Bochum. . Helga Klinka ist dem Tod sehr nahe. Sie hat einen letzten Wunsch – eine Feier zu ihrer Diamantenen Hochzeit. Eine Fahrt mit dem Wünschewagen.

Die Meisten möchten ans Meer. Oder ins Theater. Oder zum Fußball. Helga Glinka möchte – in die Kirche. Einmal noch. Ihre Tochter möchte das auch und die ganze Gemeinde: dass Helga, 81, ihre Diamanthochzeit feiern kann, mit ihrem Mann Werner und mit Gott. So wie sie alle Hochzeiten gefeiert haben, die Grüne, die Silberne, die Goldene.

Vielleicht ist es nicht einmal der wirklich letzte Wunsch von Helga Glinka aus Essen; sie ist eine zähe alte Dame, und ihre Pflegerin sagt ihr seit Jahren: „Gestorben wird nicht!“ Aber der Wunsch ist groß und wichtig: Deshalb fährt der Wünschewagen des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) Ruhr sie hin.

Keine Bitte abwegig, kein Weg zu schwer

Stolz und sehr aufrecht sitzt Helga Glinka in ihrem Rollstuhl. Der Friseur war da, die fein gestickte Bluse hing schon seit April abgesteckt am Schrank: Die 81-Jährige ist schmal geworden, der Krebs hat viel von ihrem Körper genommen, auch von ihrem kraftvollen Lächeln, das noch von ihrem Goldhochzeits-Foto strahlt. Trotzdem sind es nicht die Kopfstützen, die ihr hoch erhobenes Haupt halten.

Das ist das, was die Gemeinde in Bochum sieht. Was sie nicht sieht, weil sie längst drinnen sitzt an rosa geschmückten Kaffeetafeln, ist: wie Helga Glinka hergekommen ist. Mit diesem blau-weißen Krankenwagen, im Liegen, angeschnallt auf einer Trage. Das Auto hat Fenster, immerhin, eine blaue Daunendecke mit Sternchen, Gardinen und im Kühlschrank Schokolade – aber es bleibt ein Krankenwagen. Auf der Motorhaube steht die ganze Wahrheit: „Letzte Wünsche wagen.“

Mit diesem Gefährt und seit diesem Jahr noch einem zweiten macht der ASB Ruhr möglich, was sterbenskranke Menschen noch einmal tun wollen. Keine Bitte zu abwegig, kein Weg zu schwer: Was geht, wird gemacht. Helga Glinka wollte nur nach Bochum, aber ohne dieses Auto, ohne Krankenschwester und Sanitäter, hätte sie nicht mehr herkommen können. Wahrscheinlich nie mehr. Sie war schon lange nicht mehr vor der Tür.

„60 Jahre verheiratet, können Sie sich das vorstellen?“

An diesem Tag ist sie früh aufgestanden, sie haben ihr aus dem Bett geholfen, das im Wohnzimmer steht, mit Blick auf den englischen Rasen im Garten. Schwester Danny und Ehemann Werner haben sie hübsch zurechtgemacht, sie sitzt auf dem Sofa, als der ASB kommt. „Schmeißen Sie mich nicht hin!“, ermahnt sie die Leute vom Wünschewagen, das klingt streng, aber man kann die Freude dahinter hören. „60 Jahre verheiratet, können Sie sich das vorstellen?“

Es ist alles, was Michael Tersteegen und Julia Wicher wissen. „Diamanthochzeit“ steht auf dem Ordner, der morgens hinter der Windschutzscheibe ihres Wünschewagens lag. Drin steht: dass der Arzt einverstanden ist. Dass der Fahrgast „im Notfall reanimiert werden“ will. Die Krebsdiagnose, „Stadium IV“. Hinten liegt eine Patientenverfügung.

Ansonsten wissen sie nur: „Es gibt nichts Ehrenwerteres, als einen letzten Wunsch zu erfüllen.“ Sagt Michael, 39, Schulbusfahrer aus Oberhausen. „Eine Herzensangelegenheit“, sagt Julia, 26, Krankenschwester aus Mülheim. „Man denkt ja, wenn man so jung ist, über das Leben noch nicht nach.“

Todkranke bäumen sich für letzten Ausflug auf

Dabei tut sie genau das doch, immer, wenn sie in ihrer Freizeit den Wünschewagen fährt. Sie sind alle Ehrenamtliche beim ASB Ruhr, Wünscheerfüller in ihrer Freizeit. Diese beiden waren schon an der niederländischen Nordsee und im Schwarzwald, sie waren Tiere füttern im Zoo und Backfisch essen in Hamburg. Was die Menschen so mögen in ihren letzten Tagen.

Michael und Julia haben erlebt, wie sich Todkranke für diesen letzten Ausflug noch einmal aufbäumen, wie sie kaum Sauerstoff brauchen, selten über Schmerzen klagen – und manchmal kurz darauf erschöpft, aber mit einem Lächeln einschlafen.

Urenkel streuen Blumen für das Brautpaar

Helga Glinka hat das nicht vor. Sie fürchtet noch um die heimische Wiese („Nicht drüberfahren!“) und bestellt, einmal gebettet, „Prosecco mit Erdbeeren“. Michael Tersteegen zaubert sogleich einen eisgekühlten Piccolo hervor, Helga ist so überrascht, dass sie ablehnt. Später, im Gottesdienst, streuen die Urenkel Blumen für das „Brautpaar“, dem man Bestes „für den weiteren Lebensweg“ wünscht. Als Schwester Danny bei den Glinkas anfing, sagte man ihr, es sei nicht für lange, nun ist sie schon vier Jahre da.

Sieben Stunden hält Helga Glinka durch, es gibt Kaffee, Kuchen und hundert Glückwünsche, sie sitzt und lächelt, Schwester Danny sagt: „Wie Queen Mum.“ Als der Gatte zum Aufbruch drängt, sagt seine Frau nur: „Wenn du meinst. . .“ Die Familie ist überzeugt: „Sie wollte nicht nach Hause.“ Schade, hat Helga gesagt, es war ihr erster Satz am Telefon, „schade, jetzt ist alles vorbei“.

Dabei war es nur der Hochzeitstag, „sehr genossen“ hat sie ihn, ihr Mann Werner sagt: „Wir sind froh und dankbar.“ Er hat keine Geschenke gewollt, nun fließen Spenden an den Wünschewagen zurück, der ohne Geld nicht rollt. Noch einmal wird Helga Glinka nicht in die Kirche kommen. Aber dieser letzte Ausflug hat ihre Akkus aufgeladen. Der Schwiegersohn sagt, es hat sie „aufgebaut, wie soll ich das sagen: beflügelt“!

>>HIER WIRD TODKRANKEN EIN LETZTER WUNSCH ERFÜLLT

In elf Bundesländern sind Wünschewagen des ASB inzwischen unterwegs. Zwei Autos mit Parkplatz in Essen decken das ganze Ruhrgebiet ab. In anderen Städten NRWs rollt zudem der Herzenswunsch-Wagen des Malteser Hilfsdienstes.

Spenden: ASB RV Ruhr e.V., IBAN: DE79 3702 0500 0007 270800. Stichwort: Wünschewagen