Oberhausen. . In der IG Preußisches Rheinland feiern sie wie 1899. Die Herren tragen Pickelhaube, die Damen Kleider mit Reifrock und „Popo hintendran“.

Die Uniform ist zu eng. Das kann passieren nach mehr als 100 Jahren, das wollene Wams gehörte einst einem preußischen Soldaten. Jonas zieht, aber die Jacke geht nicht zu. „Aufhören!“, mahnt der Vorgesetzte, „ich will keinen, der scharf mit Knöpfen schießt!“

Doch so schnell schießen die Preußen nicht.

Diese schießen nämlich so: Waffe präsentieren. „Legt an!“ Doch dann drehen die Herren das lange Gewehr einfach um und setzen sich den Lauf an die Lippen! Darin sind als Munition Milliliter. 300 in reinem Schnaps, jedenfalls am Anfang des Tages. „So“, sagt die Kohlenprinzessin Krämer, „bekommt der ,Kopfschuss’ eine ganz neue Bedeutung.“

Vom Alkohol mal abgesehen: Was hat das hier mit Karneval zu tun?

Das ist sie, die amtierende Kohleprinzessin.
Das ist sie, die amtierende Kohleprinzessin. © Ralf Huels kamerakata.de

Ursprünglich wenig. Und doch ganz viel. Dies ist die IG Preußisches Rheinland aus Oberhausen, eine jecke Truppe blauberockter Soldaten – die sich als solche nicht verkleiden, sondern „gewanden“ (und das Militärische ist gar nicht ungewöhnlich, auch „Funken“ und ihre Mariechen gehen ja auf Stadtsoldaten zurück).

Recht eigentlich war die IG ein Stammtisch, von handwerklich Begabten und Geschichtsbeflissenen, die sich um die Burg Vondern kümmern. Und sich gelegentlich in Gewänder des ausgehenden 19. Jahrhunderts schmissen, der „lebenden Historie“ wegen – man nennt diese Art des hobbymäßigen Nachspielens alter Zeiten „Reenactment“.

Erinnerung an einziges Ruhr-Regiment

Blaue Uniform-Jacken also für die Herren, die in der Session als „Garde“ eine Zweitverwendung finden, Kleider „mit Popo hintendran und Reifrock drunter“, wie Hauptmann Hagen Hoffmann sagt, für die Damen. So ist man wer, so war es damals auch: als 1899 das einzige im Ruhrgebiet stationierte Regiment des Kaisers in Mülheim einzog. Man nannte jenes „Infanterie Regiment 159“ liebevoll „Kohleregiment“, und seit seine Neuauflage in liebevoller Erinnerung im Karneval mitmarschiert, gibt es auch eine Mutter der Kompanie: die „Kohleprinzessin“.

Was nun unpreußisch neumodisch ist: Zwar trägt Ihre Durchlaucht Iris I. das zurückhaltende Schwarz einer verheirateten Frau, zugleich ist sie, gewissermaßen, die Speerspitze der Emanzipation im Oberhausener Karneval – der einen Stadtprinzen und ein männliches Dreigestirn kennt. „Wir möchten“, sagt „Ihre Brikettigkeit“ Iris Krämer, „ganz bewusst die Damen in den Vordergrund rücken.“ Und „an die Tradition von Bergbau und Schwerindustrie“ erinnern, das auch noch.

Ohne Rambazamba und Randale

Bei aller Ernsthaftigkeit aber waren diese modernen Preußen närrisch genug, ihre IG am 11.11.11 um 23.11 Uhr zu gründen. Ohne Umtata und Ballermannmusik, „ohne Rambazamba und Randale“ wollen sie Karneval feiern, „vernünftig“, wie sie sind. Trotzdem gehen sie nicht zum Lachen in ihren Burgkeller, „wir lachen 365 Tage im Jahr“.

Und sind nun also ein Karnevals-Verein? Mitnichten! Preußen hin oder her, mit Regulierungswut hat Hauptmann Hoffmann nichts an der Pickelhaube. Man könnte auch sagen: mit Vereinsmeierei. Außerdem, als organisierte Jecken dürften sie ihre „Kostüme“, die ja nun Uniformen sind, „nur vom 11.11. bis Aschermittwoch tragen“! Unzumutbar. In diesen Nicht-Verein also wird man nicht aufgenommen, sondern „berufen“.

Sie hören Sschellackplatten

So kommt es, dass die preußische Prunksitzung die wahrscheinlich kleinste zwischen Ruhrgebiet und Rheinland ist, mit 32 Leuten und einem Grammophon. Ja, sie spielen Schellackplatten, schunkeln, tanzen Standard („die Polka endet meistens in der Theke“) und finden das lustig: „Unsere Eltern sitzen in den großen Sitzungen und hören Schlager – und wir hören Schellackplatten!“ Verkehrte Zeit.

Das ist ohnehin Programm bei diesen Preußen, die doch protestantisch waren und eher Anti-Narren. Katholiken, sagen sie, das waren doch die Jecken, die „die Sau rausließen: saufen, samstags Keilerei und sonntags wieder in die Kirche“. Die haben, behauptet Oliver, „den Karneval erfunden, um die Preußen zu verarschen“. Nun, jetzt „verarschen die zurück“. Treten an wie weiland 1904 beim Karnevalszug im Stadtteil Osterfeld, schultern die Schabüchse, ihr alkoholhaltiges Gewehr, und zeigen den Rheinländern, „wie Karneval richtig geht“. Und der Hauptmann ist der Hoppeditz.

„Wir spielen keinen Krieg!“

Mit Krieg indes hat das nichts zu tun, auch wenn es manchmal so aussieht. „Wir spielen keinen Krieg, denn Krieg ist kein Spiel!“, betonen die Soldaten auf ihrer Internetseite und setzen ihr eine Erklärung auf den Fuß: „Die IG Preußisches Rheinland lehnt jede Form von Extremismus grundsätzlich ab.“ Man könnte ja darauf kommen, dass Leute, die das Gestern feiern, vielleicht ewig gestrig. . . „Fahnenschwenkende Nationalisten“, betont Hoffmann, „brauchen wir nicht!“ Die wollen nur spielen!

Auch mit den Waffen haben die Oberhausener es nicht so: Ihre Burg verteidigten sie zu Sessionsbeginn mit – Luftballons. Und zu Karneval lassen sie die militärischen Insignien weg (bis auf die Schabüchs, selbstredend). Dafür wird die Uniform „mit Orden gepimpt“ und jeder, der sonst Mütze trägt, kriegt eine Pickelhaube. Auch Jonas, der Jüngste, „Sohn des Bürgermeisters“. Der wird sechs „und passt jetzt langsam rein“.

Alles muss mindestens täuschend echt sein

Sie kaufen sowas im Internet, auch Säbel, Mütze, Koppel, „es gibt in ganz Deutschland Wahnsinnige, die Preußen machen“. Alles muss mindestens täuschend echt sein, „die Knöppe 2,53 Zentimeter auseinander“. Auf die Bannerstange aber setzte der Fahnenschmied eine Grubenlampe. Und so stehen sie stolz am Rande des Zuges, Regenjacken sind dem guten Soldaten verboten. Und seit sie die Uniformen nähen lassen bei einem Schneider in Bottrop, schießen die Preußen nicht mal mehr mit Knöpfen.