Essen. Trendforscher Matthias Horx beschreibt neue Perspektiven von Liebe, Sex und Familie. Er findet auch Ansätze für reifes Handeln in Beziehungen.
Matthias Horx schaut beruflich für uns in die Zukunft. Während der Trendforscher sich sonst mit Technologie, Politik und Wirtschaft auseinandergesetzt hat, kreist sein neues Buch „Future Love“ um eines der ältesten Themen der Menschheit, um die Liebe – und wohin sie sich entwickeln könnte. Wir sprachen mit ihm über Liebesroboter, Beziehungsverträge, die Liebe zu uns selbst und die lebenslange Lust am eigenen Partner.
Herr Horx, die Liebe lässt sich schlecht in Zahlen fassen. Wie haben Sie dieses Thema als Forschungsobjekt für sich entdeckt?
Horx: Seit Erich Fromms „Die Kunst des Liebens“, erschienen in den 60er-Jahren, gibt es kaum ein Buch, in dem die Liebe als ganzheitliches Phänomen beschrieben wird.
Sie beschäftigen sich unter anderem mit Liebesrobotern wie im Film „Ex Machina“ oder „Westworld“. Sogar mit künstlicher Intelligenz, die uns seelenverwandt ist. Sind wir nicht sehr weit davon entfernt?
Das ist keine Frage der technischen Machbarkeit mehr. Wir werden irgendwann in der Lage sein, Roboter sehr menschenähnlich, weich und fleischlich herstellen zu können. Das würde uns ja sogar viele Schwierigkeiten ersparen, im Bett und im Zusammenleben. Aber wir werden einen Riesenhorror davor bekommen. Denn je menschenähnlicher Roboter werden, desto mehr gruseln wir uns vor ihnen. Im Buch bringe ich das Problem, das daraus erwächst, auch auf die Frage: Wie weit können wir uns selbst eine Simulation von Seele einreden?
Sie entwerfen aber noch andere Szenarien für die Beziehungen von morgen, etwa Liebes-Deals und Partner-Verträge für Lebensphasen. Klingt das nicht allzu unromantisch?
Es wäre doch eine Möglichkeit, dass man unsere Liebe durch Verträge und Abmachungen wieder auf den Boden der Tatsachen zurück stellt. Weil wir gar nicht wissen können, ob wir mit einem Menschen ein Leben lang zusammen glücklich werden. Also versuchen wir’s doch mal mit dem, was man so zynisch eine Lebensabschnittspartnerschaft nennt. Das widerspricht natürlich dem romantischen Ideal. Aber warum sind wir nicht ehrlich? Warum machen wir nicht das, was ich eine romantische Rationalität der Liebe nennen würde? Man kann abmachen: Wir probieren uns mal ein Jahr aus. Das wäre doch sehr vernünftig, oder? Es geht ja dabei auch darum, das Scheitern einer Beziehung zu vermeiden.
Was würden Sie jenen Menschen vorschlagen, die weder mit Robotern noch Verträgen ihre Zukunfts-Beziehungen regulieren wollen?
Eine dritte Variante wäre, erwachsen zu werden und zu verstehen, wie man lebenslange Leidenschaft auch leben kann.
Lebenslange Leidenschaft? Gibt es das überhaupt?
Ich habe festgestellt: Das erotische Verlangen verblasst nicht durch die Dauer der Beziehung, sondern weil einer oder beide Partner aufhören, sich selbst weiterzuentwickeln. Der Sexualpsychologe David Schnarch hat anhand von unzähligen Paaren erforscht, was eigentlich passiert, wenn die Leidenschaft im Bett kaputt geht.
Was ist dabei herausgekommen?
Er hat festgestellt, dass es immer dann passiert, wenn man in der Sexualität solche Machtspiele austrägt, die noch aus der Kindheit stammen. Verweigerung des einen, Unlust, wenn man sich nicht weiterentwickelt, sondern in kindliches Verhalten zurück verfällt. Dann fühlt man sich selbst nicht mehr begehrenswert. Und begehrt den anderen auch nicht. Das mündet in eine Abwärtsspirale.
