Mülheim. . Das Leder- und Gerbermuseum zeigt ein sehr altes Handwerk, das in Mülheim auf eine jahrhundertealte Geschichte zurückblickt.

„Ich ziehe dir gleich das Fell über die Ohren!“ Es wird wohl kein anderes Museum auf der Welt geben, dass seine Besucher mit solch unverschämten Worten empfängt. „Das geht auf keine Kuhhaut!“ Noch so ein Spruch, den die Stimme vom Band flucht. Aber der Zuhörer ist nicht verärgert, sondern amüsiert. Schließlich vermitteln diese Redewendungen, wie sehr das Leder-Handwerk bis heute noch unsere Sprache bestimmt.

Es gab in der Stadt 52 Gerbereien

Auf dem Boden des Ledermuseums in Mülheim zeigt eine Karte die Stadt vor rund 100 Jahren. Sie lässt die vielen Gerbereien erkennen, die hier einst angesiedelt waren. Zu Spitzenzeiten im Jahr 1924 waren es 52 Betriebe. Wie Perlen einer Kette sind sie aneinandergereiht, direkt am Wasser. Nicht an der Ruhr. „Damit bei Hochwasser nicht die Felle wegschwimmen“, sagt Ina Pfeng-Bungert. Die Geschäftsführerin des Museum-Fördervereins gibt damit eine weitere Leder-Redewendung zum Besten.

Je nach Zweck, ob für Schuhe oder Autositze, wird die Rinderhaut anders gegerbt und gefärbt.
Je nach Zweck, ob für Schuhe oder Autositze, wird die Rinderhaut anders gegerbt und gefärbt.

Die Gerber suchten die Nähe der Bäche. „Sie brauchten die gleichbleibende Wassertemperatur“, erklärt die 52-Jährige. Erst später siedelten sie sich auch an einem stillgelegten Ruhrarm an, wuschen dort die Felle und schöpften das Wasser für die Gerbergruben.

Eine rohe Tierhaut lag sechs bis neun Monate lang in der Grube. Damals wurde noch kein Chromsalz gebraucht, das die Haut in wenigen Tagen in Leder verwandelte. Zum rein pflanzlichen Gerben nahm man die Rinde von Eichen, die in einer Lohmühle gemahlen wurde. Ina Pfeng-Bungert verrät: „Der typische Ledergeruch kommt von der Baumrinde.“

Schlangen- und Schweineleder

Meist wurde die Haut von Rindern verwendet. Aber auch andere Tiere kommen theoretisch in Frage. Das Museum lässt den Besucher spüren, wie strukturiert sich Schlangenleder anfühlt, wie weich Schweineleder sein kann. Und nach dem Rundgang versteht er auch, warum Elefanten „Dickhäuter“ genannt werden.

Blick ins Museum: Links steht ein Modell eines Gerberbaums.
Blick ins Museum: Links steht ein Modell eines Gerberbaums.

Aber zurück ins 19. Jahrhundert: Bevor die Rinderhäute in die Grube kamen, mussten sie am Gerberbaum vom Fleisch und vom Fell befreit werden. Ina Pfeng-Bungert demonstriert die Arbeit an einem Modell: „Die eine Seite der Haut mussten sie entfleischen, mit einem scharfen Messer ganz vorsichtig abraspeln, damit das Leder nicht beschädigt wurde.“ Auf der anderen Seite mussten die Haare entfernt werden. Sie wurden mit einem Stabeisen ausgestrichen. Immer vom Körper weg. Und immer wieder von oben nach unten. In dieser gebückten Haltung brauchte ein Mann pro Haut einen Tag. „Ich möchte nicht wissen, wie deren Rücken aussah.“

Bis Peking, Moskau und New York

Später erleichterten Maschinen die Arbeit, wie etwa die Spaltmaschine, die eine Lederhaut horizontal durchschnitt und so aus einer Haut zwei machte. Mülheim wurde zur Weltstadt des Leders. Ina Pfeng-Bungert zählt auf: „Die Verdecke der Droschken in New York oder Peking waren aus Mülheimer Leder. Die Treibriemen in China oder Japan, das war Mülheimer Leder. Und auch im Moskauer Kreml sitzen die Abgeordneten auf Mülheimer Leder.“

Werkzeuge zum Herrichten der Tierhäute.
Werkzeuge zum Herrichten der Tierhäute.

