Essen. . Das Markt- und Schaustellermuseum in Essen zeigt den Besuchern die Traumwelt des Jahrmarkts.

Den Hubschrauber gaben die Schausteller sofort wieder zurück an den Hersteller. Vier Sitze aber nur einer mit Steuerrad? Jedes Kind möchte doch Pilot sein! Und das ganze Karussell nur mit einem Knirps drehen zu lassen, wäre rausgeschmissenes Geld. Die Lösung sieht der Besucher nun im Markt- und Schaustellermuseum in Essen: ein Hubschrauber mit vier Steuerrädern für vier kleine Piloten-Pfoten.

Ursprünglich scmückten Pferde das oben gezeigte Karussell von 1904, so Andrea Stadler.
Ursprünglich scmückten Pferde das oben gezeigte Karussell von 1904, so Andrea Stadler. © Olaf Fuhrmann

Das Museum in einer ehemaligen Maschinenfabrik hat den Charme eines Dachbodens, auf dem man alte Schätze bergen möchte. Wobei man hier nicht suchen muss: Ein skurriles Fundstück steht neben dem nächsten. Der Schausteller Erich Knocke hat hölzerne Pferde und blecherne Motorräder 50 Jahre lang vor der Zerstörung bewahrt, wenn sie für modernere Fahrgeschäfte Platz machen sollten. Ab 1982 standen sie dicht gedrängt in einem Gebäude am Berliner Platz. Ein Paradies für Kinder? „Da durfte man nicht spielen“, erinnert sich Oliver Müller (45) lachend. Sein Großvater Erich Knocke, der 2011 verstarb, wollte die Arbeit der Marktleute vor dem Vergessen bewahren.

Die Vorläufer des Autoscooters

“Zoltar“ aus den USA blickte auf den Jahrmärkten in die Zukunft.
“Zoltar“ aus den USA blickte auf den Jahrmärkten in die Zukunft. © Olaf Fuhrmann

Ehrenamtliche wie Andrea Stadler gelingt das sehr gut. Die pensionierte Französischlehrerin näherte sich für eine Doktorarbeit dem Karussell. Nun steht sie vor einem von 1904. „Früher waren dort große Pferde drauf, für Erwachsene“. Doch sie fanden bald die Vorläufer des Autoscooters spannender: benzinbetriebene Miniautos. Richtige Wagen konnte man sich damals nicht leisten, aber auf der Kirmes mit der kleineren Version rumkurven. Im Vergleich zu heute ging es gemächlich zu. Aber: „Für viele Leute waren die Fahrgeschäfte früher schwindelerregend“, so Stadler. Weil ihnen solche Geschwindigkeiten fremd waren. Müller: „Man hat heute viel schnellere Fahrgeschäfte, weil man das Autofahren kennt.“

„Junger Mann zum Mitreisen gesucht!“, ist auf einem Schild zu lesen. Aber wie kam es überhaupt dazu, dass die Schausteller reisten? Anfangs war der Jahrmarkt, wie der Name schon verrät, ein besonderer Markt, auf den die Menschen sehnlichst warteten. Damit sie den Wanderarzt oder -apotheker um Rat fragen konnten. Wer genug gespart hatte, leistete sich die feine Wolle aus Schottland, den dicken Pelz aus Russland. Und wer nicht so viel Geld hatte, schaute einem echten Bären zu. Wann bekam man solch ein Tier sonst an der Ruhr zu sehen? Nur einmal im Jahr, auf dem Jahrmarkt.

Beim „Hau den Lukas“ kann man seine Kraft messen

Die Eisenbahn – und um 1880 die ersten Kaufhäuser – machten die Märkte für besondere Waren und Dienste überflüssig. Ärzte ließen sich nieder, Apotheker, Banken. Nur das Vergnügen reiste weiter von Ort zu Ort – und brachte den Menschen ein Stück von der weiten Welt.

Die Puppen schmücken einst indonesische Schattenspiele.
Die Puppen schmücken einst indonesische Schattenspiele. © Olaf Fuhrmann

Und das zeigt auch das Museum: In einem Guck-Kasten sieht der Besucher den schiefen Turm von Pisa, ein hölzerner Elefant erinnert an die Kolonialzeit. Beim „Hau den Lukas“ kann man seine Kraft messen . . .

Das Vergnügen dauerte im Ruhrgebiet so lange, bis Ende des 19. Jahrhunderts die Industriellen den Spaß in den Innenstädten verbieten ließen. Stadler: „In der Woche, in der Kirmes war, sind die Leute nicht zur Arbeit gekommen.“

In England drehte sich das Karussell im Uhrzeigersinn

Im Museum steht der Besucher plötzlich vor einer Pferde-Herde. Manche hölzerne Rösser tragen einen echten Schweif. Die geschnitzten Mähnen fliegen mal nach links, mal nach rechts über den langen Hals. Je nachdem, auf welchem Karussell sie mitfuhren. Stadler: „In England drehte sich das Karussell im Uhrzeigersinn.“ In Deutschland gegen ihn. Kinder brauchten hierzulande anfangs eine freie rechte Hand, um wie einst die Ritter mit der Lanze kleine Ringe abzustechen.

Das liebste Ausstellungsstück

Für Ohren und Augen ein Genuss: die Orgel von 1889.
Für Ohren und Augen ein Genuss: die Orgel von 1889. © Olaf Fuhrmann

Nie gehörte Melodien ließ die Orgel erklingen. Doch nicht nur die Musik verzauberte die Menschen ab 1889. Sie konnten sich an diesem Instrument einfach nicht sattsehen: bunte Vögel, musizierende Putten und Schwarze mit Füllhörnern in den Händen. „Der Mohr war eine Attraktion in früheren Zeiten“, erklärt Andrea Stadler. „Heute geht das ja überhaupt nicht mehr, aber früher stand er für Exotik.“

Den Takt gab der Kapellmeister vor. Stadler zeigt auf seinen mit Leder bezogenen Ellbogen. „Der Arm war beweglich, er hat dirigiert. Aber das macht er leider nicht mehr.“ Anfangs wurde die Orgel noch mit einer Kurbel bedient, später brachte sie Strom zum Klingen. „Auf der Kirmes konnte man schon im 19. Jahrhundert Strom erzeugen, weil sie als Zugmaschinen Dampfmaschinen hatten“, sagt Andrea Stadler.

Auch heute verzaubert die Orgel die Museumsbesucher mit ihrem „feenhaften Licht“, das so anders ist als das der grellen Rummelstrahler. Dann ertönen Märsche, Opernarien, Tanzmusik. Erst wippen die Besucher, sagt Andrea Stadler, „und dann tanzen sie.“

>>Besuch des Museums

Das Museum an der Hachestraße 68 in Essen kann nur im Rahmen von Führungen besichtigt werden (pro Person 8 Euro). Die nächsten festen Termine: samstags, 21. April und 2. Juni, 14 Uhr.

Anmeldung, auch für weitere Gruppen von zehn bis maximal 20 Personen: 0179/ 209 30 54; schaustellermuseum.de