Essen. . Raus aus der Schmollecke: Wie man am besten mit „beleidigten Leberwürsten“ umgeht – und was man meiden sollte, um einen Konflikt zu schlichten.
Die Arme vor der Brust verschränkt, die Mundwinkel hängen, die Lippen sind zum Strich zusammengepresst – ganz klar: Vor einem steht eine beleidigte Leberwurst. Was hat sie nur jetzt schon wieder?
Sie könnte ja auch anders reagieren, wenn sie sich gekränkt fühlt: Die einen denken sich: „Ach, das hat er bestimmt nicht so gemeint.“ Die anderen fahren aus der Haut und lassen ihre Wut laut frei. Wieder andere versuchen, mit Gesprächen reinen Tisch zu machen. Aber die beleidigte Leberwurst zieht sich zurück in die Schmollecke. Minuten, Stunden, Tage. Und das schon wegen einer Lappalie! Aber warum macht sie das nur?
Wer schweigt, versucht sich ins Lot zu bringen
Menschen, die sich in Schweigen hüllen, versuchen sich wieder ins Lot zu bringen. Oftmals haben sie schon als Kind gelernt, sich bei Konflikten zurückzuziehen. Weil sie zum Beispiel erfahren haben, dass man Autoritätspersonen nicht widerspricht. „Ich kann dafür sorgen, dass mein Kind gut gehorcht“, erklärt der Psychologe Rüdiger Wacker aus Essen. Aber diese „Dressur“ steigere nicht das Selbstwertgefühl eines Kindes. „Oder ich kann versuchen, es so zu erziehen, dass es autonom ist, mich nicht mehr braucht, selbstständig ist, auch seine Stimme erhebt und sichtbar wird mit seinen eigenen Emotionen.“
Wenn Kinder spüren, dass sie eine andere Meinung haben dürfen und trotzdem wichtig sind, fühlen sie sich später stark und sind nicht so schnell verletzbar. Laut Wacker sei es eine der wichtigsten Funktionen von Pubertät, zu lernen, Nein zu sagen. „Und dann zu gucken, wie werden hier Probleme gelöst.“
Ein hartes Urteil, das zu nichts führt
Dann beobachten Jugendliche jedoch in einigen Familien, dass keiner über den Zoff spricht. Der junge Mensch lernt fürs Leben: Jeder macht ein Problem am besten mit sich selbst aus. Miteinander reden führt zu nichts.
Doch selbst Menschen, die in ihrer Kindheit Konflikte mit den Eltern ausgetragen haben, können später öfter mal „schmollen“. Der Paartherapeut erlebt immer wieder, dass das große Schweigen ein Teil eines Musters in einer Beziehung ist, das sich im Laufe der Zeit verfestigt hat. Rüdiger Wacker vermeidet dabei das Wort „beleidigt“. Es sei negativ besetzt. Mit solch einem Urteil wird der Mensch, der sich zurückgezogen hat, gleich noch mal verletzt. Die Streitenden sind nicht mehr auf Augenhöhe. Und der Partner, der den anderen als „beleidigte Leberwurst“ bezeichnet, wäscht mit diesem Urteil seine Hände in Unschuld. Doch: „Es gehören immer zwei zum Beleidigtsein.“
„Warum machst du immer dicht?“
Die Sicht von außen ist nur eine Seite der Wahrheit. Verstehen und lösen kann man das Problem nur, wenn man auch die Innensicht des Menschen sieht, der sich zurückzieht, betont der Therapeut. Der 56-Jährige berichtet von einem Paar, bei dem die Frau oft „schmollt“, so die Sicht des Mannes. Er versteht nicht: „Warum machst du immer dicht?“ Doch nach einem klärenden Gespräch wird deutlich, dass ihr Dicht-Machen ein Zeichen ihrer Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit ist: „Ich habe dir schon so oft gesagt, dass mich dein Flirten verletzt. Und nun hast du es im Lokal wieder getan. Ich weiß nicht mehr weiter.“
Jeder Mensch hat eigene Grenzen
Menschen, die sich über das Schweigen eines anderen wundern, können sich oft nicht vorstellen, dass sie einen Beitrag für dieses Verhalten geleistet haben. Weil sie sich Kritik oder ein lautes Wort nicht so sehr zu Herzen nehmen. Außerdem kann jeder mal einen Geburtstag vergessen, oder? Doch jeder Mensch hat seine eigenen Grenzen. Es bringt nichts, der „beleidigten Leberwurst“ zu sagen: „Hab dich nicht so!“ Oder: „Sei doch nicht so sensibel.“ Wacker: „Das zeigt Widerstand, das ist die nächste Abwertung. Besser ist ein defensives Herangehen: ,Ich bin mir sicher, du hast einen Grund dafür.’“
Selbst wenn man den Auslöser nicht kennt, kann eine Entschuldigung helfen: „Es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe.“ Wacker: „Dieser Mensch ist in Not.“ Nicht zufällig steckt in dem Begriff „Beleidigtsein“ das Wort „Leid“.
