Dortmund. . Mit einem Apfelkuchen geben sich die Fans der Tortenkunst nicht zufrieden. Am besten trägt das Gebäck ein Gesicht – von Urmel oder Mutter Teresa.
Lady GaGa steht neben Astrid Lindgren in der Dortmunder Westfalenhalle, Joanne K. Rowling ist da und Mutter Teresa gibt es gleich doppelt. Auf langen Tischen sind sie aufgereiht und für alle gilt: Nicht berühren. Und erst recht nicht anknabbern, auch wenn einige der Damen ziemlich süß aussehen. Weil sie Kuchen und größtenteils aus Zucker sind. Wie man es erwarten kann auf einer Messe, die „Cake & Bake“ heißt und die ein gutes Beispiel dafür ist, dass sich Backen in Deutschland seit Jahren steigender Beliebtheit erfreut.
Messe Cake & Bake in Dortmund
Seit 2006 hat die Zahl der Hobbybäcker und -bäckerinnen in ganz Deutschland um ein Drittel zugenommen. Allein zur diesjährigen Messe in Dortmund strömten mehr als 10 000 Menschen – 95 Prozent waren Frauen. Und wenn man das, was sie am eigenen Ofen machen, noch schlicht als „Kuchen“ bezeichnet, dann ist das in etwa so, als würde man eine Stradivari „Geige“ nennen. Oder zu einem Rolls Royce Auto sagen. Denn längst geht es nicht mehr um Apfelstrudel oder Gugelhupf, sondern um Motivtorten und -kekse, Cup Cakes und Kuchen am Stiel. Das meiste sehr aufwendig, manches recht teuer, fast alles sehr bunt. Der Trend geht zum Dekorativen.
„In England und den USA ist das schon lange ein Thema“, weiß Ute Fenske, Betreiberin der „Tortenschmiede“ in Mechernich und Jurorin auf vielen Torten-Messen. Da haben Cake Decorators eine lange Tradition und genießen hohes Ansehen. Nur habe man in Deutschland davon lange nicht besonders viel mitbekommen. Seit es Internet gibt, bekommt man alles mit. Vor allem, was für außergewöhnliche Hochzeitstorten es in anderen Ländern gibt. „Damit hat alles angefangen.“
Wieder angefangen muss man eigentlich sagen. Denn Tortenkunst gibt es schon seit Mitte des 17. Jahrhunderts. Da schaffen französische Küchenkonditoren, Patissiers genannt, überbordend dekorierte Torten mit Blumen und Skulpturen aus Zucker. So gigantisch ist das Naschwerk, das reiche Aristokraten für ihre Feste bestellen, dass die Auftraggeber schon mal die Türen aus ihren Villen ausbauen müssen, um die Torten in den Festsaal schaffen zu können – wo das Kunstwerk dann nicht selten unter dem eigenen Gewicht zusammenstürzt.
Von Biedermeier und Jugendstil beeinflusst
Auch in Deutschland orientieren sich die Konditoren des 19. Jahrhunderts an der Kunst der höfischen Zuckerbäcker, lassen sich von Biedermeier und Jugendstil beeinflussen, schmücken ihre Werke mit floralen Mustern, Marzipan-Wappen und Blumengestecken aus Zucker. Wenn sie nicht gleich mit Kakao ganze Bilder darauf malen.
Das änderte sich erst um 1950. Damals gab der Konditormeister Bernhard Lambrecht aus Wolfenbüttel das Standardwerk „Das Gebot der Leckerheit“ heraus. Lambrecht übernimmt dabei die klaren Linien der Bauhaus-Stilrichtung. Wichtig ist, dass es schmeckt. In zahllosen Musterbüchern legt Lambrecht fortan fest, wie Torten und Feingebäcke auszusehen haben. Keine Schnörkel, klare Linien und Figuren – wenn überhaupt – für Kindergeburtstagstorten.
