Essen. Wer Teile seines Lebens ohne Gesellschaft anderer Menschen bleibt, ist nicht zwangsläufig einsam. Es kann heilsam sein, eine Auszeit zu nehmen.
Thomas klingt nicht besonders enthusiastisch, wenn er über das Alleinsein spricht. Wie er wirklich heißt, will der 66-Jährige lieber nicht verraten. Denn darüber redet „Mann“ nicht gerne. Zu lange hatte er sich in der Einsamkeit eingerichtet, pflegte seine kulturellen Interessen und Freundschaften. Während seine Freunde Familien gründeten oder heirateten, saß er allein in seiner Ein-Zimmer-Wohnung im Herzen einer Großstadt. Einsam war Thomas schon als Kind. Mit seinen Eltern wohnte er am Stadtrand. Er war Einzelkind, Spielkameraden gab es in der Gegend kaum. Die Eltern, die sich nicht sehr gut verstanden, lebten isoliert, Probleme wurden totgeschwiegen. Thomas geriet häufig zwischen die Fronten. Das hat ihn geprägt. Später verliebte er sich meistens in Frauen, die seiner Mutter ähnelten, mit allen Schwierigkeiten. Eine feste Partnerschaft wurde nie daraus.
Sein Singledasein hatte auch Vorteile. Pläne oder Fehler musste er vor niemandem rechtfertigen. Doch auf der emotionalen Seite fehlte jede Menge, vor allem der Austausch und die körperliche Nähe eines geliebten Menschen. Im Kreis verheirateter Freunde fühlte er sich als Außenseiter. Besonders verlassen fühlte er sich dann, wenn er krank war.
Immer mehr Menschen leben allein
In Nordrhein-Westfalen gibt es viele Menschen, die ohne einen Partner oder eine Familie durchs Leben gehen – aus Überzeugung oder weil es sich so ergeben hat. Ihr Anteil stieg laut dem Statistischen Bundesamt auf 19,6 Prozent; die meisten Einpersonenhaushalte in NRW gibt es in Bochum (29,5 Prozent), Münster (28,8 Prozent) und Düsseldorf (27,2). Und in großstädtischen Strukturen sind feste Freundeskreise nicht zwingend die Regel; viele sind nur temporär vor Ort und ziehen dann beruflich weiter.
„Familie, Freundschaften und Liebesbeziehungen sind auch anstrengend und kosten Kraft und Zeit“, analysiert Janosch Schobin die Entwicklung. Der Soziologe beschäftigte sich am Hamburger Institut für Sozialforschung mit den Themen Freundschaftssoziologie, soziale Isolation und Vereinsamung. Er sieht den gegenwärtigen Trend darin, „den Ballast einfach über Bord zu werfen und ein extrem optimiertes Leben zu führen“. Allerdings mit der Gefahr, irgendwann später in die soziale Isolation zu rutschen. Doch gebe es auch eine politische Dimension. Die Arbeitsmarktpolitik erwarte von den Menschen, für den Job Freunde und Familie zu verlassen – selbst für Arbeitsstellen, die kein gutes Auskommen bieten.
Wie viel Kontakt braucht ein Mensch?
Das Alleinsein kann eine Kraftquelle sein, eine Chance, Talente und Visionen zu entdecken und zu entwickeln. Doch kann es auch in die Vereinsamung führen. „In Deutschland fühlen sich ungefähr fünf Prozent der Leute die meiste Zeit einsam. Tendenz steigend“, sagt Sozialforscher Schobin. Einsamkeit ist in nahezu allen europäischen Ländern – ähnlich wie Arbeitslosigkeit oder Armut – zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem geworden. In alternden, kinderarmen Gesellschaften sind Menschen immer häufiger davon bedroht.
Doch wie sieht ein gutes soziales Leben eigentlich aus? Kritisch wird es für Schobin, wenn ein Mensch nicht wenigstens einmal in der Woche einen Kontakt mit einer nahestehenden Person hat. Der Lackmustest ist für den Wissenschaftler die Frage: Wer kommt zu meiner Beerdigung? In der Studie „Einsame Bestattungen“ beschäftigte sich Schobin mit Beerdigungen, die durch das Ordnungsamt immer dann durchgeführt werden, wenn es keine Angehörigen oder Freunde gibt. Die Zahl dieser Bestattungen ist in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen. Betroffen sind vor allem Männer. Diese sind partnerzentrierter. Stirbt einer der Partner, erholen sich Frauen im Vergleich schneller, da sie im Durchschnitt über vielfältigere soziale Kontakte verfügen. Aber auch Männlichkeitsideale spielen eine Rolle: Niemanden zu brauchen, gilt für viele noch immer als Zeichen der Stärke. Dabei beeinträchtigt Einsamkeit die Lebensqualität. Eine Reihe medizinischer Studien belege, dass langfristige Vereinsamung nicht nur das Wohlbefinden mindert, sondern sich auch auf die Gesundheit auswirkt, so der Sozialforscher Schobin.
