Essen. . Die Geschichte von Schloss Borbeck ist mit dem Damenstift und den Fürstäbtissinnen verknüpft. Hier waren weltliche und geistliche Macht vereint.
Blickt man nach Essen-Borbeck, ereilt einen nicht zuerst der Gedanke an ein Zentrum der Macht, an einen Hort von Reichtum. Und doch ist Borbeck für knapp 1000 Jahre genau dies gewesen. Erstmals erwähnt im Jahre 869 als Oberhof des bereits vor 850 von Altfrid, dem späteren Bischof von Hildesheim, gegründeten Damenstifts Essen. „Damals sollten die Frauen hier für ihn und seine Eltern und Geschwister beten. Es waren Jungfrauen, weil man davon überzeugt war, dass das Gebet von jungen Frauen besonders gut von Gott erhört wurde, besser als das von Mönchen“, berichtet Birthe Marfording, die die kulturhistorischen Führungen durch das Schloss leitet. „Das Stift Essen ist dann sehr früh sehr reich beschenkt worden und wir waren im Hochmittelalter eins der reichsten Stifte überhaupt. Normale Stifte hatten 1000 Höfe, die abgabenpflichtig waren, wir hatten 90 000. Es war wirklich Großgrundbesitz der damaligen Zeit.“
„Damit war Essen in der ersten Liga.“
Das Stift war ein religiöser Zusammenschluss von hochadligen Frauen, jedoch darf man es sich nicht als Nonnenkloster vorstellen: Die Stiftsdamen hatten anders als Nonnen keine Gelübde abgelegt, die hier herrschenden Fürstäbtissinnen übten zugleich kirchliche als auch weltliche Macht aus, sie waren Landesherrinnen. Und den ersten Machthöhepunkt erklomm Essen, als Mitte des 10. Jahrhunderts Mathilde, die Enkelin Ottos des Großen, ins Essener Damenstift gegeben wurde. „Damit war Essen in der ersten Liga. Das Faszinierende an dieser Mathilde ist nicht nur die Bildung, die sie mitbringt. Sie bringt auch einen enormen Reichtum mit. Nur an Gold bringt sie mehr in das Stift mit ein, als der Kölner Dom zur damaligen Zeit besaß“, sagt Marfording.
Von einer Burg kann da zwar noch nicht ausgegangen werden, aber von einer abteilichen Residenz. Erst im 14. Jahrhundert wurde nachweislich eine Burg errichtet, auf der die Fürstäbtissinnen herrschten. Die hatten zwischenzeitlich auch das Essener Münster bauen lassen, denn in Essen gab es ja damals keinen Bischof.
Emanzipation findet man an allen Ecken und Enden
Von hier aus übten die Fürstäbtissinnen als hochadelige Herrscherinnen über Jahrhunderte ihre Macht aus: „Und die hiesige Fürstäbtissin durfte den Kaiser mitwählen.“ Eine ungeheuere Machtposition für Frauen im Mittelalter, fast möchte man von Emanzipation sprechen.
„Diese Emanzipation findet man hier im Haus ja an allen Ecken und Enden, denn hierhin wurden die jungen Frauen ja nicht abgeschoben. Wer hier in das Stift hinein konnte, erfuhr das als eine Ehre. Und für die jungen Frauen war es gleichzeitig ein Heiratsmarkt. Sie waren so reich ausgestattet, dass sie notfalls von den Eltern vorgeschlagene Heiratskandidaten ablehnen konnten. Was in der damaligen Zeit eigentlich unmöglich war. Denn es ging ja nicht um eine Liebesheirat, sondern um politische Entscheidungen.“
Darüber standen nur Kaiser und Papst
Allein die Fürstäbtissinnen verzichteten gern darauf, denn sie hatten ein Amt, das man nur ungern abgab. „Wir waren ja ein reichsunmittelbares Stift, das heißt wir unterstanden nur Kaiser und Papst“, sagt Marfording, die auch schon selbst in ein Kostüm der Fürstäbtissin geschlüpft ist.
Zahlreiche Zeugnisse in der historischen Ausstellung im Schloss Borbeck berichten von der politischen Macht der Frauen, so etwa die gefälschte Gründungsurkunde des Stifts, mit der sich die Fürstäbtissinnen rückwirkend Rechte und Privilegien verbrieften, die sie in Wahrheit erst Jahrhunderte nach der Gründung zugesprochen bekamen.
1803 war es in Borbeck dank der Säkularisation vorbei mit der Macht der Fürstäbtissinnen. Preußen verkaufte das Schloss an den Adel, 1826 erwarb Clemens von Fürstenberg das im 18. Jahrhundert im barocken Stil umgebaute Wasserschloss.
5000 Sitzplätze für Gäste im Park
Eine Hochzeit erlebte Schloss Borbeck in den 20er Jahren, als es zu einem Hotel wurde. „Hinter dem Haus im Park gab es eine Außengastronomie mit 5000 Sitzplätzen. Die Kellner erzählten in der damaligen Zeit, sie hätten an den Wochenenden gerne Rollschuhe an den Füßen gehabt, um die Leute schnellstmöglich bedienen zu können.“ Kutschfahrten im Park, Wolfs- und Affengehege – es waren auf Schloss Borbeck goldene 20er-Jahre. „Es gab noch nicht den Baldeneysee und den Grugapark. Deshalb war Schloss Borbeck das Erholungsgebiet für die gesamte Umgebung. Die Essener Straßenbahnen setzten Sonderwagen an den Wochenenden ein, um bis zu 10 000 Menschen hierher zu bringen“, so Marfording.
Heute sieht man dem Haus von außen noch eine schlichte Pracht an, im Inneren zeugt nach mehreren Kernsanierungen vieles von nüchtern-moderner Eleganz, wie es der aktuellen Nutzung entspricht: Außer der historischen Ausstellung hat das Haus einen ausgezeichneten Konzertsaal für Alte Musik, Kammermusik und Jazz. Geheiratet werden kann standesamtlich, kirchlich und frei. Und wer das feiern will, kann es im Restaurant „Zur Münze“, das eine Terrasse zur Gräfte hin hat. Im Nebengebäude, erbaut in den 1840er-Jahren, ist Folkwangs Musikschule untergebracht. Von einem Ort der Macht wurde Schloss Borbeck so zu einem Ort der Muse.