und Schienbein kollidierten, bedurfte es keiner wohl einstudierten Schwalbe, um eine Leidensschau erster Klasse hinzulegen. Wenn ich aber heute sagen kann, dass ich mein ganzes Leben immer in irgendeiner Form einem Ball hinterhergerannt bin, so ist es genauso gewiss, dass das damals mit dem Pöhlen in Unterfrintrop seinen Anfang genommen hat.
Karl Tißen, Oberhausen
Heilige Zeit samstags auf dem Rasen
Bevorzugter Bolzplatz meines Vaters Franz (*1919) war der Bereich an der Hattinger Straße im Süden Gelsenkirchens, den heute eine Tankstelle belegt. Gern berichtete er über seine Erlebnisse von damals. Demnach trafen sich er, einige seiner älteren sechs Brüder und Freunde aus der Nachbarschaft in den 1930er Jahren auf einer wilden Wiese zum Kick. Der Zweite Weltkrieg zerstörte diese Idylle . . .
Anfang der 50er ließ mein Vater seine Fußballleidenschaft wieder aufleben. Mein Vater, manchmal auch meine Mutter Maria, meine Brüder und ich pilgerten samstagnachmittags zur Sportanlage Halfmannshof, um dort Fußball zu spielen (Foto).
1954 beantragte mein Vater beim Sportamt der Stadt, diese Sportanlage für Freizeitfußball nutzen zu dürfen. Samstags, 14 bis 16 Uhr, war heilige Zeit auf dem früher als Hockeyspielfeld genutzten Rasen. Sportanlage und Freizeitsportgruppe gibt es noch heute!
Michael Beste, Gelsenkirchen
Rote Schienbeinschoner vom Enkel
Täglich komme ich am Bolzplatz Ecke Stift- und Dieckerstraße neben der Astrid-Lindgren-Schule vorbei. Hier hat auch unser Enkel mit seinem Großvater vor 15 Jahren Fußball gespielt. Opa Achim hatte als 14-Jähriger in der Jugend des TSV Brunsbüttel gespielt.
Immer, wenn unser Enkel bei uns war, zogen die beiden mit ihrem Fußball bei Wind und Wetter Richtung Bolzplatz, der manchmal matschig war. Das spielte keine Rolle, Hauptsache, sie konnten spielen. Zum Geburtstag schenkte der Enkel seinem Opa rote Schienbeinschoner, die er natürlich gerne trug. Er war begeistert, dass sein Enkel ebenfalls gerne kickte. Der Enkel ist aber dann doch kein Fußballspieler geworden, sondern Arzt.
Gisela Butzin, Oberhausen
Die Regeln waren einfach: drei Ecken, ein Elfer
Wir haben Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre im Garten in Gronau gepöhlt. Da wir dort keine „richtigen“ Tore hatten – die Pfosten wurden meist aus einer Jacke oder einem Pullover gebildet – wichen wir gerne auf den Bolzplatz in der Nähe aus. Dieser hatte nämlich zwei „richtige“ Tore – natürlich ohne Netz.
Oft spielten wir zu dritt, einer im Tor und zwei gegeneinander. Die Regeln waren einfach. Drei Ecken, ein Elfer. Man kann ja allein keinen Eckball spielen. Gespielt wurde meist, bis der erste zehn Tore geschossen hatte. Im Jahr gab es vier Highlights. Das waren die Meisterschaften um den Frühjahrstitel, Sommer-, Herbst- und Wintertitel. Die Spieler waren: mein jüngerer Bruder Peter, mein bester Freund Lutz von gegenüber und ich. Ab und an nahm mein Freund Jürgen aus der Nachbarschaft teil. Die Meisterschaften wurden immer sehr ernstgenommen.
Leider blieb immer mal wieder meine Jacke oder mein Anorak am Bolzplatz liegen. Das gab zu Hause großen Ärger. Besonders dann, wenn das Kleidungsstück später nicht mehr auffindbar und damit verloren war. Thomas Kolb, Hattingen
Erst die Kartoffeln, dann „bötschen“
Es gab in den Sommerferien Ende der 60er nichts Schöneres, als sich nach dem Frühstück aufs Rad zu schwingen zur „Kirchenwiese“ neben der evangelischen Kirche in Essen-Stoppenberg, um mit den Kumpels den ganzen Tag Fußball zu spielen.
Das Mittagessen war die einzige Unterbrechung. An einem schönen Tag fehlte unser Mittelfeldspieler, weil er zu Hause im Garten helfen musste. Die Order lautete: Erst die Kartoffeln „ausmachen“, dann kannst Du „bötschen“ gehen. Also hieß es „alle Mann ran“, zu sechst auf den Kartoffelacker, danach auf den Bolzplatz.
Da die Anzahl unserer Spieler sehr begrenzt war, brachen wir mit dem Grundsatz: „Keine Mädchen auf dem Bolzplatz!“ Sie wurden aber von den „gestandenen“ Spielern erstmal einem strengen Test unterzogen, aber am Ende für „brauchbar“ befunden.
Beim ersten Auswärtsspiel mit unseren Mädels wurden wir natürlich vom Gegner hämisch belächelt, aber der Erfolg war auf unserer Seite. Kopfballtore und auch einige gewagte Grätschen von ihnen waren keine Seltenheit – damit waren sie in der Mannschaft voll integriert.
