Die Gans ist verbrannt, Oma nervt und das Geschenk ist eine Enttäuschung. Wie retten wir an Weihnachten die Stimmung, wenn alles schief läuft?

Marianne Leven und Anke Meissner sind Experten für Weihnachtskrise. Uns haben die Sozialpädagoginnen verraten, wie wir an den Festtagen im Notfall die Stimmung retten.

Mit erwartungsvollem Blick überreicht mir mein Bruder ein Geschenk. Ich packe es aus und kann es nicht fassen. Das passt gar nicht zu mir!

Marianne Leven: „Erst mal durchatmen und nicht dem ersten Impuls freien Lauf lassen. Der andere, der schenkt, ist ja auch ganz aufgeregt, hat sich Mühe gemacht und erwartet große Freude. Also nicht sofort sagen: ,Ach du liebe Zeit, was hast du dir denn dabei gedacht?’ Lieber: ,Oh, das ist ja überraschend.’ Und dann zu einem späteren Zeitpunkt: ,Es ist doch nicht so schön, können wir es vielleicht umtauschen?’ Sich selbst etwas zurücknehmen und auf beiden Seiten möglichst ein Mimosen-Verhalten vermeiden. Und für denjenigen, der schenkt, der Appell: Nimm es nicht persönlich, wenn dein Geschenk nicht so gut ankommt, wie du dir das vorgestellt hast. Man kann sich nicht zu 100 Prozent in denjenigen hineinversetzen, den man beschenken möchte, und von daher kann das passieren.“

Die Gans ist verbrannt, das Dessert zerläuft. Kann eigentlich mal irgendetwas glattgehen?

Anke Meissner: „Wenn man es genau betrachtet, sind das nur Kleinigkeiten. Das wissen wir an sich auch, doch in dem Moment erscheint es uns so tragisch, weil wir das Ganze perfekt haben wollten. Wir haben ein Idealbild von Weihnachten in unserem Kopf und sind enttäuscht, wenn wir es nicht erreichen. Man kann die Erwartungen auch mal in Frage stellen. Und den Fokus auf das legen, was uns wirklich wichtig ist: Ist es tatsächlich die Gans oder ist es eher das schöne Beieinandersein?“

Schön, dass wir mal alle versammelt sind. Ich ärgere mich schon so lange. Zeit für ein klärendes Gespräch!

Marianne Leven: „An Weihnachten keine Problemthemen ansprechen! ,Was ich dir schon immer sagen wollte, wo wir hier gerade so schön am Tisch zusammensitzen.’ – auf keinen Fall! Diese Problemthemen stören nur den Wunsch nach Harmonie. Und die Probleme miteinander sind nach dem ersten Januar auch noch da. Dann kann man sich verabreden und sie angehen.“

Weihnachten ist das Fest der Liebe. Liebevoll gehen wir aber nicht miteinander um. Wo bleibt die Romantik?

Anke Meissner: „Ich erlebe das häufig, viele Konflikte entladen sich ausgerechnet an Heiligabend. Viele Trennungen passieren um Weihnachten herum. Ich glaube auch deswegen, weil es ein so hochemotionales Fest ist. Und dann zieht man ein Resümee: Wie läuft es denn gerade? Und so bekomme ich eventuell den Eindruck: Das ist gar nicht das, was ich will. Manchmal liegt es auch am Stress. So viele Termine häufen sich an. Dann muss ich überlegen, hat der Ärger wirklich etwas mit meiner Paarbeziehung zu tun?“

Heiligabend kommen die Großeltern zu uns, am ersten Weihnachtstag fahren wir zur Tante, abends zum . . . Es ist zu viel!

Marianne Leven: „Die Familien packen sich die Weihnachtszeit so unglaublich voll. Meine Idee wäre, kleine Pausen einzuplanen. Damit die Kernfamilie Zeit für sich hat und die Kinder Zeit haben, mit ihren Geschenken zu spielen. Wenn ich in einer Großfamilie feiere, hängt man ja auch sehr aufeinander, vielleicht geht man mal eine halbe Stunde an die frische Luft, dann kann das Kind auch sein neues Fahrrad ausprobieren. Ein bisschen Distanz ist da durchaus hilfreich, dann kann auch derjenige, der zu Hause bleibt, noch mal durchschnaufen.“

Die Marotten von Onkel Heini nerven. Aber wir können ihn an Heiligabend ja schlecht allein lassen. Oder?