Franziska Muri kennt solche Schreckensmeldungen. Sie lauten: Wer einsam ist, lebt ungesünder, ist unglücklicher, hat häufiger Herzleiden und stirbt früher. Die Autorin ärgert sich darüber, dass hauptsächlich die negativen Seiten des Alleinseins hervorgehoben werden. Ihrer Meinung nach hat das Für-sich- Sein zu Unrecht einen schlechten Ruf. „Trau keiner Statistik“, rät die Kulturwissenschaftlerin. „Vor allem keiner, die deinem eigenen Lebensgefühl und deiner Erfahrung widerspricht.“
Sie fühlte sich nicht zugehörig
Franziska Muri lebt allein, arbeitet allein – und sie liebt es. Während sie meist relativ gut mit dem Alleinsein klar kam, bekam sie von der Außenwelt immer wieder gespiegelt, dass etwas mit ihr nicht stimme, dass sie nur mit Partner „richtig“ sei. Sie erinnert sich an scheele Blicke oder dumme Bemerkungen. Sie fühlte sich nicht zugehörig.
Statt weiter gegen das Alleinsein anzukämpfen, beschloss sie, es anzunehmen. Sie begann, sich dem Thema tiefer zu widmen. In ihrem Buch „21 Gründe, das Alleinsein zu lieben“, spart sie die problematischen Seiten nicht aus, liefert aber dennoch einen positiven Blick. Das Alleinsein könne Menschen helfen, zu wachsen und zu einer tiefen Lebens- und Selbstliebe zu finden. Das habe inzwischen sogar die Wissenschaft akzeptiert. Franziska Muri stieß auf Studien, die zeigen, dass es sozial gut eingebettete Menschen gibt, die sehr gern und recht viel alleine sind. Darunter besonders viele Introvertierte oder Hochsensible, die leichter unter Reizüberflutung leiden. Franziska Muri kennt viele gute Gründe für das zumindest zeitweilige Alleinsein. Es beflügele die Kreativität und fördere die Eigenständigkeit und persönliche Weiterentwicklung, glaubt sie. Natürlich kennt auch sie Gefühle der Einsamkeit. Doch gut genutzt, eigneten sich diese als Lernphase, unter anderem für neue Beziehungen.
Zu zweit – und doch allein
Apropos Partnerschaften. Warum eigentlich fühlen sich so viele Menschen allein unvollkommen? „Was versprichst du dir davon? Was wäre dann besser?“: Das sind Fragen, die sich Betroffene laut Muri stellen sollten. Jedoch halten viele Menschen den Zustand des Alleinseins erst gar nicht aus und stürzen sich sofort in die nächste Beziehung. Muri findet, dass sich Geduld auszahlt. „Wer gut allein sein kann, ist bei neuen Beziehungsangeboten wählerischer“, so ihre Erfahrung.
Lernen, auch allein zufrieden zu sein: Für den Paartherapeuten Wolf Kirchmann ist das eine der großen Lebensaufgaben. Denn mit Einsamkeit werde der Mensch immer wieder konfrontiert. Etwa, wenn die Kinder das Elternhaus verlassen – und schlussendlich im Tod. „Wenn uns das gelingt und dazu noch eine erfüllende Partnerschaft kommt, ist das wunderbar. Wenn wir aber die Partnerschaft brauchen, um ein Loch zu stopfen, ist eine Enttäuschung vorprogrammiert.“
Einsamkeit auch in einer Partnerschaft
Alleinsein ist für Kirchmann eine bloße Zustandsbeschreibung. Die Einsamkeit beschreibe dagegen ein inneres Gefühl. Er weiß, wie einsam sich Menschen auch unter Freunden, in der Herkunftsfamilie oder in der Partnerschaft fühlen können. Bei vielen Paaren, die zu ihm kommen, ist das Gefühl der Einsamkeit ein großes Thema. Das Gefühl tritt laut Kirchmann immer dann auf, wenn der Betroffene sich nicht gesehen oder unverstanden fühlt.