Aus der es einen Weg heraus gibt?
Schnarch hat ein Therapieprogramm aufgebaut, in dem er die Paare durch Liebe zu sich selbst und durch Selbstentwicklung wieder in die erotische Spannung geführt hat. Sie müssen verstehen: Wenn man sich ein Stück weiterentwickelt, wenn man etwas schafft im Leben und über sich selbst hinaus wächst, dann wird man wieder sexy. Für sich selbst und für den anderen. Ich nenne das „coevolutionäre Liebe“.
Und diese Vorsilbe „co-“ steht für Gegenseitigkeit?
In den wirklich gelungenen coevolutionären Liebesverhältnissen, die ich kenne, geht es ja darum, dass beide stark werden. Es geht eigentlich darum, dass wir geistig, seelisch und mental wachsen, in und durch die Liebe. Man muss sich gegenseitig dieses Wachstum ermöglichen, dann entstehen langfristig diese Umwandlungsprozesse. Für mich ist Liebe eine Wandlungskraft.
Das scheint von beiden Seiten der Beziehung sehr viel psychische Stärke zu erfordern...
Das ist ein Paradox der Liebe: Sie ist in dem Moment wirklich großartig, wenn sie Freiheit bedeutet. Im Grunde liebt man sich als Paar dann am meisten, wenn man auch ohne den anderen auskommen könnte.
Was haben Sie beim Schreiben des Buchs für die eigene Beziehung gelernt?
Ich habe fünf Jahre daran geschrieben, es ist ein begleitender Text zu dem, was in meiner eigenen Liebe und meiner Partnerschaft entstanden ist. Wir sind jetzt als Paar genau an dem Punkt, an dem die Kinder aus dem Haus gehen. Das ist der Punkt, an dem sich jedes Paar neu erfinden muss. Und dabei hat uns der Ansatz der coevolutionären Liebe sehr geholfen.
>>>Das Buch „Future Love“ von Mattias Horx
Wie funktioniert die Liebe? Und wo steuert sie hin? Trendforscher Matthias Horx holt in seinem Buch „Future Love“ weit aus, um zu Erkenntnissen darüber zu gelangen, wie wir in Liebesangelegenheiten ticken – und warum es so ist. Er stellt etwa fest, dass wir zehntausende Jahre brauchten, um von einer nomadischen Lebensweise der Jäger und Sammler zu einer landwirtschaftenden und sesshaften Kultur zu wechseln – und heute durch die zunehmende Mobilität und Globalisierung dabei sind, uns wieder stärker zu nomadisieren. Dabei verlassen wir auch das nach dem Zweiten Weltkrieg geprägte Bild der Kleinfamilie – und erweitern unsere Familien um selbstgewählte Mitglieder aus realen oder gar virtuellen Clans.
Der Trendforscher beschäftigt sich auch mit dem gewaltigen Boom der Partnerbörsen – und ihrem häufigen Misserfolg. Er zitiert dazu den Beziehungsforscher Harry Reis: „Die rationalen Kriterien der Partnerwahl sind komplette Pseudo-Wissenschaft.“ Was heißt: Mehr als eine Kontaktanbahnung nach oberflächlichen, teils gar nicht vergleichbaren Kriterien können sie gar nicht liefern. Alles, was darüber hinaus an Chemie zwischen zwei Personen entsteht, ist reiner Zufall.
Zwischen Querdenkerei und Bodenständigkeit
Horx stellt zudem verschiedene Lebens- und Beziehungsmodelle vor, Monogamie, Polyamorie bis hin zu Menschen, die sich am liebsten selbst heiraten würden.
Dabei werden auch diejenigen, die sich in Liebesdingen gut auskennen, Neues entdecken und zu der ein oder anderen Selbsterkenntnis gelangen. Horx wahrt die Balance zwischen quer gedachten Modellen von Beziehungen und einer wohltuenden Bodenständigkeit, die sich aus seiner Lebenserfahrung speist. Ein kluger Beitrag zu einem der wichtigsten Themen der Welt