Essen. . Wer Gutes von gestern verkaufen möchte, muss sich nicht mehr auf einen Trödelmarkt stellen. Geschäfte im Revier vermieten Regale für Fehlkäufe.
„Für Ihre Tasche haben wir Schließfächer!“, ruft Dirk Bußler der jungen Frau zu, die gerade mit ihren drei Kindern den Trödelladen betreten hat. Als er die Bonbontüte in der Hand ihres Sohnes entdeckt, ergänzt er: „Die Süßigkeiten bitte auch.“ Der 49-Jährige tritt hinter dem Tresen hervor: groß, stabil, in Schwarz gekleidet. Sein langes Haar und der Bart umrahmen seine blauen Augen, die – entgegen seines eher einschüchternden Erscheinungsbildes – Wärme und Herzlichkeit ausstrahlen. „Mein Kaugummi auch?“, fragt der wohl jüngste Sohn der neuen Kundin, während er Dirk Bußler sein Gesicht entgegenstreckt und den Mund weit aufreißt. Den Kaugummi darf er mitnehmen.
Der Trödelladen im Essener Café Konsumreform ist bis unter die Decke mit ausgedienten Lieblingsstücken und nie Gebrauchtem gefüllt. In Regal 42 liegt ein BVB-Fan-Schal für 8,01 Euro neben einem Deko-Schaf aus Porzellan für 1,10 Euro. Regal 81 beherbergt Schlittschuhe und Piccolo-Sekt. Was zunächst wie völlige Reizüberflutung wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine Art geordnete Unordnung. Auf 100 Quadratmetern stehen dicht gedrängt 100 Regale.
Mehrere Deckenstrahler sollen den labyrinthartigen Raum ausleuchten, ein Teil des Lichts wird jedoch von den hohen Regalen gebremst und wohl nie den Boden erreichen. Wer seinen Haushalt verkleinern möchte, kann ein Regal mieten und mit allem bestücken, wovon er sich trennen möchte. Wer nach Schnäppchen, Schätzen oder Kuriositäten sucht, der kann stundenlang in den verwinkelten Gängen stöbern.
„Wegwerfen ist doof“
Dirk Bußler und seine Partnerin Yvonne Karbach haben den Konsumreformshop an der Viehofer Straße im Juli 2015 übernommen. Seitdem steht Bußler als Leiter des Shops für die Idee ein, nachhaltig mit dem eigenen Besitz umzugehen. Ein kleiner Flyer an der Kasse appelliert an die Ladenbesucher: „Wegwerfen ist doof. Verantwortungsvoll handeln und damit noch Geld verdienen, ist angesagt.“ Die schnörkellosen schwarzen Buchstaben auf weißem Untergrund rufen dazu auf, „den Umgang mit Konsumgütern zu verändern“.
Vor Regal Nummer 50 steht eine Frau und legt weiße Sportschuhe auf den untersten Regalboden. Seit November trennt sich Beate Von der Brüggen von allem, was sie nicht mehr braucht. „Das ist befreiend“, sagt die 66-Jährige. „Erst jetzt sehe ich zu Hause wieder, was ich alles Schönes besitze und erfreue mich daran.“ Manchmal begegnet sie Menschen, die etwas aus ihrem Regal gekauft haben. Das sei ein schönes Gefühl, sagt sie. Wenn ein Teil, das ihr nichts mehr bedeute, nun jemand anderem Freude bereite. In zwei Monaten hat sie schon 99 Teile verkauft und etwa 250 Euro Gewinn gemacht.
Betreutes Mieten
Richtig zufrieden ist sie aber noch nicht mit der Anordnung ihrer Artikel. Vor allem die Bücher verkauften sich schlecht, klagt sie. Bußler soll helfen. Er stellt sich neben Beate Von der Brüggen vor das Regal und kann dank seiner Größe problemlos den obersten Boden überblicken. „Ich probiere mal gerade was“, sagt er und schiebt eine Werkzeugbox etwas nach links, einen Spiegel etwas nach rechts und stellt dazwischen ein paar Bücher aus dem unteren Regalboden. „Hier kommen sie doch viel besser zur Geltung.“ Die Frau nickt zufrieden.
