Gelsenkirchen. . Die Wasserburg Lüttinghof ist das älteste erhaltene Bauwerk in Gelsenkirchen. Innen trifft altes Gemäuer auf moderne Einrichtung.
Schon als elfjähriger Junge wollte er die Burg erobern. Aber ein Kettenhund – „so groß wie ein Kalb“ – ließ den jungen Karl-Heinz nicht über die Brücke. „Die Kette war so lang. Egal von wo ich es versuchte, man kam nicht drauf“, sagt der Mann, den kaum noch einer Karl-Heinz und die meisten Carlo nennen, Carlo Philippi. Heute darf der 62-Jährige das Anwesen betreten. Schließlich ist er der Burgherr.
Genau genommen ist der Landschaftsverband Westfalen-Lippe der Besitzer von Lüttinghof, aber Philippi hat das Anwesen seit rund fünf Jahren gepachtet, nachdem Gastronomen vergeblich ihr Glück versucht hatten. Philippi hat sich gegen ein Restaurant entschieden. Er vermietet lieber die Burg für private und Firmenfeiern, für Trauungen und Seminare.
Anfangs hat er auf Lüttinghof zu einem dreitägigen „Kultur-Sommer“ geladen. Doch nach dem dritten Mal entschied er sich dagegen, wegen der „Work-Life-Balance“. „Das war so viel Arbeit!“ Dabei scheut er sie nicht. Mit einem Freund hat er nun noch die Werkstatthalle der ehemaligen Zeche Rheinpreußen in Moers aufgemöbelt. Ebenfalls für Veranstaltungen.
Burg wurde Anfang des 14. Jahrhunderts errichtet
Aufgewachsen ist Philippi in der Nähe, im Dorf Polsum, das seit 1975 zu Marl zählt. Gearbeitet hat er lange als Führungskraft der BP-Raffinerie Scholven. „600 Meter Luftlinie.“ Schmunzelnd erzählt Philippi: „Als ich meinem Vater, er ist heute 91, das alles hier gezeigt habe, sagte er: ,Mein Sohn, ich muss feststellen, du hast es nicht weit gebracht.’“
„Freiherr von Twickel“ ist auf dem Sandstein-Wappen über dem Eingang zu lesen. 1729 wurde er mit Lüttinghof belehnt. „Das war das letzte Adelsgeschlecht, das hier aufsaß“, erzählt Philippi. Anfang des 14. Jahrhunderts wurde die Burg errichtet. Damit ist sie das älteste erhaltene Bauwerk in Gelsenkirchen. Im Keller, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg Kühe und Schweine untergebracht waren, sieht man noch die Ursprünge der Burg: eine 1,20 Meter dicke Wand.
Herren von Nesselrode gestalteten den Park um
Schützende Mauern brauchten die Bewohner. Denn einige waren sehr kampfeslustig. Einer trieb im 15. Jahrhundert 800 Stück Vieh von Essener Weiden auf die Lüttinghofer Ländereien. Der nächste raubte durchziehende Handelsreisende aus. Im 16. Jahrhundert belagerten allerdings niederländische, protestantische Soldaten die Burg. Bei einer Schlacht starben mehrere Hundert Menschen.
Die Herren von Nesselrode gestalteten das Haus und einen Garten im 18. Jahrhundert um – im Stil des Barock. Der Park, in dem früher noch Skulpturen standen, wurde auf einer Insel in der Gräfte angelegt. Nur eine Brücke gegenüber dem Burgeingang führt hinüber. Der vordere Bereich des Parks ist gemäht – für den nächsten Hochzeitsempfang. Den Rest überlässt Philippi der Natur. Während er das erzählt, läuft wie bestellt ein Eichhörnchen am Tor zur Insel vorbei.
Kontrast zwischen Alt und Neu
Tritt der Besucher über die Schwelle des Hauses, erstaunt er nicht nur über die großen Fenster, mit denen man einst versuchte, die Burg in ein Schloss zu verwandeln. Auch eine Ritterrüstung sucht er hier vergebens. Man kann es einerseits schade finden, dass in der Burg kein Originalmöbel zu finden ist.
Andererseits zeichnet dies die Burg gerade aus. Hier hängt kein alter Wandteppich, in dem sich der Staub fängt. Kein hölzernes Wagenrad mit Kerzen. Die Einrichtung ist zurückgenommen, weiß, modern. Und dieser Kontrast zwischen Alt und Neu macht Lüttinghof so besonders. Damit sich das Ganze auch vermarkten lässt, nennt Philippi das Haus: „Lüttinghof, die Burg im Wasser“.
Sandsteinkamin ist ein Abdruck des Originals
Bedauerlich ist allerdings, dass der Kamin im sogenannten Rittersaal nicht nur makellos neu aussieht. Er ist es auch. Obwohl dort die Jahreszahl 1688 zu lesen ist. Der letzte Freiherr von Twickel habe den Originalkamin mitgenommen, als er die Burg in den 1970ern verkaufte, so Philippi. Der heutige Sandstein-Kamin sei nur ein Abdruck des Originals. Trotzdem freut sich Philippi über das Prachtstück mit all seinen Putten. „Der Kamin ist voll funktionsfähig, so etwas haben nur wenige Burgen.“
Eine Vorburg hatte Lüttinghof einst auch, aber die verfiel. Und so setzte man 1991 an die gleiche Stelle einen modernen Backsteinbau, in dem heute Firmen angesiedelt sind. Philippi hat dort auch ein Büro für seine Coaching-Firma, mit Blick durch große Fenster auf die Gräfte.
Vor der Burg befindet sich ein Kuchengarten
Das Häuschen, von dem aus der Hund das Anwesen einst überwachte, steht noch. Aber heute kläfft dort kein Kettenhund mehr. In einer neuen Holzhütte dahinter backen sonntags Studenten Waffeln. Vor der Burg hat Philippi einen Kuchengarten eingerichtet. Eigentlich hätte er gerne noch mehr von den selbst gezimmerten Holzbänken aufgestellt. Aber mehr Platz blieb ihm nicht.
Auf der Wiese steht ein Denkmal. Ein neuer Gast wird lange danach suchen. Er muss schon mit den Fußspitzen das Moos abreiben, um es zu erkennen: Im Boden ist der Grundriss der alten gotischen Kapelle mit Steinen nachgelegt. Die Grundmauern stammen mindestens aus dem 16. Jahrhundert. Die Kapelle stand hier noch bis 1974.