Anke Meissner: „Man sollte sich im Vorfeld überlegen: Kann ich diesen Kompromiss eingehen? Will ich mir das wirklich antun? Manchmal machen wir solche Dinge aus einem schlechten Gewissen heraus. Oder weil wir meinen, das gehört sich doch so. Wir können überlegen: Finden wir für den Onkel eine andere Möglichkeit? Vielleicht fällt es uns leichter, wenn wir ihn erst am ersten Weihnachtstag sehen oder danach.“

Die Geschenke türmen sich unterm Weihnachtsbaum. Und nun bringt Oma noch mehr Pakete. Stopp!

Anke Meissner: „Je kleiner die Kinder sind, desto schneller sind sie überfordert. Man kann vorab mit den Erwachsenen besprechen, wer was schenkt. Am Heiligabend das Ganze zu stoppen, halte ich für nicht machbar. Die Oma möchte ja gerne etwas Schönes schenken und ihr das dann zu verbieten, ruft womöglich einen Konflikt hervor. Dann das lieber abfangen, etwas zur Seite legen und am nächsten Morgen, o Wunder, taucht noch ein Geschenk auf.“

Alle schauen gespannt auf die kleine Marie. Mutter gibt ihr lächelnd das Geschenk: „Vom Christkind.“ Darauf Marie trocken: „Das Christkind gibt’s doch gar nicht.“ Was sagt man nun?

Marianne Leven: „Es kommt auf die Situation an. Wenn es noch ein kleines Geschwisterkind gibt, und das sagt: ,Das Christkind gibt es aber doch!’ Dann kann man sagen: ,Die einen glauben daran, die anderen nicht. Das kann jeder so machen, wie er es möchte.’ Es hat ja auch etwas Spielerisches: Als meine Kinder schon lange nicht mehr ans Christkind glaubten, lief mein Vater immer noch mit dem Glöckchen ums Haus und alle haben sich köstlich amüsiert. Das kann ein Ritual sein, auch die Kinder amüsieren sich und sagen sich innerlich vielleicht: ,Wenn das die Erwachsenen brauchen, dann sollen sie es halt erzählen.’“

Das erste Weihnachtsfest ohne den geliebten Menschen. Halten wir an unseren Ritualen fest?

Marianne Leven: „Wenn es einen Todesfall gibt, bemühen sich viele Familien, das Fest genauso zu gestalten wie immer. Aber es ist nicht genauso wie immer, weil jemand fehlt. Sich das bewusst machen: Es ist ein anderes Weihnachten. Vielleicht singt man ein Lied und das war das Lieblingsweihnachtslied des Opas und dann ist es auch in Ordnung, dass wir nicht weiter singen, dass wir vielleicht auch erst mal ein bisschen weinen müssen. Rituale sind wunderbar, aber es ist in Ordnung, wenn wir es nun etwas anders machen.“

Das erste Fest ganz allein. Ich dachte, es wird schon nicht so schlimm werden, aber jetzt rückt Heiligabend immer näher . . .

Anke Meissner: „Das Schlimmste ist, wenn man alleine ist und Weihnachten in ein Loch fällt. Dann sich lieber ein Herz fassen und andere fragen: ,Darf ich dazukommen?’ In der Regel haben die Menschen dafür Verständnis, wenn jemand gerade einen Verlust erlitten hat.“

Die Eltern haben sich getrennt. Die Kinder müssen ohne Vater oder Mutter feiern. Wie wird Weihnachten trotzdem ein Fest?

Marianne Leven: „Im Vorfeld besprechen: Wie soll Weihnachten nun gefeiert werden? Auch mit den älteren Kindern sprechen: Wie wollen wir das denn machen, denn es wird anders sein. Der Papa oder die Mama sind dieses Jahr nicht dabei, wir werden das erste Mal nicht gemeinsam feiern. Als Erwachsener gibt es auch die eigene Traurigkeit: Ich habe mir das alles ganz anders vorgestellt. Sich auch diese Traurigkeit zugestehen. Und sich fragen: Kann ich das alleine aushalten? Oder möchte ich lieber jemanden einladen? Eine Freundin oder die Großeltern.“

>>> HINTERGRUND: Die Expertinnen

Marianne Leven leitet die Erziehungsberatungsstelle der Diakonie in Essen-Borbeck. Die 59-Jährige ist Diplom-Sozialpädagogin und Systemische Familientherapeutin. Ihr Team berät im Stadtteil bei Erziehungsfragen oder etwa Lernstörungen. diakoniewerk-essen.de

  • Anke Meissner ist Pädagogin sowie Systemische Therapeutin für Einzelne ebenso wie für Familien und Paare. Die 49-Jährige aus Düsseldorf unterstützt bei Krisen (www.anke-meissner.de).