Alles Eischnee von gestern. Seit gut zehn Jahren geht es nicht nur darum, ob eine Torte lecker ist, sondern auch, wie sie aussieht. Manchmal geht es auch nur um Letzteres. Bei vielen Exponaten auf der „Cake & Bake“ sollte man sich jedenfalls davor hüten, herzhaft zuzubeißen. Man würde nämlich auf einen Styropor-Dummy in Tortenform beißen. Das ist in vielen Kategorien erlaubt, schon weil es den Transport erleichtert. Nur die Dekoration selber, die die Teilnehmerinnen auftragen und formen, die muss essbar sein. Schmecken muss sie nicht.
Bei Silke Fortkamp tut sie das aber. Die 38-Jährige aus Essen, Betreiberin des Blogs „Tussi’s Zauberküche“, hat in Dortmund für den Wettbewerb unter dem Motto „Augsburger Puppenkiste“ eine „Katze mit Hut“ kreiert. „Eine echte Torte, man kann alles verspeisen“, sagt sie. Sollte man aber nicht tun. Zumindest nicht, bevor die Jury da war. Ein angebissenes Ohr, ein abgeknicktes Bein, „und ich würde durchdrehen“, warnt Silke Fortkamp. Selbst nach Jury-Beurteilung und mit Erlaubnis ist der Verzehr der Tortenkunst mit Schmerzen verbunden. „Das Anschneiden des ersten Stücks tut immer weh“, weiß Silkes Freundin Melanie (37).
Das Torten-Bauen sei fast wie eine Therapie
Da hilft es auch wenig, dass sie immer wieder neue Torten ersinnen. Ob Geburtstag im Freundeskreis, Turnier im Fußball-Verein oder Schulfest – „mach doch mal“, bitten sie Silke, „ist doch immer so lecker“, sagen sie zu Melanie. „Und dann machen wir.“ Weil sie schlecht „Nein“ sagen können. Aber auch weil sie es gerne machen. „Es entspannt“, sagt Silke. Und für Melanie ist es „fast wie eine Therapie“. „Man wird ganz ruhig.“
Justyna A. Majewska kennt das. „Die Welt bleibt draußen, wenn ich meine Kekse mache“, sagt die gebürtige Polin, die mit Mann und drei Kindern seit fünf Jahren im Hagener Stadtteil Haspe lebt . „Alles andere ist weit weg.“ Vielleicht ist das der Grund dafür, warum die Wände in ihrem Arbeitszimmer mit Siegerurkunden dekoriert sind. „Gold“, „Gold“, „Best Of Show“ steht da meistens drauf, aber die 41-Jährige winkt bescheiden ab. „Eigentlich habe ich damit nur angefangen, weil mir langweilig war hier in Deutschland.“
Sah gut aus, schmeckte aber nicht
Im Internet hat sie sich Inspirationen geholt, dann die erste Torte für den achten Geburtstag des Sohnes gebacken. „Sah gut aus, schmeckte aber nicht. Ich habe anfangs zu viel auf Äußerlichkeiten geachtet.“ Nach und nach pendelt sich die Sache ein. Mittlerweile hat sich Majewska auf Cup Cakes und Kekse spezialisiert. Und auf Werke aus Royal Icing, einer Eiweißspritzmasse, die unglaublich vielseitig einsetzbar ist.
Hat Majewska eine Idee, gibt es ein Motto, bastelt sie Schablonen. Mit deren Hilfe formt sie die Masse, baut sich Einzelteile. Manchmal bis zu 300 verschiedene, die sie anschließend vorsichtig zusammenbaut und verziert. Ganze Häuser entstehen so, manchmal auch kleine, aber unglaublich detaillierte Kekse – zu Halloween gerne in Sargform oder als Skelett. Tochter Gosia (13) ist so begeistert, dass sie mittlerweile selber Torten entwirft. „Aber mit meiner Mutter kann ich nicht mithalten.“
Gerne würde Majewska ihr Hobby zum Beruf machen und in eine Konditor-Lehre gehen. „Aber mit drei Kindern geht das nicht“, bedauert sie. Deshalb gibt sie Kurse für die Verarbeitung von Royal Icing. „In kleinem Kreis.“ Anderswo sind die Kreise größer. Im Internet werden unzählige Lehrveranstaltungen beworben.
