WitteN. Kinder suchen sich schon im Grundschulalter ihren Traumberuf aus. Gehalt oder Arbeitszeiten spielen dabei noch keine Rolle.
„Ich möchte ein Held sein“, sagt der zwölfjährige Björn. Die Vorstellung, Menschen aus brennenden Häusern zu befreien, einen dicken Schlauch auf Flammen zu richten, als Angriffstrupp in Gebäude einzudringen, all das ist für den Jugendlichen ein Traum, den er sich erfüllen möchte.
Seit zwei Jahren schon trifft er sich deshalb an jedem zweiten Samstag mit den anderen zehn- bis 17-jährigen Mitgliedern der „Jugendfeuerwehr Witten Altstadt“, um Brandbekämpfung, das Eindringen in Gebäude über verschiedene Wege oder Gerätekunde zu üben. Auch sein Freund Alex (15) interessiert sich „schon lange“ für die Feuerwehr und dabei vor allem für die großen Fahrzeuge. Er sagt: „Ich find’s einfach toll, anderen zu helfen. Schon immer.“ Von dem bereits ausgebildeten Feuerwehrmann Jan Kulosa (22), der die Jungs gemeinsam mit anderen betreut, hört man Ähnliches: „Schon im Kindergarten wollte ich zur Feuerwehr. Weil ich mich selber gerne fordere und weil ich anderen helfen möchte.“
Der Wunsch, Gutes zu tun
Die Feuerwehr zählt zu den Evergreens kindlicher Berufsvorstellungen. In aktuellen Umfragen, zum Beispiel des Marktforschungsinstituts Icons & Youth oder der Lego GmbH, liegt dieser Berufswunsch nach wie vor unter den ersten zehn. Kein Wunder, denn die Feuerwehr hat alles, was es für einen ordentlichen Traumberuf braucht: Ein hohes gesellschaftliches Ansehen, Spannung – und dann tut man auch noch etwas Gutes.
„Wichtig für den Berufswunsch sind schon bei Grundschulkindern eigene Erfahrungen in dem beruflichen Tätigkeitsfeld ihrer Wahl, verbunden mit großem Spaß daran“, sagt Iris Baumgardt. 2012 veröffentlichte die Professorin für Didaktik des Sachunterrichts, die heute an der Uni Vechta tätig ist, eine Studie über Wunschberufe Neun- bis Zehnjähriger. Ganz oben auf ihrer Liste steht der Fußballprofi, gefolgt von Tierärztin, Schauspielerin, Polizist und Ingenieur. Dabei wird die eine Hälfte der Antworten durch sehr beliebte Berufe gebildet, die andere Hälfte enthält sehr kreative, individuelle Vorstellungen. So wurden auch Pferdeflüsterin, Unicef-Botschafterin, Chef im Männermodenshop oder Flughafenbesitzer von Einzelnen genannt.
Mädchen wählen soziale Berufe
Im Mittelpunkt ihrer Analyse von über 400 Kinder-Aufsätzen und qualitativer Interviews stand dabei die Frage, welche Vorstellung die Grundschüler mit den von ihnen genannten Berufen verbinden. Die Feuerwehr taucht hier zwar nicht auf, doch in dieser Studie wird deutlich: Kinder in diesem Alter wollen das, was sie gerne tun, zum Beruf machen. Ökonomische Aspekte, zum Beispiel die Höhe des Verdienstes, sind für einige Kinder bedeutsam, für andere nicht. Andere Untersuchungen verdeutlichen: Anspruchsvolle Arbeitszeiten, hohe Zugangsvoraussetzungen oder schlechte Karriereaussichten spielen für die meisten Kinder im Grundschulalter noch keine Rolle.
Repräsentative Umfragen zeigen, dass sechs- bis zwölfjährige Mädchen am häufigsten soziale Berufe wählen, bei denen die Pflege und die Hilfe von Mensch und Tier im Mittelpunkt stehen. Oder sie wollen umjubelte Stars sein. Jungen wählen meist Sportberufe, solche mit hohem gesellschaftlichen Ansehen oder typische Männerberufe wie Bauarbeiter oder Polizist.
Neu an dem Ansatz von Iris Baumgardt ist die Frage, was sich denn für die Kinder hinter den von ihnen genannten Berufen verbirgt. Überraschend dabei: Kinder wissen nicht nur sehr viel über die Berufs- und Arbeitswelt. Sondern die Berufswahl und die Berufsorientierung ist bereits im Grundschulalter als „Doing-Gender-Prozess“ anzusehen: „Kinder beschreiben sich durch die Wahl und Ausgestaltung ihres Traumberufes als Junge beziehungsweise als Mädchen“, sagt Baumgardt. So sieht sich die zukünftige Tänzerin als Ballerina im Tutu auf der Bühne – der Tänzer als Hip-Hop-Star mit seinen Freunden auf der Straße.
Lieber Kaufmann als Lokführer
Die Kinder möchten ihren Traumberuf unbedingt und bis ans Lebensende ausüben. Warum hat die Feuerwehr, haben andere Traumberufe wie Landarzt oder Kinderkrankenschwester dann trotzdem Nachwuchsprobleme? Laut der aktuellen „Fachkräfte-Engpass-Analyse“ der Bundesagentur für Arbeit gibt es Schwierigkeiten, Stellen unter anderem aus dem Bereich Humanmedizin und Gesundheits- und Krankenpflege zu besetzen. Auch Lokführer sind hier aufgeführt.
Bei einer Umfrage der Zeitschrift „Eltern Family“, die sich für die Berufswünsche Acht- bis 19-Jähriger interessierte, steht bei den Mädchen die Kauffrau auf Platz 1, bei den Jungen der Kaufmann direkt hinter dem Mechaniker auf Platz 2. „Schon immer und meine ganze Jungend hindurch bis zum Abitur wollte ich Archäologin werden“, erzählt die Leserin Carolin Maier, heute 40. „Studiert habe ich letztendlich Kulturwirtschaft, weil ich wahrscheinlich sowieso nicht an den berühmten Stätten wie Troja hätte graben dürfen.“
Traum vs. Realität
„Kinder befinden sich lange in der Fantasiephase“, sagt Birgit Leyendecker, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Ruhr-Universität Bochum. „Sie gehen davon aus, dass sie alles werden können und ihnen alle Wege offen stehen. Je länger sie zur Schule gehen, desto mehr werden sie mit der Realität konfrontiert.“ Und eben auch mit Berufsberatung und Interessentests.
Wer zum Beispiel zur Feuerwehr möchte, hat unter anderem einen harten Sporttest zu bestehen und eine bereits abgeschlossene handwerkliche Ausbildung oder ein Studium vorzuweisen. Seit April 2017 bekommen angehende Feuerwehrleute im mittleren Dienst immerhin 90 Prozent mehr Ausbildungsgehalt. Ein Anreiz, der Traum und Realität deckungsgleich werden lässt?