Projekt soll Flüchtlingen den Weg in einen Pflege- oder Arzt-Beruf ebnen. Derzeit büffeln sie Fachbegriffe. Welche Hürden noch zu nehmen sind.

Das Herz ist Farhad Esmailys Lieblingsorgan. Vielleicht wird er später einmal Pfleger auf einer kardiologischen Station – oder Kardiologe. So genau kann er das noch nicht sagen. In Bio jedenfalls hat er nicht nur für sein Referat über das menschliche Herz eine Eins kassiert – Bio lag ihm einfach.

Die Schule, die Esmaily bis zur zehnten Klasse besucht hat, der Biologieunterricht, die guten Zensuren – das alles ist weit weg. Sein Leben in Kandahar, Afghanistan, liegt hinter ihm.

Fachbegriffe stehen auf dem Stundenplan

Doch auch im Hier und Jetzt ist es das Herz, das Esmaily beschäftigt. Jetzt, um kurz vor zwölf, an einem eisigkalten Januartag. Hier, in einem kleinen Seminarraum auf dem Gelände des Essener Uniklinikums: Tischreihen, ein Regal und ein Whiteboard, verkleidete Neonröhren an der Decke, gelbe Rollos vor den Fenstern, an der Wand große Zettel mit Grammatik – bestimmte Artikel, konjugierte Verben, die vier Fälle.

Gerade hat Deutschlehrer Farouk Hamdi seiner Klasse eine Übung zum Hörverständnis aufgegeben.

Der Dialog, dem die 18 Männer und Frauen aus Afghanistan, Syrien, Eritrea konzentriert lauschen – er enthält Vokabeln, die selbst manchem deutschen Muttersprachler nicht leicht über die Lippen gehen: „Vorhofflimmern“, „Herzrhythmusstörungen“, „Herzkatheteruntersuchung“, „Hypercholesterinämie“.

Jobcenter wählt 25 Menschen aus

Etwa ein Jahr haben sie gebraucht, die Universitätsmedizin, die Neue Arbeit der Diakonie, das Job-Center und die DRK-Schwesternschaft in Essen sowie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, um ihr Gemeinschaftsprojekt zur „Integration von Flüchtlingen in das Gesundheitswesen“ an den Start zu bringen. „Uns ging es nicht um einen Schnellschuss, sondern um Qualität“, sagt Ingo Neupert, Projektleiter und stellvertretender Leiter des Sozialdienstes am Uniklinikum.

Abdulrahim Sakkal (rechts) und Farhad Esmaily gehören zu den 25 Flüchtlingen, die das Jobcenter für das Projekt ausgewählt hat.
Abdulrahim Sakkal (rechts) und Farhad Esmaily gehören zu den 25 Flüchtlingen, die das Jobcenter für das Projekt ausgewählt hat. © Ralf Rottmann

25 Teilnehmer zwischen 21 und 51 Jahren hat das Jobcenter ausgewählt, manche mit, andere gänzlich ohne Vorerfahrung im medizinischen Bereich. Manche kommen direkt von der Schule, andere haben studiert oder schon ein halbes Berufsleben hinter sich. Manche leben bereits seit mehreren Jahren in Deutschland, andere erst seit einigen Monaten.

„Eine sehr heterogene Gruppe“, befindet Lehrer Farouk Hamdi. „Aber eine gute, stabile Gruppe.“ Das Programm ist straff: vormittags Deutschunterricht, mit fachsprachlichem Schwerpunkt, nachmittags Hospitation in der Pflege, auf verschiedenen Stationen.

Nächstes Ziel: Fachabitur

Einige Teilnehmer besuchen am Abend noch weitere Kurse, Esmaily etwa geht zum Abendgymnasium. Den Realschulabschluss hat er schon nachgeholt, sein nächstes Ziel: das Fachabitur. Doch jetzt ist erst einmal die nächste Lektion dran: Thema Patientenverfügung. „Was bedeutet vertreten?“ fragt Farouk Hamdi. „Hat das etwas mit Vertrauen zu tun?“, vermutet ein Schüler. „Ein Anwalt kann jemanden vertreten“, erklärt ein anderer.

Gemeinsam entschlüsseln sie die Bedeutung der unbekannten Wörter, einige ringen beim Sprechen noch mit den kantigen deutschen Silben, tun sich schwer mit mancher Betonung. Aber verstehen können sie alle schon erstaunlich viel. „Und eine Vollmacht?“, fragt Hamdi. „Was ist das?“ Fragen auf Arabisch schmettert der Lehrer sofort ab: „Ich verstehe kein Arabisch“, sagt er. Was er natürlich doch tut – „aber nur außerhalb des Unterrichtes“.

Fit für einen Ausbildungsplatz

Das 17-monatige Projekt soll sie für eine Ausbildung im medizinischen Bereich qualifizieren. In sprachlicher, theoretischer, kultureller, sozialer, praktischer – in jeder Hinsicht. In einem guten Jahr könnten einige von ihnen also in der Lage sein, mit anderen, mit deutschen Bewerbern mitzuhalten und einen Ausbildungsplatz zu bekommen.

Abdulrahim Sakkal wirkt ohnehin nicht wie einer, der auf einen Bonus hoffen will. Vor seiner Flucht hat der 25-jährige Syrer zwei Jahre lang Anästhesie studiert. Der Krankenhausalltag ist ihm vertraut, theoretisch könnte er Zugänge legen und Blut abnehmen – praktisch darf er das nicht.

Rechtlich haben die Teilnehmer, ob Vorerfahrung oder nicht, alle den gleichen Praktikantenstatus: Sie dürfen zuschauen, mal etwas anreichen oder unter Aufsicht einfache Aufgaben übernehmen. Während dieser Zeit sollen aber auch bereits vorhandene Qualifikationen festgestellt werden: Manches könnte auf ein späteres Studium oder eine Ausbildung angerechnet werden; manche Abschlüsse, die sie in der Heimat erworben haben, könnten hier anerkannt werden.

Heimweh schleicht sich ein

Sakkal jedenfalls möchte unbedingt weiter studieren. Er ist allein nach Deutschland gekommen, ein gutes Jahr ist das jetzt her; ein jüngerer Bruder folgte später, lebt nun in Dortmund, ein anderer ging nach Dubai. Der Rest der Familie blieb in Syrien zurück. Er vermisse Syrien, natürlich, „das ist meine Heimat!“ – doch baldigen Frieden, eine Rückkehr, eine Perspektive, scheint er sich nicht vorstellen zu können. Jetzt nicht.

Eine gute Stunde nach den Sprachlektionen tauschen auf der Station „Intensiv/Überwachung M-IMC“ Abdulrahim Sakkal und Farhad Esmaily ihre Alltagskleidung gegen hellblaue Hosen und kurzärmelige Oberteile. Esmaily begleitet eine Krankenschwester von Zimmer zu Zimmer, schaut zu, stellt viele Fragen, und sie erklärt geduldig.

Sprachprobleme? Umschiffen sie. Bei einem Patienten wird der Blutdruck über einen arteriellen Zugang gemessen. Die Methode ist Esmaily zwar neu – die Vokabeln aber kennt er längst.