Nahezu alles in Sachen Torten-Deko lässt sich etwa an der Cake Academy in der Nähe von Köln lernen. Ob der Umgang mit Fondant, einer Zuckermasse zum Formen, den richtigen Umgang mit der Airbrush-Pistole beim Färben oder die Gestaltung von Blumen, zu nahezu jedem Thema gibt es Kurse – oft unterteilt in Einsteiger- und Master-Klassen. Viele sind schon Monate im voraus ausgebucht. Obwohl manche Unterrichtsstunde schon mal dreistellig kosten kann, wenn Szenegrößen sie abhalten.
Star Wars-Roboter oder Lego-Figur
Wem solche Kurse zu teuer sind, der kann zu Dutzenden von Büchern greifen oder einfach nur ins Internet gehen. Auf Hunderten Foren geben sich Fans untereinander Tipps, tausende Seiten locken mit Rezepten und die Videos bei Youtube, die sich mit dem Thema beschäftigen, lassen sich gar nicht mehr zählen. Star Wars-Roboter oder Lego-Figur, Elvis oder die Monroe – für alles gibt es Anleitungen.
Natürlich ist längst ein riesiger Zubehörmarkt entstanden. „Fondant-Pressen“ gibt es und „Cake Smoother“, eine Art Maurerkelle, mit der sich das Fondant um die Torte in Form schmirgeln lässt. „Veiner“ heißen die Silikonformen, die täuschend echte Blattadern in die Deko drücken. Spezielle „Sugar Paste“ gibt es, die zwei Kilo für sieben Euro.
Nicht restlos geklärt ist, ob man seine eigenen Kuchen-Kreationen verkaufen darf. Fragt man einen deutschen Konditor, hört man als Antwort oft: „Nein, natürlich nicht.“ Das Backen sei Handwerk und müsse deshalb erlernt werden. Torten seien ein Gesamterlebnis aus Optik und Geschmack. Quereinsteiger und Hausfrauen könnten da nicht mithalten. Lübecker Richter aber sahen das vor gut zwei Jahren anders und urteilten: „Tortendesign ist Kunst“.
Torte für mehrere Hundert Euro
Jurorin Ute Fenske, die eine Sondererlaubnis für den Verkauf von Torten besitzt, spricht von einer „Grauzone“. Und eine Teilnehmerin des Wettbewerbes auf der Dortmunder Messe fragt: „Wer kriegt denn schon mit, wenn ich in meinen Bekannten eine Torte verkaufe?“ Im übrigen ist der mögliche Kundenkreis ohnehin überschaubar – nicht nur, weil eine Designertorte schnell mehrere Hundert Euro kostet. Auch weil die Ware sehr empfindlich ist. „Sie können“, weiß Fenske, „die Sachen ja nicht so einfach verschicken. Das würde alles zu Bruch gehen und dann können sie es nur noch wegwerfen.“
Aber Vorsicht: Manchmal ist es besser, man verwahrt die Reste. In England nämlich hat vor einiger Zeit ein fast 68 Jahre altes Stück Kuchen bei einer Auktion knapp 700 Euro eingebracht. Es handelte sich allerdings auch um eines der Stücke, die nach der Hochzeit von Elizabeth II. und Prinz Philip 1947 an Gäste verteilt wurden. Gekauft hat das Stück ein anonymer Bieter aus Los Angeles. Ob er es gekostet hat, ist unklar. Möglich wäre es angeblich gewesen. Der Früchtekuchen, versicherte das Auktionshaus damals, sei wegen seines hohen Alkoholgehalts noch essbar gewesen. Nur ausgesehen hat er nicht mehr so gut. Nichts für Tortendesigner also.
Die Stars der süßen Branche
Meist trägt sie Karohemden und das braune Haar zum Zopf geflochten. Und Schürze natürlich. Weil man sich ja schon mal bekleckern kann in der Küche. Da, wo Saliha Özcan mindestens drei Mal pro Woche steht und Torten zubereitet. Und wo die Menschen ihr dabei via Youtube zusehen. Über eine Million Abonnenten hat ihr Video-Kanal, rund 200 Millionen Mal sind ihre Videos mittlerweile aufgerufen worden. Özcan hat sich ihre eigene (Kuchen)welt geschaffen: Sallys Welt.
