Hubertus Meyer-Burckhardt hasst das Wort „Frauenversteher“. Er empfindet sich als Schüler von starken Frauen. Ein Gespräch über sein neues Buch.
Essen. Hubertus Meyer-Burckhardt moderiert nicht nur seit bereits zehn Jahren mit Barbara Schöneberger die „NDR Talk Show“, er lädt seit 2014 auch Frauen zu Radio-Gesprächen bei NDR-Info ein. Nun hat er eine Auswahl dieser „Frauengeschichten“ als Buch veröffentlicht. Maren Schürmann sprach mit dem 61-Jährigen über das, was starke Frauen eint. Und welche von ihnen an seinem Sterbebett sitzen soll.
Der Untertitel Ihres Buches lautet: „Was ich von starken Frauen gelernt habe.“ Was haben Sie gelernt?
Meyer-Burckhardt: Die Person ist wichtiger als die Funktion. Viele Männer definieren sich stark über die Funktion. Und wenn die Funktion wegbricht, brechen sie ein. Ich bin mir der Schablonenhaftigkeit meiner Argumentation durchaus bewusst, aber ich meine zu beobachten, dass sich Frauen mehr über die Person definieren. Wenn Männer älter werden, werden sie immer bedeutungsschwangerer und verweisen darauf, welche Funktion sie mal inne hatten. Die Frauen werden dagegen anarchischer.
Die Frauen, die Sie zu Gesprächen eingeladen haben – Barbara Schöneberger, Doris Dörrie oder Elke Heidenreich – sind sicherlich alle starke Frauen, aber doch auch sehr unterschiedlich. Was verbindet sie?
Ich bin froh, dass Sie mich nicht gefragt haben, ob ich ein „Frauenversteher“ bin. Ich hasse das Wort. Es klingt wie „Pferdeflüsterer“. Also, was verbindet diese Frauen? Ich glaube, dass sie eine Spur im Leben hinterlassen haben. Diese Spur ist vordergründig eine berufliche, aber der unterliegt ja eine Sehnsucht. Barbara Schöneberger wollte immer Entertainerin werden und hat sich über Jahre die bösartigsten Kritiken gefallen lassen, aber sie hat sich durchgebissen. Das ist nur ein Beispiel. Diese Frauen verbindet der Mut, dass sie ihre Sehnsüchte leben und nicht sagen: „Ich bin sicherheitshalber mal . . .“ Oder: „Mein Vater hat gesagt, ich soll Jura studieren und dann habe ich das gemacht.“
Ich fand Ihre Beschreibung im Buch sehr treffend: Elke Heidenreich sei verletzend und verletzlich.
Elke Heidenreich ist eine Frau, an der du nicht vorbeikommst: Das ist eine Frau, die betritt den Raum und obwohl sie sehr humorvoll und sehr charmant ist, kann ich nur jedem raten: Überlege jedes Wort genau! Wenn es nicht durchdacht ist, kriegst du freundschaftlich eins auf die Rübe.
Sie hatte keine leichte Kindheit mit einer sehr strengen Mutter. Trotzdem hört man sie eigentlich nicht über diese Zeit klagen. . .
Ich habe das Gefühl, Selbstmitleid ist bei Frauen nicht sehr ausgeprägt. Nehmen wir mal die Schauspielerin Erika Pluhar, das war für mich eines der ganz spannenden Gespräche: Diese Frau hat zwei Ehemänner durch Tod verloren, sie hat ihre einzige Tochter ebenfalls durch Tod verloren und sagt den Satz: „Das Leben ist auch dann ein Geschenk, wenn dir nichts geschenkt wird.“ Da kriege ich Gänsehaut.
Diese positive Einstellung zum Leben: Ist das nicht eine Frage der Persönlichkeit? Warum machen Sie es am Geschlecht fest?
Mich haben seit frühester Kindheit Frauen geprägt. Aus meiner Sicht leben sie mehr im Moment, sind weniger strategisch, aus männlicher Sicht irrationaler, dadurch sind sie auch emotionaler. Die Psychologin Eva Wlodarek hat mal den schönen Satz gesagt: „Frauen kommunizieren über Beziehungen, Männer über Status.“ Frauen können sich stundenlang unterhalten über einen Konflikt, eine Freude, eine Enttäuschung, eine Hoffnung . . .
Und Männer können das nicht?
Noch mal: Ich bin mir der Vergröberung bewusst, aber Männer setzen sich hin und sagen: „Alles gut zu Hause? Frau okay? Im Übrigen. . .“ Und dann geht es nur um Beruf und vielleicht noch um Fitness und Wellness: „Ich würde mal nach MeckPomm fahren.“ „Ne, fahr in die Ardennen . . .“ Männer checken den Status ab und reden nur dann über Beziehung, wenn die Ehe gerade geschieden ist.
