Köln. . Eck-Bank, Bar-Schrank, Küchen-Tafel: In unseren Wohnungen sollen wir uns vor allem wohlfühlen. Das zeigt die Internationale Möbelmesse in Köln.
Spätestens gegen Mittag ist man ratlos. Stundenlang ist man bis dahin gelaufen durch die großen Hallen, der Internationalen Möbelmesse (IMM) in Köln. Wo 1350 Aussteller aus 50 Ländern auf rund 270 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer aufgebaut haben und Küchen, Bäder und Büros auf neugierige Besucher warten. Den Trend des Jahres hat man gesucht, hat aber nichts gefunden. Was Ursula Geismann, Trendexpertin vom Verband der Deutschen Möbelindustrie nicht wundert. „Der Trend ist, dass es keinen großen Trend gibt“, sagt sie. „Es gibt aber viele kleine.“
„Alles kann, nichts muss“, liegt einem auf der Zunge aber Geismann nennt es lieber „Individualisierung“. Soll heißen: Jeder macht, was er will in seiner Wohnung. Auch wenn er dabei nicht immer weiß, was er da tut.
Und so stehen Plüschsessel neben Stahlstühlen, werden Sofas immer breiter, am Stand nebenan aber ein ganzes Stück schmaler. „Es gibt fast keinen Trend ohne Gegentrend“, hat nicht nur Leo Lübke, Inhaber der Firma Cor-Sitzmöbel erkannt.
„Früher hat man die Wohnung eher für andere eingerichtet“, kann Messesprecher Markus Majerus zum Thema beitragen. „Heute traut sich jeder, er selbst zu sein.“
Cocooning – bitte gemütlich
Manchmal muss man sich da schon recht viel trauen. Zum Beispiel beim „Lover’s Paradise“. Ein 7000 Euro teures rotes, drehbares Plüschbett mit Samtdach, das die Herzen von Besitzern einschlägiger Etablissements wahrscheinlich schnell höher schlagen lässt. Aber dazu sagt Gerald Klimke, Geschäftsführer und Designer der Firma „Signet“ nichts. Wahlweise eine „Verrücktheit“ oder „einen kuriosen Ausrutscher“ nennt er sein Werk. Dabei dürfte sein Liebesparadies auch bei Menschen auf Interesse stoßen, die keinen Swinger-Club betreiben.
Mit Plüsch assoziierten die Menschen Wärme und Gemütlichkeit, erklärt Ursula Geismann. Und nach diesen Gefühlen des Geborgenseins sehnten sich viele Menschen sehr stark. Und das nicht erst seit neuestem. „Wir haben vor Jahren schon mit dem Cocooning und Homing angefangen“, bestätigt Majerus – beides Schlagwörter für den Rückzug in ein immer gemütlicheres Zuhause. „Und wenn wir ehrlich sind, das zieht sich bis jetzt durch.“ Geismann glaubt sogar, dass sich dieser Trend verstärkt hat. Viele Menschen seien überfordert mit der Schnelligkeit des Lebens, deshalb würden sie sich quasi in den eigenen vier Wänden einigeln. „Tür zu und Ruhe.“
Aber Licht an. Gerne auch besonderes Licht. Der dänische Designer Sören Ravn Christensen hat deshalb eine Lampenserie mit Gänsefedern entwickelt. Sie werden an feinen Drähten um eine schlichte LED-Leuchte drapiert. „Kuschelig aber trotzdem sauber“, sei das Licht, schwärmt Christensen und noch bevor des Tierschützers-Seele auf Temperatur kommt, erklärt er: Die Federn stammten von Gänsen aus Ungarn sowie China und seien ein Abfallprodukt von Schlachthöfen. Würde er sie nicht benutzen, würden sie verbrannt.
Nostalgie – Gutes von gestern
Viel Neues gibt es in Köln zu sehen. Aber manches davon gab es so – oder so ähnlich – früher schon einmal. Und auch das hat angeblich ein wenig mit der Sehnsucht nach Ruhe zu tun. „Diese Entwürfe haben Zeitbezug, kommen also aus einer vermeintlich besseren Zeit und sind verlässlich wie ein guter alter Freund“, erklärt sich Geismann das.
Schwer angesagt sind jedenfalls Möbel mit 1950er oder 1960er-Jahre-Flair. Waren es in den vergangenen Jahren Tische, Stühle und Lampen, die an berühmte Vorbilder erinnerten oder gar 1:1-Neuauflagen von Klassikern waren, haben Teile der Branche in diesem Jahr die Renaissance des Barschranks ausgerufen. Oder der Schrankbar. Da ist man sich nicht ganz einig.
