Essen. Kleine Kinder können die Zeit noch nicht begreifen. Stundenlang im Auto zu sitzen, fühlt sich für sie unendlich an. Aber das muss nicht sein.

Der Wagen hat die Stadtgrenze noch nicht erreicht, da tönt es schon von hinten: „Wann sind wir denn da?“ Ja, wann denn? „In sechs Stunden!“ Mit dieser Antwort kommt man bei Vorschulkindern nicht weit. Minuten später fragen sie wieder: „Wann sind wir denn endlich daaaa?“ Kleine Kinder verstehen die Zeit noch nicht so, wie es Erwachsene tun. Doch Eltern können etwas machen, damit sich die Fahrt zum Ferienort für alle bereits ein bisschen wie Urlaub anfühlt.

Kinder müssen erst lernen, was Erwachsene meinen, wenn sie sagen: Wir müssen in fünf Minuten los! Wir kommen in fünf Stunden an. Wir bleiben dort fünf Tage. Ein Baby lebt komplett im Hier und Jetzt. Wenn die Mutter den Raum verlässt, weiß es nicht, dass sie nach kurzer Zeit wieder zurückkommt. Und auch Kleinkinder verstehen noch nicht, was Vergangenheit und Zukunft ist und dass der Tag 24 Stunden hat.

Kinder orientieren sich an Ritualen

Rituale strukturieren die Tage der Kinder. Sie verstehen, dass nach der Lesezeit im Bett Schlafenszeit ist. Und dass das Wochenende etwas anderes ist, weil dann beide, Mama und Papa, mit ihnen zusammen etwas unternehmen.

Man kann Kindern auch im Auto eine Uhr in die Hand drücken und sagen: „Wenn der große Zeiger auf der Zwölf steht und der kleine auf der sieben, dann sind wir da!“ Aber Kinder können so noch nicht die Uhrzeit verstehen. „Die Uhr wird dann zu einer Art Spielzeug. Aber was passiert, bis der Zeiger dann da steht?“, sagt Zeitforscher Karlheinz Geißler. „Das ist eine Abstraktionsfähigkeit, die entwickelt sich erst mit sechs, sieben Jahren.“

Eva Hofmann, Spielpädagogin aus Essen.
Eva Hofmann, Spielpädagogin aus Essen. © Lichtschacht-Essen

Wie kann man Kindern also die Zeit begreiflich machen? Indem man sie an Erfahrungen erinnert, die sie bereits gemacht haben. „Noch dreimal schlafen, dann fahren wir los.“ Eva Hofmann, Spielpädagogin aus Essen: „Wenn mein Mann gefahren ist, habe ich an die Autodecke gezeigt. Also da ist Essen, da ist Köln, da sind wir und daaa wohnt die Oma. Dann hieß es immer: ,Das dauert aber noch lange.’“ Zumindest konnten ihre Kinder nun „sehen“, wie lange sie noch unterwegs sind.

„Schlaf jetzt noch ein wenig. Wenn du wach bist, sind wir dann bald da“, versuchen andere Eltern, ihren Kindern die Fahrt zu verkürzen. Aber wer hellwach und angeschnallt ist und dabei am liebsten rumtoben möchte, findet das einfach nur schrecklich langweilig: „Wie lange noch?“

Und das empfinden natürlich auch Grundschulkinder genauso, dabei können sie „gestern“ von „morgen“ unterscheiden und „sofort“ von „demnächst“. „Die Fahrt dauert so lange wie vier Folgen Sesamstraße“, ist ein weiterer Versuch, die Fahrtzeit griffig zu machen. Doch die Zeit vorm Fernseher vergeht wie im Flug, während die Zeit im Auto unendlich wirkt. Zeit ist nun mal subjektiv. 90 Minuten lang ein spannendes Fußball-Spiel zu verfolgen, fühlt sich für Erwachsene auch viel kürzer an als 90 Minuten im Wartezimmer zu sitzen.

Kleine Spielzeugsammlung mitnehmen

Das Einzige, was wirklich hilft, damit Kinder nicht murren und Eltern nicht genervt das Lenkrad würgen: Die Fahrtzeit in Spielzeit verwandeln (siehe Tipps unten). „Es gibt Taschen, die man am Vordersitz befestigen kann“, empfiehlt Hofmann von ABA – „Verband für handlungsorientierte Pädagogik“. Dort ist dann Platz für ein kleines Buch, Stifte, ein Spielzeugauto. Das Kind kann sich so auch selbst beschäftigen.

Aber wenn alle schon mal beisammen sind, kann man die Zeit natürlich auch gemeinsam genießen: „Vier von sechs Personen, die allein im Auto sitzen, fangen das Singen an“, sagt Zeitforscher Geißler. Also warum nicht auch zusammen ein Lied anstimmen? „Damit die Kinder die Autobahn vergessen können.“

Pausen in der Natur machen

Pausen sind auch wichtig. Bereits ein kleiner Stopp halte Kinder bei Laune, so Hofmann: „Einmal ums Auto rennen, über eine Bank springen, nach ein paar Minuten weiterfahren.“ Geißler empfiehlt, nicht nur an Raststätten Halt zu machen. Auch mal abfahren und sich länger in der Natur aufhalten. Dann fühlt sich die Fahrt nicht mehr endlos an.