Langweilt Sie das?
Es interessiert mich nicht sonderlich. Mich interessieren Verweigerer immer mehr als Karrieristen. Wenn ich sage: Mich interessieren erfolgreiche Menschen, dann meine ich das nicht karrieristisch. Ich finde, den größten Erfolg, den ein Mensch haben kann, ist, dass er sich hinsetzt und fragt: Was erwarte ich eigentlich von mir? Wie möchte ich mein Leben führen? Und das immer wieder auf den Prüfstand stellt.
Sie haben Ihr Leben in die Hand genommen und schon mit zwölf Jahren Ihren prügelnden Vater vor die Tür gesetzt. Wie kam es dazu?
Ich kann das nicht erklären, ich hätte einen Tag vorher nicht gewusst, dass ich das einen Tag später mache. Ich habe gesagt: „Du bist nicht mehr mein Vater!“ Und habe ihn aus dem Haus geworfen. Ich kann mich nicht mehr an jedes Detail erinnern. Aber er hat eingesehen, dass er gehen muss.
Wie ist Ihre Mutter damit umgegangen?
Mein Vater war natürlich traumatisiert vom Zweiten Weltkrieg. Als erwachsener Mann kann man das abstrahieren. Als Kind kann man das natürlich nicht. Und meine Mutter hat sich von dem Mann, den sie geliebt hat, der aber zwei Seiten hatte, der doppelgesichtig war, erst langsam befreien müssen. Das erleben Sie ja auch heute noch, dass Frauen oder auch Kinder, die Gewalt erleben, denjenigen, von dem die Gewalt ausgeht, trotzdem noch sehr lange lieben. Es ist eine absurde Situation. Ich muss allerdings deutlich sagen, ich bin sexuell nie misshandelt worden, aber ich habe als Kind Gewalt erfahren.
Es gibt zurzeit die „#MeToo“-Debatte . . .
Ich bin gottfroh, dass es sie gibt. Ich kann nicht nachvollziehen, dass Männer sagen: „Jetzt kann ich gar nicht mehr flirten.“ Ich war lange genug ungebunden und habe in der Zeit die eine oder andere Frau zu Spaghetti und Rotwein getroffen. Man flirtet und man merkt als einigermaßen sensibler Mann, ob sie flirten will oder nicht. Und wenn sie nicht will, dann dreht man ab. Ein Versuch war es wert, aber sie will halt nicht.
Wie verlief Ihr Leben, als Ihr Vater gegangen ist?
Dann fing – wenn auch etwas spät – eine glückliche Kindheit an. Ich bin zwischen zwei sehr starken Frauen groß geworden, meine Mutter, meine Oma. Obwohl wir mit sehr wenig Geld auskommen mussten, habe ich sie nie klagen gehört. Es wurde immer gelacht, es war immer eine Heiterkeit da, diese Mentalität: „Wir schaffen das schon.“ Meine Mutter hat den Philosophen Karl Popper zitiert: „Es gibt zum Optimismus keine vernünftige Alternative.“ Und sie hat mir immer den Satz gesagt: „Junge, Glücklich-sein ist eine Entscheidung.“
Sie haben sich dafür entschieden?
Ja. Was nicht heißt, dass man nie traurig ist. Oder dass man auch deprimiert sein kann. Aber man sollte sich nicht da reinfallen lassen. Ich hasse Menschen noch heute, die sich selber leidtun. Ich finde das ganz entsetzlich.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie gern die Schauspielerin Marianne Sägebrecht an Ihrem Sterbebett hätten. Wieso?
Ohne dass meine Frau Eifersuchtsanfälle haben muss! Wenn ich mich mit Marianne fünf Minuten lang unterhalte, komme ich erst mal sowieso nicht zu Wort (lacht). Aber in den fünf Minuten vermittelt sie mir so viel Zuversicht, Humor, Gelassenheit und Optimismus wie andere Menschen in einer Woche nicht. Marianne ist sozusagen eine Seelenfreundin.
>> ZUR PERSON, ZUM BUCH
Alle zwei Wochen freitags, 22 Uhr, ist Meyer-Burckhardt in der NDR-Talkshow zu sehen. Für den Film „Meine fremde Freundin“ erhielt er kürzlich den Hamburger Produzentenpreis für Deutsche Fernsehproduktionen. Der Vater von zwei Kindern ist heute verheiratet mit Dorothee Röhrig, ehemals Chefredakteurin des Magazins „Emotion“.
Das Buch: „Frauengeschichten – Was ich von starken Frauen gelernt habe“. (Gütersloher Verlagshaus, 250 S., 19,99 €).