Ulrich Matenar, Essen
Immer Ärger mit dem Hausmeister
Unsere Straßenclique bestand aus mehr als 20 Kindern und wir spielten Fußball an allen Ecken. Einen richtigen Bolzplatz gab es bei uns nämlich nicht. Unser Lieblingsplatz war die Schulwiese der Grundschule an der Schubertstraße, zu der die meisten von uns gingen.
Dort hatten wir stets Ärger mit dem Hausmeister. Unsere leicht verfehlten Schüsse trafen manchmal halt ein Fenster der Schule. In Nullkommanix verschwanden wir von der Fußballbildfläche.
Schiss hatten wir schon. Als uns der Hausmeister zur Rede stellte, war es natürlich keiner gewesen. Fußballspielverbot – wurde natürlich nicht eingehalten. Spielen nur noch mit einem leichten Plastikball – wurde natürlich auch nicht eingehalten. Wir ließen uns von Verboten nicht unterkriegen. Wir haben einfach immer weitergemacht.
Andreas Karrenberg, Jahrgang 1969, Heiligenhaus
„Stadion“ mit schwarzer Asche
Ich hatte das große Glück, in einer Straße zu wohnen, in der etliche gleichaltrige Jungs wohnten, die nur eine Leidenschaft pflegten: Fußball. Unser „Stadion“ war ein freier Platz mit schwarzer Asche inmitten von vier stattlichen Häuserblocks – lediglich am Rand von spärlichem Graswuchs begrenzt, wodurch die Position des Links- oder Rechtsaußen sehr beliebt war. Als Torpfosten dienten große Steine oder abgelegte Kleidungsstücke.
Natürlich hatte jeder sein Idol aus der großen Liga, versuchte sogar, dessen Spielstil zu kopieren. Bei mir war es Karl-Heinz Thielen vom 1. FC Köln. So schnitt ich mir aus weißem Stoff eine „7“ aus, die meine Mutter auf ein rotes Shirt nähte. Außerdem war ich blond, trug den Scheitel wie mein Idol. Irgendwann schafften wir es, aus Schwemmholz vom Rhein ein arg instabiles „richtiges“ Tor zu zimmern. Nun wollte jeder einmal Torwart sein. Jedoch wurden unsere Zweikämpfe hin und wieder von Hustenanfällen unterbrochen, da ein naheliegendes Chemiewerk seine gelbe Abgasfahne in den Himmel schickte. Ausgespuckt und weiter!
Mittlerweile haben wir Bolzer, außer einem, die siebte Null erreicht. Und wenn man genau hinschaut, sieht man in meinem Knie noch ein kleines Stück schwarze Asche.
Claus Halama, Duisburg
Sportliche Gemeinsamkeiten mit Weltmeister Mesut Özil
Herzlichen Dank für Ihren tollen Artikel zum „Affenkäfig“. Mit ihm sind all die schönen Erinnerungen zurückgekehrt!
Zum Pöhlen hatten wir vorrangig den Schäfersplatz, der sich zwischen den Stadtteilen Bismarck und Schalke befand und auf dem später das Schalker Gymnasium errichtet wurde.
Auf dem Vormarsch waren zu dieser Zeit die sogenannten „Käfige“, die für die Kinder errichtet worden waren, die auch innerhalb der eng bebauten Wohngebiete dem Fußballsport nachgehen wollten. Und diese Kinder gab es in unserem Umfeld in großer Zahl.
Hier ergibt sich eine Gemeinsamkeit in meiner sportlichen Entwicklung mit Mesut Özil. Wie auch ich hat er Jahrzehnte später als Junge in diesem Käfig an der Olgastraße seine ersten Gehversuche in Sachen Fußball unternommen. Dort standen nun auch halbwegs richtige Tore. Pfosten in Form von Taschen, Steinen und Stangen hatten wir schon auf dem Schäfersplatz, aber eben keine Torlatten!
Zumeist haben wir dann Spiele der Zeit nachgespielt. Dabei haben wir jeweils eine Rolle eines Nationalspielers übernommen. Sehr gut erinnere ich mich noch an die Weltmeisterschaft 1966 in England. Alle hätten natürlich gerne das Tor von Lothar Emmerich nachgestellt, das er beim 2:1 über Spanien erzielt hatte. Leider war der Käfig hier wegen seiner doch geringen Größe ungeeignet. Der eigentliche Grund war allerdings wohl eher, dass uns allen hierfür die notwendige Technik gefehlt hat für Kunststücke solcher Art.
Neben dem Käfig hatten wir die Hofflächen zwischen den viergeschossigen Wohnhäusern. Wenn wir den Ball nicht richtig oder sogar zu gut getroffen hatten und dieser auf angrenzenden Grundstücken landete, gab es zwei Alternativen: Man überwand Mauern und Garagendächer, schoss oder warf den Ball zurück und machte sich schnellstens auf den Weg. Oder man gab Nachbarn Gelegenheit, uns zu stellen. Da konnte man nur kleine Brötchen backen und sich entschuldigen.
Danach hat man sich leicht erschöpft auf den Heimweg und an die Hausaufgaben gemacht, bevor man sich später wieder zum Fußballspielen zusammenfand.
Rudolf Schonhoff, Gladbeck