Bochum. Früher genügten selbstgebackener Kuchen und Topfschlagen. Heute müssen Kindergeburtstage Events sein, die Eltern eine Menge mehr abverlangen.

„Ein Kurztrip im Flieger für zehn Mitschüler ins Disneyland nach Paris? Eine Castingshow für Mini-Models mit Jury und Catering? Oder doch lieber die „Piraten der Karibik“-Mottoparty stilecht an Bord eines Segelschiffs? Aber auch dort, wo die Messlatte niedriger hängt, werden für Minigolf im Schwarzlicht mit anschließendem Pizzeriabesuch schnell an die 300 Euro fällig. Früher genügten selbstgebackener Kuchen, Würstchen mit Kartoffelsalat und Topfschlagen. Heute müssen Kindergeburtstage Events sein, die Eltern eine Menge mehr abverlangen. Nervlich und auch finanziell.

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Für Familien, die Leistungsempfänger oder Geringverdiener sind, ist die finanzielle Seite tatsächlich ein Problem“, sagt Michaela Wiedemhöver. „Da ist mein Kind hintendran“, diesen traurigen Satz hört die 52-Jährige häufiger. Die Erziehungswissenschaftlerin ist seit 17 Jahren für den „Sozialdienst katholischer Frauen Bochum e.V.“ (SkF Bochum) tätig. Als Geschäftsführerin kümmert sie sich ums Organisatorische, arbeitet aber auch im praktischen Bereich. Um ihrem Kind trotzdem Anerkennung zu verschaffen, versuchten solche Eltern bisweilen, durch besonders aufwändige Gastgeschenke zu punkten: „Die sie sich eigentlich gar nicht leisten können“. Oder machten Schulden, damit auf dem Gabentisch die gleichen Markenklamotten und Smartphones liegen wie bei den Mitschülern. Und das ganze Jahr über wird für die Geburtstagsfeier gespart.

Neue Wege gehen

Feste Vorstellungen davon, wie die auszusehen hat, existieren nicht nur in den Köpfen eingeladener Kinder und in denen ihrer Eltern: „Lehrer erwarten, dass zu einem Geburtstag von den Müttern etwas vorbereitet und mit in die Klasse gebracht wird.“ Die Sicherheit, sich über die herrschende „Geburtstagsetikette“ hinweg zu setzen, besäßen vor allem Eltern ohne Geldnöte: „Dafür braucht man Selbstbewusstsein, das man dann auch an seine Kinder weitergibt.“

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Aber wer neue Wege geht, muss wissen, wie „man’s richtig anpackt. Man braucht Leute, die dabei sind und richtig Spaß daran haben.“ Neulich haben Wiedemhöver und ihr Mann für eine Geburtstagsgruppe eine Schnitzeljagd im Park veranstaltet: „Dabei erlebt man Überraschungen, die man gar nicht planen kann. Wir haben ein elternloses Entenküken gefunden – und sowas hatten die Kinder noch nie erlebt.“

Kreativität fördern

Auch Dr. Birgit Leyendecker findet, dass man jenseits der Bezahlpfade tolle Kindergeburtstage feiern kann. Die 61-Jährige ist Entwicklungspsychologin, lehrt als Professorin an der Ruhr-Universität Bochum und hat selbst vier Kinder. Sachen draußen zu machen, wo die Kinder Bewegung und Auslauf hätten, sei eine gute Sache: „Und gut eingepackt geht das auch im Winter.“ Oder die Gäste selber ihre Mini-Pizza belegen und backen zu lassen. Das fördert nicht nur die Kreativität, sondern entlastet auch den Koch.

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Es müssten nicht immer teure Dinge sein, die große Effekte erzielten. Gerne denkt sie an einen Geburtstag ihrer Tochter zurück, an dem ein Zimmer Schauplatz einer Schnipsel-Schneeballschlacht wurde: „Das Papier gab’s fast umsonst und die Kinder hatten damit anderthalb Stunden Spaß.“ Nicht nur die Dreijährigen, die eingeladen waren, sondern auch die älteren Geschwister des Geburtstagskindes.

Geburtstag entzerren

Und was ist mit dem Stress? Dem Druck, zwischen Beruf, KiTa oder Schule in einer möglicherweise nur kleinen Wohnung den perfekten Kindergeburtstag zu veranstalten? Leyendecker rät Eltern, Stress abzubauen, in dem sie sich mit anderen Eltern absprechen: „Man kann sich auch zusammen auf dem Spielplatz treffen und etwas zu essen mitbringen.“ Was zugleich das Platzproblem löst. Oder einem jüngeren Kind einen Nachmittag mit den Eltern schenken, die mit ihm etwas Besonderes unternehmen.