Wasser und Eichen gab es auch in anderen Ruhrgebietsstädten. Aber warum verdienten gerade in Mülheim so viele Menschen ihr Geld in diesem Gewerbe? Der Herr von Nesselrode im Schloss Hugenpoet wollte sich nicht allein auf die Textilindustrie in Kettwig verlassen, dem heutigen Stadtteil von Essen. So beschäftigte er Metzger, die die Menschen mit Fleisch versorgten. Doch wohin mit den Tierhäuten?

In Mülheim gab es zwar schon Gerber, aber sie unterlagen strengen Regeln der Zunft und durften nicht mit jedem Geschäfte betreiben. Doch dann versprachen die Metzger dem Herrn von Schloss Broich: „Für jede Haut, die wir nach Mülheim bringen, bekommt das Schloss Broich einen Taler“, erzählt Kurtludwig Lindgens.

Kurtludwig Lindgens, erster Vorsitzender des Fördervereins. Seine Vorfahren hatten 1861 die Lederfabrik „Ludwig Lindgens“ in Mülheim gegründet.
Kurtludwig Lindgens, erster Vorsitzender des Fördervereins. Seine Vorfahren hatten 1861 die Lederfabrik „Ludwig Lindgens“ in Mülheim gegründet.

Der 75-Jährige hat zusammen mit Werner Bungert, dem Vater von Ina Pfeng-Bungert, den Förderverein des Leder- und Gerbermuseums gegründet, damit die Leder-Geschichte lebendig bleibt. Der Name des Vorsitzenden ist auf dem Gebäude gegenüber zu lesen. Seine Vorfahren hatten 1861 die Lederfabrik „Ludwig Lindgens“ gegründet. Nach vielen lukrativen Jahrzehnten ließen nicht allein die hohen Umweltauflagen und Löhne das Geschäft in Mülheim einbrechen. „Die Lederindustrie geht dahin, wo genäht wird“, so Lindgens – also etwa nach Asien.

Von den einst vielen Gerbereien in Mülheim ist nur noch eine übrig geblieben: Seton, die die Firma Lindgens gekauft hat. Und die erledigt auch nur noch den letzten Arbeitsgang, sie färbt die gegerbten Häute. Da möchte man doch am liebsten rufen: „Das geht auf keine Kuhhaut!“

Ina Pfeng-Bungert breitet solch eine Kuhhaut auf dem Boden aus – ein ganzes Lederstück so groß wie eine Picknickdecke. „Früher dachten die Leute, der Teufel würde alles aufschreiben, was sie an Sünden begehen“, erläutert Museums-Mitarbeiterin Regina Pohl (52). Und wenn ein Mensch besonders viel gesündigt hatte, dann passten die höllischen Notizen auf keine Kuhhaut...

>> DAS LIEBSTE AUSSTELLUNGSSTÜCK

Nicht nur für Arbeitshandschuhe, sondern auch fürs „Arschleder“ brauchten die Menschen den tierischen Stoff. Der Bergmann band sich das Arschleder um den Allerwertesten.

Ein „Arschleder“ der Bergleute.
Ein „Arschleder“ der Bergleute.

„Die Kinder lachen sich immer kaputt, wenn wir davon in Führungen erzählen“, so Ina Pfeng-Bungert vom Förderverein des Museums. „Aber das Arschleder ist nun mal typisch fürs Ruhrgebiet.“ Mit ihm wurde der Bergmann vor Nässe und Kälte geschützt und der Hosenboden nicht durchgescheuert.

>> DAS MUSEUM

Das Leder- und Gerbermuseum befindet sich seit 2003 in der ehemaligen Lederfabrik Abel, Düsseldorfer Str. 269, Mülheim. Am Sonntag, 18. Februar 2018, 14 bis 18 Uhr, können Groß und Klein beim Basteln mit Leder teilnehmen (kleiner Unkostenbeitrag.)

Wegen Finanzierungsproblemen übernimmt nun die Stadt die Betriebskosten des Museums bis 2028. Eintritt: Bis 18 Jahren: 2 €; Erwachsene: 3 €. Mi bis So., 14 bis 18 Uhr. Infos zu Führungen unter Tel.: 0208/ 302 10 70 und leder-und-gerbermuseum.de