In solchen Situationen sei es hilfreich, nach den Ursachen zu forschen. Einer der Hauptgründe für das Gefühl der Einsamkeit sei ein emotionales Defizit in der Herkunftsfamilie. Für seine eigene Generation sagt der 59-Jährige: „Wir sind alle in ziemlichem Liebesmangel groß geworden.“ So sei es typisch gewesen, Kinder noch im Kreißsaal von ihren Müttern zu trennen. Wichtig sei im späteren Leben deshalb das „Nachnähren“. Das passiere etwa in der Verliebtheitsphase. Viele hätten dann das erste Mal im Leben das Gefühl, richtig „satt“ zu sein. Das Problem: Die Verliebtheitsphase dauert maximal drei Jahre. Auch in gesunden Beziehungen wird den Partnern irgendwann schmerzhaft bewusst, dass der Andere nicht alles richten kann. Bedürfnisse kann er nur in einem gewissen Rahmen und für eine gewisse Dauer erfüllen. Eine Enttäuschung droht.
Dem anderen zeigen, wie man wirklich ist
Die meisten Menschen sehnten sich nach einer glücklichen Partnerschaft, sagt Kirchmann. Doch fehle vielen das Handwerkszeug dazu. „Die Fähigkeit, Intimität herzustellen. Nicht nur auf der körperlichen, sondern auch auf der Gefühlsebene. Dem anderen zu zeigen, wie man wirklich ist.“ Stattdessen werfen viele ihrem Partner vor: Deinetwegen bin ich unglücklich. Kirchmann rät, sich in der Partnerschaft lieber seine eigenen Schattenseiten anzuschauen und sich nicht frühzeitig zu trennen – auch wenn es unbequem ist, sich seinen Themen zu stellen. Während manche den Partner zu verändern versuchen, verbleiben andere in Partnerschaften, die ihnen nicht gut tun – aus Angst, sonst allein zu sein. „Sie verbiegen sich aus Liebe und verraten damit sich selbst. Schließlich glauben sie: Wenn ich mich nicht verbiege, bin ich nicht in Ordnung und nicht liebenswert“, so Kirchmann. Aber Menschen, die sich scheuen, ihr Innerstes zu zeigen und anzusprechen, was wirklich in ihnen ist, fühlen sich einsam.
Nach 20 Jahren wieder glücklich verliebt
Im Leben des 66-jährigen Thomas ist nach über 20 Jahren Single-Dasein seine Jugendliebe Susanne wieder aufgetaucht. Seit drei Jahren sind die beiden nun ein glückliches Paar. Mit 64 Jahren zog Thomas das erste Mal mit einer Frau zusammen. Ironischerweise wirkt er, seit er in einer Beziehung lebt, auf andere Frauen attraktiver. Ihm kommt Wohlwollen entgegen, auch Flirtversuche.
„Wer hat, dem wird gegeben“: Das Bibelzitat bringt es auf den Punkt. Vom „Matthäus-Effekt“ spricht auch der Soziologe Janosch Schobin. Schon ein paar gut vernetzte Freunde sorgten für einen Fluss an Kontaktangeboten. Doch muss eine geringere Anzahl von Kontakten nicht immer negativ sein, betont er. Nicht auf die Quantität, sondern die Qualität kommt es an. Zudem wird das Alleinsein in Zeiten des Überflusses mehr und mehr auch als mitunter knappes Gut betrachtet.
Das Alleinsein aushalten
Vielen Menschen geht es nicht nur darum, das Alleinsein auszuhalten. Eine Auszeit ganz für sie allein ist ihnen wichtig. Das hat eine lange christliche und spirituelle Tradition. Janosch Schobin: „Eine bestimmte Form des positiven Selbstverhältnisses bekommt man nur, wenn keine andere Person anwesend ist.“
Während der heilige Antonius in die Wüste ging, um den Anfechtungen des Teufels zu widerstehen und die Begegnung mit Gott zu suchen, geht es heute eher um die Begegnung mit sich selbst und mit der eigenen Wahrheit. Das Lob der Einsamkeit findet man über die Jahrhunderte immer wieder. Lebten früher überwiegend Männer im Sinne eines höheren Ideals das Alleinsein, sind es heute vor allem Frauen, die sich gern auf sich selbst besinnen.
Weg mit dem schlechten Ruf!
Dennoch: Das Für-sich-Sein behält sein schlechtes Image. „In einer Zeit, in der Beziehungen von immer kürzerer Dauer sind und jeder Fünfte allein lebt, in der sich laut Umfragen nur 30 Prozent der Menschen niemals einsam fühlen, tun wir so, als dürfe es das alles überhaupt nicht geben“, ärgert sich Autorin Franziska Muri. Dabei gehörten diese Erfahrungen untrennbar zum Menschsein. Muri ist sich sicher: Gerade weil das Alleinsein einen schlechten Ruf hat, leiden so viele darunter.
