Essen. . Manche Schüler können sich nicht von den Eltern trennen, andere bekommen ständig Kopfschmerzen oder schwänzen die Schule. Experten geben Tipps.

Lea klammert sich am Arm ihrer Mutter fest, sie schluchzt: „Bitte, geh nicht!“ Es ist nicht Leas erster Tag im Kindergarten. Das Mädchen geht bereits seit zwei Wochen zur Grundschule. Aber jeden Morgen wiederholt sich diese Szene, in der Lea ihre Mutter anfleht, bei ihr zu bleiben. „Trennungsangst“ nennen das die Experten. Dabei fürchten sich Kinder nicht unbedingt vor dem Unterricht. Sie haben Angst davor, sich von den Eltern zu trennen.

„Eine gewisse Aufregung und Anspannung vor dem Beginn des ersten Schuljahrs ist normal“, sagt Hubertina Falkenhagen, Leiterin der Schulberatungsstelle in Essen. Wenn sich jedoch Szenen aus dem Kindergarten wiederholen, dann braucht das Kind Unterstützung, so die 38-Jährige. Eltern und Lehrer können gemeinsam überlegen, welcher Weg für den Nachwuchs am besten ist. Manchmal hilft es schon, wenn das Kind etwas Persönliches mitnehmen darf, ein Stofftier, einen Talisman. Eltern könnten laut Falkenhagen, Doktorin der Psychologie, den Abschied vor der Schule kurz halten und sagen: „Ich bin bei dir, aber jetzt gehst du allein zu deiner Klasse. Du schaffst das!“ Sobald das Kind im Klassenraum ist und sich mit anderen Dingen beschäftigt, empfindet es den Abschiedsschmerz in den meisten Fällen als nicht mehr so groß.

Erfolgserlebnisse schaffen

Jonas möchte auf einmal nicht mehr zur Schule gehen. Bisher hat ihm der Unterricht immer Freude gemacht. Aber seit einiger Zeit will ihm keine Matheaufgabe mehr gelingen. „Die Schule ist doof!“, versucht er seine Eltern zu überzeugen.

Wenn ein Kind einen hohen Leistungsdruck spürt, sich davor fürchtet, Fehler zu machen oder nur noch Misserfolge erlebt, muss man genau hinschauen, ob Anspruch und Fähigkeiten zusammenpassen, so Falkenhagen. Der Druck muss dabei nicht immer von Lehrern oder Eltern kommen. Etwas ältere Kinder haben auch von sich aus hohe Ansprüche. „Bei überhöhten Ansprüchen muss man schauen, wie sie wieder realistischer werden“, sagt Falkenhagen. Was sind meine wahren Fähigkeiten? Was ist ein erreichbares Ziel für mich? Wichtig ist, wie eine Aufgabe wahrgenommen wird, so Falkenhagen: „Ist es eine Herausforderung oder sehe ich darin eine Gefahr, mein Gesicht zu verlieren?“ Die Lehrkraft kann Aufgaben finden, die Jonas gerade noch so eben lösen kann. Wenn der Junge wieder erlebt, dass er Aufgaben meistert, spürt er, dass es sich lohnt, sich anzustrengen. Die Erfolgserlebnisse motivieren ihn.

Immer ein offenes Ohr für Sorgen

Anna klagt über Bauchschmerzen. „Es tut so weh!“ Meist abends oder morgens, bevor in der Schule „Sport“ auf dem Stundenplan steht. Nachmittags tobt sie wieder mit ihren Freundinnen über den Spielplatz, als ob nichts gewesen wäre.

„Es ist nicht so, dass die Kinder die Schmerzen vortäuschen“, betont Johannes Hebebrand, Leiter der LVR-Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters in Essen. Für die Kinder sind die Schmerzen real. Zunächst einmal sollte im Zweifelsfall der Kinderarzt klären, ob auch wirklich keine organischen Ursachen vorliegen. Ist das nicht der Fall und das Kind klagt trotzdem über Bauch- oder Kopfschmerzen, sei oft der erste Impuls der Eltern, das Kind zu Hause zu lassen. Aber genau das verstärke eher noch das Problem, so der Professor.

Mit von den Eltern gestärktem Rücken lassen sich die Stufen bis zum Abschluss besser erklimmen.
Mit von den Eltern gestärktem Rücken lassen sich die Stufen bis zum Abschluss besser erklimmen.

Auch bei anderen Konflikten, mit Mitschülern oder Lehrern, so sind sich die Experten einig, sei es nie ratsam, dem Problem aus dem Wege zu gehen. Man sollte das Kind mit dem angstauslösenden Problem konfrontieren. „Sonst verfestigt sich die Angst“, betont Hebebrand.