Wer mit dem Zug in den Urlaub fährt, kann sich vorab einen Sitzplatz mit Tisch reservieren, an dem man spielen kann, so Hofmann. „Man sollte keine hektischen Spiele mitnehmen wie Halli Galli oder Ligretto.“ Falls Mitreisende Ruhe suchen, ist es schließlich nicht förderlich, wenn es ständig bimmelt und Kinderhände auf den Tisch knallen.

Ruhige Spiele für das Zugabteil

Quartett oder Memory seien da besser, so die 50-Jährige. Außerdem kann man in vielen Fernzügen ein Kleinkindabteil buchen. „Dort können Kinder etwas laufen und toben.“

Der Zeitforscher Geißler aus München, der selbst keine Uhr trägt – „Ich ertrage die Uhr nur.“ –, empfiehlt, die Ferienzeit zu nutzen, um mal wieder nach dem Rhythmus der Natur und nicht nach dem Takt der Uhr zu leben. Termine bestimmen den Alltag. Aber der Körper wird ohne Wecker nicht Punkt 7 Uhr wach, sondern mal etwas früher, mal etwas später. Durch diese strenge Vertaktung des Lebens verlieren die Menschen ihre Lebendigkeit, so der 72-Jährige.

Von den spontanen Stimmungen leiten lassen

Die Kleinsten, bevor sie in der Schule zu Uhrzeitmenschen erzogen würden, lebten noch nach dem natürlichen Rhythmus. „Kinder kennen keine Pünktlichkeit, die kennen nur Bedürfnisse.“ Also nicht den ganzen Urlaub durchplanen – wann man einen Ausflug macht, wann zum Strand fährt. Lieber der momentanen Stimmung und dem Wetter folgen. Und man müsse auch nicht in acht Stunden am Urlaubsort sein. Eine Übernachtung zwischendurch ist bereits ein Erlebnis, von dem alle noch lange Zeit zehren.

>> SPIELE FÜR DIE FAHRT

Kleine Spiele, für die man nichts weiter braucht als Köpfchen und Fantasie, lassen die Zeit im Auto bis zum Urlaubsort viel schneller vergehen. Denn es gibt noch mehr als „Ich sehe was, was du nicht siehst“.

Rätselraten

„Wenn ich es kaufe, ist es schwarz, wenn ich es benutze, ist es rot, und wenn ich es wegwerfe, ist es weiß – was ist das?“ Spielpädagogin Eva Hofmann empfiehlt solch einfache Kinderrätsel, bei denen alle im Auto mitknobeln können. Noch ein Rätsel gefällig? „Harte Schale, leckerer Kern, wer mich knackt, der isst mich gern?“ Lösung 1: die Grillkohle. Lösung 2: die Nuss.

Geschichten erzählen

„Im großen dunklen Wald da haust ein . . .“, fängt einer im Auto an, eine Geschichte zu erzählen. Welches Wesen dort haust, kann sich der nächste ausdenken. Was das Wesen erlebt, führt der dritte Erzähler fort. Oder man fährt an einer Stadt vorbei, über die es etwas zu erzählen gibt, etwa die Geschichte von den Bremer Stadtmusikanten oder dem Rattenfänger von Hameln.

Geschwindigkeit schätzen

Für etwas größere Kinder: Alle schließen die Augen. Bis auf den Fahrer natürlich. Dann wird geraten, wie schnell das Auto gerade fährt. Wer am nächsten drankommt, hat gewonnen.

Wo ist der Fehler?

Ein Spieler denkt sich Wörter aus, die zusammengehören. Nur ein Begriff passt nicht in die Reihe. Die anderen Mitfahrer müssen sagen, welches Wort rausfällt. Etwa bei: Huhn, Schwein, Kuh, Zebra, Pferd.

Fragen finden

Einer im Wagen denkt sich eine Antwort aus und der nächste muss überlegen, welche Frage dazu passen könnte. Eine mögliche Antwort: „Mir macht die Kälte nichts aus, wenn ich es das erste Mal im Sommer sehe, muss ich einfach reinspringen.“

Wörter-Tennis

Ein Spieler gibt ein Thema vor, etwa Automarken oder Tiere. Dann geht es reihum: „Maus!“ Der nächste: „Katze!“ Und so weiter. Buchtitel funktionieren natürlich auch: „Harry Potter“, „Pippi Langstrumpf“, „Momo“. . .

Schweigen

Für Eltern, die ein wenig Ruhe beim Fahren brauchen, empfiehlt sich das Spiel: Schweigen. Wer schafft es am längsten, nichts zu sagen? Auch wer lacht, hat verloren. Mit Grimassen-Schneiden wird die Zeit auf der Rückbank am Ende doch noch lustig: „Sind wir schon da?“

Mehr solcher Anregungen gibt etwa André Gatzke in „Das André Spielebuch“ (Beltz, 388 S., 22,95 €, ab 5)