Thomas jedenfalls kann seinem alten Leben nicht mehr viel abgewinnen. Ein bisschen bereut er es, dass er so lange allein geblieben ist. „Ich hätte mehr Mut haben und offensiver sein sollen“, glaubt er heute. Aber letztendlich ist alles gut geworden. Mit Susanne hat er die perfekte Frau gefunden. Und auch wenn er viel mit seiner Partnerin unternimmt, geht er auch manchmal eigene Wege – ein bisschen wie früher. „Auch bei der größten Harmonie ist es nicht gut, immer nur aufeinander zu hocken.“ Die meiste Zeit aber genießt er mit Susanne. „Der Mensch“, sagt Thomas, „ist eben ein soziales Wesen.“
>>>„Viele verwechseln Alleinsein mit Singlesein“
Doris Wolf ist Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin und schreibt psychologische Ratgeber, so auch das Buch "Einsamkeit überwinden" (PAL Verlag, 136 Seiten, 12,80 Euro). Daniela Noack sprach mit ihr über den Umgang mit sozialer Isolation.
Frau Wolf, was ist der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein?
Doris Wolf: Alleinsein heißt: Im Augenblick ist kein anderer Mensch anwesend. Wir haben dann die Chance, ganz zu uns selbst zu gehen und unsere eigenen Kräfte zu erleben. Einsamkeit ist ein Gefühl von Ausgeschlossen- und Verlassensein. Wir fühlen uns von anderen getrennt.
Wie einsam sind die Menschen, die zu Ihnen kommen?
Die Menschen kommen gewöhnlich nicht wegen Einsamkeit, sondern wegen Depressionen und Ängsten. In der Therapie kristallisiert sich dann heraus, dass sie unter Einsamkeit leiden. Das Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit gehört zu unserer menschlichen Natur. Umgekehrt kann Einsamkeit unsere Lebensfreude zerstören und unser Leben verkürzen. Obwohl so viele Menschen unter Einsamkeit leiden, trauen sich nur sehr wenige, offen darüber zu sprechen und damit auch, Hilfe zu suchen.
Welches sind die Gründe für Einsamkeit?
Es gibt eine ganze Reihe innerer und äußerer Gründe. Zu den inneren Gründen zählen negative Erfahrungen in der Kindheit. Wenn Eltern keine Liebe geben konnten, suchtmittelabhängig oder chronisch krank waren. Aber auch Armut oder körperliche Merkmale, die zu Ablehnung führen, oder ein anderer kultureller Hintergrund.
Und es gibt bestimmte neuralgische Lebensphasen wie eine Scheidung oder wenn die Kinder aus dem Haus gehen?
Ja. Äußere Gründe können außerdem sein: Tod von Freunden, Tod des Partners, ein Wohnort- oder Arbeitsplatzwechsel oder ein Umzug ins Heim. Auch eine Gehbehinderung, Blindheit oder eine chronische Erkrankung. Auch wenn der Partner eine schwere Krankheit hat, kann das zu Einsamkeit führen. Die Einsamkeit in Umbruchphasen muss nicht schädlich, sondern kann sogar hilfreich sein, uns neuen Umständen anzupassen. Sie deutet eine Veränderung in unserem Leben an und motiviert zum Handeln.
Sind junge, schöne und erfolgreiche Menschen weniger einsam?
Einsamkeit ist das Ergebnis unserer inneren Einstellung zu uns und dem Leben. Aber junge, schöne und erfolgreiche Menschen machen gewöhnlich häufiger positive Erfahrungen mit anderen, ihre Gesellschaft ist begehrter. So tun sie sich leichter, ein positives Selbstwertgefühl zu entwickeln. Aber man sollte sich nicht täuschen lassen. Einsamkeit gibt es auch in einem Leben, das nach außen hin perfekt erscheint. Beste Beispiele sind Promis, die sich dann das Leben nehmen.
Wie sieht es aus mit Einsamkeit in Beziehungen?
Es kommt darauf an, ob wir uns dem Anderen nahe und von ihm verstanden fühlen. Nicht wenige Menschen bleiben aus Angst, allein zu sein, in Beziehungen, die ihnen nicht gut tun. Sie sehen es als leichter an, schweigend oder streitend nebeneinander her zu leben, als zu riskieren, allein zu leben. Sie glauben, dann keinen Partner mehr finden zu können.
Apropos allein sein. Viele Menschen können das doch gar nicht mehr.