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Ganz wichtig: Geburtstage zu entzerren! „Wenn es morgens zu Hause Geschenke gibt, dann in der KiTa gefeiert und anschließend am Nachmittag der Kindergeburtstag stattfindet, dann wird das insbesondere für jüngere Kinder häufig zu viel.“ Und ab wann sind sie alt genug, um mit anderen zusammen Geburtstag zu feiern? „Schon für Einjährige eine große Geburtstagsparty zu geben, macht keinen Sinn. Für ein Kind in diesem Alter ist jeder andere Anlass genau so willkommen. Wenn man eine Kerze anzündet und singt, wird es das das ganze Jahr über erfreulich finden.“

Preis-Leistungs-Verhältnis beachten

Dass Kinder heute früher erwachsen werden, glaubt Leyendecker nicht: „Man kann höchstens sagen, dass die Ansprüche gewachsen sind.“ Also doch immer toller, trendiger, teurer? „Wenn man sich als Elternteil auf den Wettbewerb einlässt, hat man schon verloren. Da kommt man in eine Spirale hinein und versucht immer weiter, die anderen zu toppen.“ Auch wenn’s schwerfällt, solle man sich dem Wettbewerb verweigern: „Wichtig ist, dass eine Geburtstagsfeier für ein Kind schön wird, und man versucht, dabei so die Balance zu halten, dass der Stress sich für die Eltern in Grenzen hält.“

Zum Schluss ein Exkurs zu kommerziellen Anbietern. Ehe man etwas bucht, sollte man sich genau ansehen, was. Stimmt das Verhältnis von Preis und Leistung? Wird die Kreativität gefördert? Darf man Getränke und Essen mitbringen?

Kinder erleben etwas ganz Neues

Bei „Spurensuche XL“, dem neuesten Workshop der Dasa Arbeitswelt Ausstellung in Dortmund darf man das (für den Verzehr gibt es einen eigenen Bereich). Entwickelt hat ihn Silke Steffens (42) von der Gruppe Bildung und Vermittlung des Hauses. „Spielerisch wird, eingebettet in einen Kriminalfall, Alltagschemie vermittelt“, erläutert die Kulturwissenschaftlerin. Im 90-minütigen Workshop dürfen Zehn- bis Zwölfjährige eigenständig experimentieren. Mit Sachen, die sich in jedem Haushalt finden. „Was die Kinder daran fasziniert ist, dass sie etwas erleben können, was es sonst nicht in der Ausstellung gibt – und etwas lernen, was sie hinterher alleine zu Hause nachmachen können“, sagt die 42-Jährige. Dazu gibt’s als Geschenk, eine Familienkarte, die zum einmaligen Eintritt berechtigt. Alles zusammen für 80 Euro plus Eintritt.

Sehr mutige, sehr selbstbewusste Eltern mit Kindern, die das auch sind, könnten zur „Retro“-Geburtstagsparty bitten. Mit selbstgebackenem Kuchen, Würstchen, Kartoffelsalat und Topfschlagen. Weil das sonst keiner macht, ist das am Ende womöglich sogar megacool.

>>> „Wichtig ist das Alleinstellungsmerkmal“

Für das, was sie beruflich tut, braucht sie weder ein fantastisches Kostüm, noch ein weißes Kaninchen oder einen knackigen Assistenten. „Ich mache keine Zaubershow, ich mache Zauber-Workshops“, sagt Yvonne Dibowski-Zanera. Seit zehn Jahren bringt die Frau aus Marl Menschen das Zaubern bei. Auch auf Kindergeburtstagen. Die vor allem eins sein müssen: cool.

Mit „altmodischen Sachen“, so weiß Zauberina, wie sie als Zauberlehrerin heißt, braucht sie ihrer anspruchsvollen Kundschaft ab neun Jahren gar nicht erst zu kommen: „Wenn ich da einen Blumenstrauß aus dem Seidentuch ziehen würde, hätte das Geburtstagskind große Angst, sich lächerlich zu machen. Dadurch, dass es seinen Gästen sowas Langweiliges zumutet.“

Zauberina
Zauberina

Kinder von heute seien da ganz anders als Kinder vor 20 oder 30 Jahren: „Sie sind extrem geprägt durch die Medien. Sie sehen eine Person auf YouTube, die ganz viele ,Likes’ kriegt – und denken: ,Die will ich auch haben.’“

Um einen coolen Geburtstag mit „Like“-Faktor zu feiern, müssten Eltern aber nicht unbedingt viel Geld ausgeben: „Wichtig ist das Alleinstellungsmerkmal. Kinder wollen etwas erleben, was besonders ist.“ Das könne durchaus auch eine Schnitzeljagd sein: „Wenn sie fantasievoll und kreativ gemacht ist.“ Auch Geschenktüten für die Geburtstagsgäste seien kein Muss: „Bei einem guten Geburtstag nehmen die Kinder auch so genug mit.“ Bei ihr den Stolz, etwas zu können, was die Eltern nicht können und die Erinnerung an das Erlebnis, einen Zauberer getroffen zu haben. Eltern bleiben bei ihren Workshops grundsätzlich draußen. Und sind dankbar dafür: „Weil sie sich oft vor einem Geburtstag ihres Kindes selbst total unter Stress setzen und erstmal runterkommen müssen.“ Zauberinas Tipp für Eltern: „Nicht alles muss zusammen mit den Kindern geplant werden. Dabei geht der Überraschungseffekt komplett verloren.“