Geplant war das so nicht. Eigentlich hat die gebürtige Badenerin vor gut fünf Jahren nur begonnen, weil es zwar viele Kochsendungen im Fernsehen gab, aber keine, die den Zuschauer wirklich an die Hand nahm. „Ich vermisste eine einfache Koch- und Backanleitung“, hat die heute 28-Jährige später oft erzählt. Das wollte sie besser machen. Zum Debüt machte sie einen Nusszopf und lud das Video bei Youtube hoch. Am nächsten Morgen hatten sich mehr als 1000 Menschen das Video angesehen und waren begeistert.
Sally, wie sich Özcan bald nannte, war überrascht, legte aber schnell nach. Mittlerweile betreibt sie den größten Food-Kanal Deutschlands und wenn sie im echten Leben vor die Tür tritt, ist das oft nicht viel anders als bei Musikern oder Schauspielern.
Auf der „Cake & Bake“ in Dortmund etwa hatte die Grundschullehrerin eine eigene Halle. Und durch die zog sich schnell eine mehrere Hundert Meter lange Schlange von Fans, die für ein Foto und/oder ein Autogramm anstanden. „Niemand“, schwärmte nicht nur Lea (29) aus Bochum, „kann so gut erklären wie Sally.“ Mittlerweile verdient sie mit ihrem Talent auch Geld. Mit der Werbung, die vor ihren Videoanleitungen läuft, aber ebenso mit einem eigenen Internetshop, in dem sie Zubehör verkauft.
Peggy Porschen ist die „Queen Of Wedding-Cakes“
Auch eine junge Frau aus Düren hat der Boom des Torten-Designs berühmt und reich gemacht. Peggy Porschen heißt die heute 41-Jährige, schwärmt schon als Kind für exklusive Torten und zieht deshalb in den späten 90ern nach London, weil Großbritannien damals „viel weiter war“ in Sachen Torten und Dekorationen.
Sie studiert an berühmten Kochschulen, lernt bei den Großen des Fachs und wird bald selbst eine ganz Große der Branche. Porschen produziert hunderte von süßen Fabergé-Eier für die Aids-Gala von Elton John, entwirft die Hochzeitstorte für Stella McCartney und mehr als 250 Torten für Menschen, die nicht so berühmt sind, aber genug Geld haben, um tief für den Hochzeitskuchen in die Tasche zu greifen.
Hunderte Euro kostet ein Kurs
Längst hat man die ehemalige Stewardess deshalb im Vereinigten Königreich zur „Queen Of Wedding-Cakes“ gekrönt – zur Königin der Hochzeitstorten. Und wenn ihre Majestät zu den Fans spricht, dann können pro Kursteilnehmer schon mal ein paar Hundert Euro fällig werden. Ausgebucht sind die meisten Kurse trotzdem.
Und zwischendurch hat Porschen noch Bücher geschrieben. „Tortenliebe“ (Fackelträger-Verlag, 24,99 Euro) heißt das in Deutschland bisher erfolgreichste, und wer es aufschlägt und sich die Rezepte ansieht, der merkt schnell, dass die Autorin einen ganz eigenen Stil pflegt. Dezente Farben, elegante Formen, keine Comic-Figuren. „Nie over-the-top“, hat sie beschlossen und glaubt: „Meine Kreationen sind meist sehr feminin!“ Und so bedeutsam das Auge auch ist, weil es mitisst beim Hochzeitskuchen, bleibt die Zunge ausschlaggebend für Porschen. „Das Wichtigste“, stellt sie klar, „ist der Geschmack.“
Der ist aber nicht gerade günstig. Große Torten-Design-Studios in England rufen für eine Torte zwischen 250 und 1400 Euro auf. Da müssen Brauteltern in Deutschland schon im Vorfeld einmal heftig schlucken.