Essen. Gartenzwerge, Misthaufen, Heckenschnitt: Gründe zum Streit mit dem Nachbarn gibt es viele. Warum schaukeln sich die Emotionen so leicht hoch?

Gut, dass die Stiftung Warentest 2014 rechtzeitig und eindringlich vor dem Kauf von Mäxchen gewarnt hat. Nennen wir den potenziellen Störenfried mal so. Der sehr eigenwillige kleine Mähroboter „büxte mindestens einmal am Tag zum Nachbarn aus, blieb dort stehen und drehte sich hilflos auf der Stelle mähend im Kreis“, berichteten die Tester über Mäxchens Ausflüge. Dann und wann rasierte er flächendeckend Blumenbeete.

Runde Löcher im Rasen? Gekappte Kamelien? Gutes Benehmen ist anders. Ausbüxende Roboter sind, wie schattige Sträucher, Gartenzwerge, Falschparker, Dauer-Klavierspiel, Kinderjuchzen, Misthaufen oder verräterisches Gestöhne aus dem Schlafzimmer gegenüber Hochrisiko-Potenzial für Deutschlands Alltagszank Nummer 1: den in der Nachbarschaft. Die Justiz ist tausendfach damit befasst.

Der große Krach mit Nebenan

Auf dem Wohnzimmertisch von Birte Wienands stapeln sich die Unterlagen. Wienands ist stellvertretende NRW-Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen. Kommt es, wie bei ihr in Meerbusch-Büderich, zum großen Krach mit denen von nebenan, zwingt der Gesetzgeber die Beteiligten, die ehrenamtlichen landesweit 1120 Schiedsleute als erste, freiwillige Schlichtungs-Instanz einzuschalten. „Das Gros unserer Arbeit sind Nachbarschaftsstreitigkeiten“, räumt sie ein. Genauer: „Der Klassiker sind Bäume“.

Schiedsfrau Birte Wienands.
Schiedsfrau Birte Wienands. © Andreas Baum

Birte Wienands ist zuständig für 20 000 Einwohner. Sechs bis zehn Fälle pro Jahr sind ernst, bedürfen tagelanger Vorbereitung, mehrerer Anschreiben, Stunden dauernder Schiedsverhandlungen und in seltenen Fällen sogar Zeugenbefragungen. Am Ende steht der Vergleich. Der kommt im Schnitt nach vier Wochen und der vollstreckbare Titel hat dann, die Zustimmung beider Seiten vorausgesetzt, 30 Jahre Gültigkeit. Von weiteren 20 Fällen sagt sie, es seien die „Tür-und-Angel-Sachen“. Da fordert sie die Beschwerdeführer auf, erst untereinander klärende Worte zu suchen. Die Erfolgsquote der Schlichtungs-Arbeit? 50 Prozent, schätzt sie. Das ist viel. Es bedeutet aber auch: Jeder zweite Streit landet als Privatklage auf dem Richtertisch.

Mehr als 1800 Streitigkeiten 2016 vor Gericht

Detlev Feige vom Landesjustizministerium kennt die Zahlen. 1820 Streitigkeiten unter Nachbarn sind 2016 von den 129 NRW-Amtsgerichten bearbeitet worden. Vier Jahre zuvor waren es noch 1926. „Einen leichten Rückgang“ sieht er darin, der „sicherlich auch der Arbeit der Schiedsleute zu verdanken ist, die im Vorfeld versuchen, dass es nicht erst zu einem Gang vor Gericht kommen muss“. Immerhin: Rund 4000 Anträge auf solche sehr viel preisgünstigeren Schiedsverhandlungen gibt es pro Jahr an Rhein und Ruhr. 2000 davon werden mit Vergleich beendet.

Entgleistes Nachbarschaftsverhältnis

Manchmal aber gibt es Arbeit für den Staatsanwalt. Ein entgleistes Nachbarschaftsverhältnis kann gefährlich werden. In der Dortmunder Teutonenstraße im Stadtteil Hörde wissen sie das bedauerlicherweise seit Anfang des Monats. Von einem einst dreigeschossigen Wohnhaus steht dort nur noch die untere Etage. Der Rest ist durch eine manipulierte Gasleitung weggesprengt. Eine 35-jährige Frau hat den Mordanschlag nicht überlebt. Der mutmaßliche Täter, der die Nachbarn ständig beschimpft, bedroht und mit Randale entnervt hatte, war allein in den vergangenen zwölf Monaten sieben Mal von der Polizei aufgesucht und mehrfach kurzzeitig in die Psychiatrie eingewiesen worden. Die Wohnungskündigung führte dann wohl zur Tat.

Alles „Quak!“: Mancher Streit beginnt mit dem Laubfrosch im Nachbarteich.
Alles „Quak!“: Mancher Streit beginnt mit dem Laubfrosch im Nachbarteich.