Mit der Regalvermietung wollen Dirk Bußler und Yvonne Karbach die Ökobilanz von Konsumgütern verbessern. „Es ist ganz einfach, etwas Gutes zu tun. Leute, die hier kaufen oder verkaufen, müssen dafür nichts Besonderes machen“, erklärt Bußler. Und das Konzept geht auf. „Jeden Monat verkaufen wir für fast 30 000 Euro Ware.“ Der Shop bekommt zehn Prozent von den Einnahmen. Für wie viel Geld die Mieter ihre Waren verkaufen, bleibt ihnen überlassen. Der Trödelladen stellt Diebstahlsicherungen und für jeden Konsumreformer individuelle Preisschilder. Sobald ein Gegenstand seinen Besitzer gewechselt hat, informiert der Shop den Verkäufer per E-Mail.
Bußlers Erfahrung nach, kommen die Kunden wegen der familiären Atmosphäre und weil sich der Laden ständig verändere. „Jede Woche ziehen Mieter aus und neue Mieter ein. Dadurch entsteht ein unglaublich vielfältiges Angebot.“ Darin besteht in seinen Augen auch ein struktureller Vorteil gegenüber traditionellen Trödelmärkten. „Bei uns finden Studenten günstiges Geschirr, während ein Whiskey-Liebhaber eine Flasche für 60 Euro mitnimmt.“ So kämen im Trödelladen die unterschiedlichsten Leute zusammen.
Der Kaffeeduft vermischt sich mit dem Geruch alter Platten
Dirk Bußler und Beate Von der Brüggen stehen nun vor einer Reihe von Vitrinen. Darin befinden sich Wertgegenstände wie Schmuck oder Handys, denn die Vitrinen lassen sich abschließen. Direkt dahinter beginnt das Café. Das Geräusch von klirrendem Geschirr dringt herüber und Musik, die von den vollen Regalen beinahe gänzlich verschluckt wird. Der Kaffeeduft vermischt sich mit dem Geruch alter Platten.
„Ist die Uhr kaputt?“, fragt Dirk Bußler und deutet auf eine silberne Armbanduhr in der Vitrine. Es ist ihm wichtig, dass keine beschädigten Artikel angeboten werden. Beate Von der Brüggen reicht ihm die Uhr mit den Worten: „Davon verstehe ich nichts“, und wendet sich wieder ihrer Vitrine zu. „Wir bieten seit Neuestem auch betreutes Mieten an“, scherzt Dirk Bußler und beginnt, an den Knöpfen der Uhr herumzudrücken. Nur Augenblicke später läuft sie wieder.
„Das Regal ist gesegnet“
In dem schmalen Gang, vorbei an den Vitrinen, bis hin zur Kasse ist es voll geworden. Über das Telefon preist Dirk Bußler ein Regal an, was bald frei wird. „Das ist ein glückliches Regal“, sagt er fröhlich. „Die Vormieterin hatte es so lange, bis nichts mehr da war, was sie verkaufen konnte. Sie war außerdem Pastorin. Das Regal ist also gesegnet.“
Aus einem Gang wirbeln die drei Kinder heraus. Der Junge kaut immer noch auf seinem Kaugummi. Die Mutter treibt ihre beiden Söhne und die Tochter vor sich her zur Kasse. Der kleinste Sohn legt zwei Playmobil-Figuren auf die Theke. Er muss sich dafür auf die Zehenspitzen stellen. „2,80 Euro bitte“, sagt Dirk Bußler zur Mutter gewandt. Sie reicht ihm einen Fünf-Euro-Schein, der in seiner großen Hand verschwindet. Als die Familie zum Ausgang geht, dreht sich die Mutter noch einmal um. Sie kündigt an, morgen erneut vorbeizukommen. Auch sie möchte ein Regal mieten.
>> REGALVERMIETUNG FÜR PRIVATEN TRÖDEL
Der Konsumreformshop bietet unterschiedliche Regalvarianten an. Ein Regal mit oder ohne Kleiderstange kostet bei einer Mietdauer von vier Wochen pro Tag 3,50 Euro, also etwa 84 Euro im Monat.
Der Laden erhält 10 Prozent des Umsatzes. Für den ersten Monat wird eine Umsatzgarantie angeboten. Sie soll sicherstellen, dass die Mieter keine Verluste einfahren.
Der Trödelmarkt befindet sich im Café Konsumreform an der Viehofer Straße 31 in Essen. Öffnungszeiten: montags bis samstags, von 10 bis 19 Uhr. Weitere Informationen zum Shop und den Mietkonditionen gibt es unter: konsumreformshop.de
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