„Nach dem Streit ist vor dem Streit.“
Wenn sich der vermeintliche „Täter“ das vor Augen führt, kann das der erste Schritt aufeinander zu sein. Viele machten dann allerdings den Fehler, alles beim Alten zu belassen. „Jetzt ist es wieder gut, wir haben uns ja wieder lieb“. Aber Rüdiger Wacker betont: „Nach dem Streit ist vor dem Streit.“
So kann aus anfänglich kurzen Schweigephasen ein einziges großes Schweigen werden. Wichtig ist daher, nach dem Streit das Gespräch zu suchen, um die Auslöser zu erfahren und neue Formen zu finden, gemeinsam Probleme zu lösen, Kritik zu äußern. Ohne dass einer ständig blockt: „Ja, aber. . .“
Vereinzelt setzen Menschen das „Schmollen“ allerdings auch mehr oder weniger bewusst als Strategie ein. Es ist eine Form von Macht. „Du hast mich angeschrien? Dann zeige ich es dir jetzt. Ach, du wolltest den Autoschlüssel haben? Ich gebe ihn dir nicht“, erklärt Wacker eine weitere Variante. „Das Verweigern ist auch eine Art von Aggression.“
Oft wäre ein Telefonat mit der besten Freundin besser
Dann hilft vielleicht schlicht Geduld, den anderen nicht abwerten, sondern einfach sein lassen. Ihm Zeit für sein Schweigen geben, damit er wieder zu sich findet. Und dann das Problem ansprechen.
Menschen, die Streit meist aus dem Weg gehen, wünschen sich selbst oft, dass sie anders reagieren. Es hilft ihnen, mit einem Dritten zu sprechen, so Wacker. Nicht, um sich bestätigen zu lassen, sondern mit der Sicht von außen auf das Problem zu schauen. Dann können sie sich selbst fragen: Welche Reaktionen gibt es noch? Bei welchem Verhalten würde ich mich wohlfühlen? Statt zu schmollen, wäre ein Telefonat mit der besten Freundin vielleicht besser. Oder: „Würde es am ehesten zu mir passen, erst mal rauszugehen, wenn ich verletzt bin, mir das Verletzt-sein zu erlauben und eine Runde joggen zu gehen?“
>> Wenn die Stimmungen extrem schnell wechseln
Die vorgestellten Lösungsstrategien können bei üblichen Konflikten greifen, wenn sich ein Mensch schnell zurückzieht. Leidet jemand etwa unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung ist Hilfe von außen nötig.
„Bei einer massiven Störung empfindet das Paar das Paradies und 15 Sekunden später, die Betroffenen wissen oft selbst nicht warum, herrscht eisige Kälte“, so der Psychologe Wacker. Dann sei es wichtig, dass sich der Partner nicht „wundläuft“ bei dem Versuch, den anderen zu erreichen.