Viele sind nicht mehr in der Lage, ohne Ablenkung mit sich allein zu sein. Wenn wir allein sind, dann hören wir eher in uns hinein. Wir werden uns negativer Gedanken und Gefühle bewusst. Unerledigte Geschäfte aus der Vergangenheit kommen hoch. Die Gefühle von Angst, Trauer, Einsamkeit sind sehr unangenehm und wir Menschen haben das Bestreben, sie zu vermeiden.
Warum fühlen sich Menschen in einer Zeit, in der sie sich zu jeder Tages- und Nachtzeit auf sozialen Plattformen austauschen können, trotzdem einsam?
Viele Menschen verwechseln Alleinsein mit Singlesein. Sie glauben fälschlicherweise, sich einsam fühlen zu müssen, wenn sie keinen Partner haben. Sicher haben auch Sie schon einmal erlebt, dass Sie sich im Kreis vieler Menschen einsam und ausgeschlossen gefühlt haben. Andererseits haben Sie sich sicher auch schon einmal danach gesehnt, allein mit sich zu sein und die Ruhe zu genießen. Ob wir uns einsam fühlen oder nicht, hängt weniger davon ab, ob wir Single sind, sondern mehr von unserer inneren Einstellung.
Das Alleinsein als Phase zur Neuorientierung und Besinnung? Gibt es heilsame Auszeiten?
Ja. Auszeiten sind notwendig, um den Kontakt zu uns selbst nicht zu verlieren, unsere Gefühle und Wünsche zu spüren und Unerledigtes aufzuarbeiten. Es kommt darauf an, wie wir uns selbst begegnen, ob wir uns genug sind und uns zutrauen, unsere Probleme zu lösen.
Wie sieht es mit Menschen aus, die aus der Einsamkeit nicht herauskommen?
Es gibt drei Phasen der Einsamkeit. Die vorübergehende, die kurze Zeit anhält, ausgelöst zum Beispiel durch einen Krankenhausaufenthalt. In Phase zwei beginnt die Einsamkeit, unser Dauerbegleiter zu sein. Die Betroffenen verlernen, Kontakt zu anderen aufzunehmen oder sich zu unterhalten. Die chronische Einsamkeit schließlich kann Monate oder Jahre dauern. Die Betroffenen ziehen sich immer mehr zurück. Sie fühlen sich abgelehnt, überflüssig und unattraktiv.
Welche Wege führen aus der Einsamkeitsfalle?
Zum einen sollten Sie versuchen, das Alleinsein und das Singlesein mehr zu genießen. Behandeln Sie sich wie einen guten Freund. Wenn Sie die Einstellung haben, dass es sich nicht lohnt, sich etwas Schönes zu kochen oder dass ein Spaziergang allein keine Freude macht, behandeln Sie sich abschätzig. Zum anderen sollten Sie Ihr Schneckenhaus verlassen und mehr auf andere zugehen. Das kann ein Gespräch mit dem Nachbarn oder der Verkäuferin im Supermarkt sein. Interessieren Sie sich für andere. Schenken Sie ihnen ein offenes Ohr, Ihre Zeit oder ein Lächeln. Suchen Sie sich ein Hobby oder Ehrenamt. Das gibt Ihrem Leben Sinn.
>>> Weggehen um anzukommen: Alleinsein üben
Franziska Muri, Autorin von „21 Gründe, das Alleinsein zu lieben“ (Integral, 288 Seiten 19,99 Euro), empfiehlt für den Anfang Ausflüge und Reisen. Doch welche Auszeiten passen zu wem? Das sind ihre Vorschläge:
Städte: Der ideale Einstieg fürs alleine Reisen. „Man kann sich im Strom anderer Menschen frei bewegen und es gibt genügend Anregungen von außen.“
Besuchsreisen: Von Ort zu Ort pilgern, um alte Bekannte und Verwandte zu besuchen. „Eine gute Mischung aus Für-sich-Sein und Anschluss-Haben.“
Themenreisen: Wer auf den Spuren z.B. des Lieblingsdichters reist, hat ein imaginäres Du dabei.
Naturdenkmäler: Eine gute Mischung. „Man ist in der Ruhe der Natur, fühlt sich durch den ,offiziellen’ Charakter de Ziels aber nicht auf Abwegen.“ Auch bekannte Orte erneut zu besuchen, senkt die Hürde zu einer Solo-Reise.
Stille und Einkehr: Alleine-Sein für Fortgeschrittene. Klöster, Yogazentren, Schweigehäuser bieten vielfältige Angebote zur inneren Einkehr.