Dass Explosionen, Äxte, Wurfmesser, Mülleimer, Reizgas und Holzknüppel zu Waffen in Flur- und Zaun-Konflikten werden: Birte Wienands nennt das „Extremfälle“. Was sie auch feststellt: Das Verhalten der Streitparteien wird hartleibiger. Das „Ich bin im Recht und setze es durch“ höre man heute sehr oft, sagt sie, die Bereitschaft zum Gespräch sinke: „Wenn der Nachbar früher zu laut war, hat man bei ihm angeschellt und das direkt gesagt. Das ist heute eher nicht mehr so. Man ärgert sich. Aber es wird nicht reagiert. So schaukeln sich Dinge schnell hoch.“

So erzählt die Schiedsfrau die Sache mit den „Wunderkindern“. Die Töchter der einen Familie haben „intensiv musiziert“. Klavierspielen bis in die späten Stunden gehörte dazu, Üben an Sonn- und Feiertagen. Mitbewohner wurden zu Opfern. Wienands hat versucht, die Zeiten einzugrenzen und eine Zusage bekommen. Gelöst wurde der Fall erst ganz, als die musikalische Familie wegzog.

Lärm, Grillen, Fußball-Feierei

Die Streitfreudigkeit bewegt sich in Wellen, sagt Birte Wienands. „Eine Zeitlang gibt es Lärmprobleme“, dann liegen eben die Grill-Fälle wieder vorn oder auch die Fußball-Feierei. „Fußball-Fans sind immer laut“. Die Gartennutzung ist ein Dauerbrenner: Überhängende Bäume oder die, die Schatten werfen. Zu viel oder zu wenig Hecke. Der laute Laubsauger oder „die Frösche im Teich, die die ganze Nacht quaken“. Schon klassisch: Der Fan des englischen Rasens leidet unter dem Nachbarn, der eine Wildkräuterwiese pflegt, deren Samen mit dem Windstoß gerne nach nebenan wandern. Ja, und nicht selten hat man sich schon immer nicht richtig leiden gemocht. Dann ist die Grill-Fete nur Auslöser. Eine Analyse, die viele Experten teilen.

Eine Flut von Rechtsvorschriften

Schuld haben aus Wienands’ Sicht nicht immer die Streithähne. Ursachen für Konflikte sieht sie auch in der „Flut von Rechtsvorschriften bis hin zur Spezifizierung der Gewächse“. Bäume dürften kaum gefällt werden, und das bei immer kleiner werdenden Grundstücken. „Wie soll da das eigene ganz schmale Handtuch bewahrt werden?“

Vorbeugen wird wichtig in so einem gesellschaftlichen Klima. Das nordrhein-westfälische Justizministerium versucht unter dem Titel „Schlichten statt Richten“, mit Experten-Tipps am Telefon mögliche Konflikte gleich abzuräumen. Und große Wohnungsunternehmen wie der Gelsenkirchener Konzern Vivawest, der „Ruhestörungen und Lärm, Treppenhausreinigungen und Müllbeseitigung oder schlichtweg menschliche Antipathien“ als Ursache des nachbarschaftlichen Streits in seinem Bestand festgestellt hat, setzen inzwischen Kunden- und in harten Fällen Sozialberater ein, um den Frieden zu sichern.

Ein Rasenroboter, wenn er sich anders als das fremdmähende Mäxchen anständig verhält, gilt inzwischen per se als friedlicher Zeitgenosse. Das hat das Amtsgericht Siegburg unter dem Aktenzeichen 118 C 97/13 festgestellt. Er produziere nur „unwesentliche Lärmbelästigung, die die Nachbarn dulden müssen“.

>>>So urteilten die Gerichte

Wie laut darf der Frosch sein?

Ein Teich in der Nachbarschaft kann stören, hat der Bundesgerichtshof festgestellt, und „nicht ortsübliche“ Lärmeinwirkungen sind zu beseitigen oder zu unterlassen. Aber: Das Bundesnaturschutzgesetz verbietet die Verfolgung, Vertreibung und Tötung von Fröschen. Und ohne Ausnahmegenehmigung nach diesem Gesetz, die es nicht so schnell gibt, kann der grüne Typ weiterquaken.

Darf der Ball zufliegen?

Der Nachbar eines Fußballplatzes hat Anspruch darauf, dass das Zufliegen von Bällen auf sein Grundstück durch geeignete Vorkehrungen wie einen Ballfangzaun verhindert wird, hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschieden.

Was ist mit dem Misthaufen direkt am Gartenzaun?

Komposthaufen unmittelbar an der Grenze zum Nachbargrundstück stellen tatsächlich eine unzumutbare Belästigung dar – wegen des Geruchs, auch wegen des zu erwartenden Ungeziefers. Der betroffene Nachbar hat ein Anrecht auf die Verlegung oder Beseitigung des Haufens, entschied das Landgericht München I.

Quelle: Fachhochschule für Rechtspflege, Stand April 2016