„Eltern sollten darauf achten, dass sie das Vermeidungsverhalten nicht unterstützen“, sagt auch Falkenhagen. „Wichtig ist, dass man das Kind mit seinem Problem ernst nimmt.“ Also das Thema nicht abtun: ,Sport hat noch niemandem geschadet.’ Denn es kann alles Mögliche sein, was das Kind quält. Die Mitschüler, der Lehrer, das Umziehen . . . Die Eltern sollten Anna nicht mit Fragen bedrängen, aber mitfühlen und gesprächsbereit sein, so Falkenhagen: „Ihr einen positiven Ausblick geben: ,Egal, was es ist, wir können das klären!’“

Keinen zusätzlichen Druck ausüben

Felix war in der Grundschule immer Klassenbester. Nun ist er auf das Gymnasium gewechselt. Auf einmal ist er einer unter vielen. Einen richtigen Freund hat er auch noch nicht unter seinen Mitschülern gefunden. Seine alten Klassenkameraden gehen heute auf andere Schulen. Als er eines Morgens aufwacht, ist sein Bett ganz nass. . . .

Wenn Kinder auf einmal wieder etwas tun, was ihrem Alter nicht entspricht, kann das ein Alarmsignal sein. „Es zeigt eine hohe emotionale Anspannung des Kindes“, so Hebebrand. Wenn der Stress nachlässt, kann sich das Ganze auch wieder normalisieren. Wieder sei es wichtig, dem Kind zu signalisieren: Wir suchen eine Lösung, betont Falkenhagen. Dabei nicht noch den Druck erhöhen, indem man etwa sagt: ,Das macht man in Deinem Alter nicht mehr.’

Gerade Umbruchsituationen sind für Kinder herausfordernd. Und dazu zählt auch der Wechsel von der Grund- auf die weiterführende Schule. War man vorher ein großer Fisch im kleinen Teich, ist man nun vielleicht ein kleiner Fisch im großen Teich. Da muss ein Junge wie Felix erst seinen neuen Platz finden.

Respektvoll über Lehrer sprechen

Der 15-jährige Jan hat heute wie jeden Morgen mit seinem Rucksack und den Büchern das Haus verlassen. Aber er geht nicht zur Schule, wie seine Eltern denken. Er trifft sich mit Freunden im Park.

Es gibt Jugendliche, die sich laut Hebebrand innerlich von der Schule verabschiedet haben. Zeigen sie ein gestörtes Sozialverhalten, indem sie zum Beispiel besonders aggressiv sind, „können sich Eltern auf den Kopf stellen“, so der 60-Jährige. „Konfrontation mit dem Problem ist dann nicht mehr allein die Lösung. Da müssen andere Maßnahmen ergriffen werden als etwa bei einer Angststörung oder Depression.“ Die erste Anlaufstelle sei der Kinderarzt oder Allgemeinmediziner. Er könne dann gegebenenfalls eine Überweisung für den Kinder- und Jugendpsychiater ausstellen.

Hebebrand wünscht sich mehr Informationen darüber, welche Schulen einen guten Weg gefunden haben, mit Schulvermeidung umzugehen. „Aber es gibt keine Zahlen, wie groß das Problem in Essen, Bochum oder Dortmund ist.“

Dass ältere Kinder die Schule meiden, sei auch ein gesellschaftliches Problem, betont Hebebrand. „Je abfälliger oder kritischer man sich über die Schule äußert, desto leichter macht man es auch den Kindern, sich zu verabschieden.“ Eltern sollten ihren Kindern vermitteln, dass der Lehrer eine Respektsperson ist.

Kinder loben und so stärken

Clara kommt bald in die Schule. Die Eltern haben Zweifel, ob sie dem Unterricht folgen wird, ob sie sich mit ihren Lehrern und Mitschülern versteht, ob sie bis zum Abschluss durchhält. Können sie heute schon etwas tun, damit die Schulzeit für die Tochter eine gute Zeit wird?

Ein guter Schulabschluss ist bedeutend für den weiteren Verlauf des Lebens. Doch Kinder deswegen unter Druck zu setzen und sie nicht ihren Fähigkeiten entsprechend zu fördern, ist der falsche Weg. „Es ist wichtig, immer realistisch zu bleiben, was die Leistung betrifft“, so Falkenhagen. Was kann das Kind? „Und dann ihm signalisieren: ,Was du kannst, finden wir gut.’“ Wenn das Kind etwas selbstständig macht, sollte man es auch dafür loben. So bekommt es ein positives Bild von sich. „Das ist ein guter Puffer für negative Erfahrungen, die man ja immer mal im Leben macht.“

>>Schulpsychologische Beratungsstellen

Städte und Kreise haben eigene Schulberatungsstellen, in denen Psychologen und Sozialpädagogen Schüler, Eltern und Lehrer bei Schulproblemen beraten. Eine Übersicht zu den Beratungsstellen finden Sie hier.