Was einst gerne aus dunklem, schwerem Holz war, kommt heute sehr leicht und auf Wunsch auch in knalligem Rot oder zwei Dutzend anderen Farben daher. So wie das Modell der Firma Schönbuch, das auf Füßen steht, die man filigran nennen darf und dessen Türen sich bis an die Seitenwände öffnen lassen.
Auch Firmensprecher Michael Reß bemüht die „Gemütlichkeit“, die man zurückbringen möchte. Nein, Marktforschung habe man nicht betrieben, man verlasse sich auf den Zeitgeist, sagt er. Der könnte allerdings in vielen Haushalten schnell durch den Preis vertrieben werden. Ab 2500 Euro kostet die kleine Bar – Getränke exklusive. Für den Aufgesetzten von Onkel Jupp vielleicht ein wenig viel.
Und noch einmal Retro. Die Küchenbank feiert angeblich auch ein Comeback. Natürlich nicht als Modell Kiefer mit rotem Plastikbezug und hochklappbarer Sitzfläche, unter der Oma früher immer die alten Lappen und Putzmittel verstaut hat. Mit puristischer Linienführung, hochwertig gepolstert und deshalb tatsächlich sehr bequem bringt sie Luxus-Hersteller Cor auf den Markt. Nicht zuletzt, weil Firmenchef Lübke glaubt, dass das „klassische Wohnzimmer sich auflöst“.
Zumindest aber werde es zu einer „sehr privaten Zone“. Wo man auf großen Sofas im engsten Familienkreis relaxe – oder auch schon mal wegnicke – bevor man ins Bett gehe. Ansonsten aber hat er festgestellt: „Man bleibt doch nach dem Essen immer länger in der Küche sitzen.“ Vorausgesetzt, die Küche ist groß genug.
Alles groß – die Tafel in der Küche
Überhaupt können Haus und Wohnung gar nicht groß genug sein. Viele Hersteller haben nicht nur Tische im Programm, sondern auch Tafeln. Viele Modelle passen sich der Wohnsituation an, aber groß bleiben sie dennoch.
Was Designern wie Jorre van Ast, dessen neuer Eichen-Tisch namens Trestle Table von Arco auf der IMM präsentiert wird, keine Sorgen bereitet. Natürlich kennt er die klassische Dreiteilung von kleiner Küche, Ess- und Wohnzimmer, aber: „Die Art, wie wir leben, und damit auch die Orte, an denen wir leben, verändern sich“, sagt der Niederländer.
Wohnräume hätten weniger Wände, gerade Küche und Esszimmer würden miteinander verschmelzen. „Im Mittelpunkt steht hier ein Gemeinschaftstisch in zentraler Lage.“ So eine Tafel bietet natürlich auch eine weitere Option: Statt ins Restaurant zu gehen, kann man Freunde einladen und für sie kochen. Was die Deutschen sehr gerne machen.
Die Küche der Zukunft
Auch deshalb nehmen Küchen auf der Messe in Köln extrem viel Raum ein und waren schon während der Fachbesuchertage immer wieder „proppevoll“. Und anders als in vielen anderen Messebereichen gibt es hier einen klaren Trend. Herd, Backofen, Kühlschrank und Mikrowelle alleine reichen vielen begeisterten Köchen nicht mehr aus. Sie wollen Geräte, mit denen Profis arbeiten. Ein Wunsch, den ihnen Hersteller von Küchengeräten gerne erfüllen.
Dunstabzüge in oder unmittelbar neben den Kochfeldern sind fast schon ein alter Hut und bei nahezu allen Anbietern im Programm. Miele etwa bietet nicht nur ein Teppan Yaki an, einen knapp 1800 Euro teuren, sehr heißen japanischen Grill für Kurzgebratenes, sondern auch einen einlassbaren Barbecue-Grill für die Küchenplatte oder eine Induktionsmulde für einen Wok.
Das Fleisch im Vakuumbeutel
„Natürlich ist etwa ein Teppan Yaki noch etwas für Genießer, aber dieser Markt wächst”, erklärt Kirk Mangels, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Die Moderne Küche (AMK). So seien Geräte zum Sous-Vide-Garen bereits verbreitet – ebenfalls mit steigender Tendenz. „Denn man will inzwischen sein Fleisch zu Hause genauso gut zubereiten, wie man es aus dem Restaurant kennt”, vermutet Mangels.
„Sous vide“ bedeutet „unter Vakuum“. Bei dieser Methode des Niedrigtempaturgarens werden die vakuumierten Speisen konstant bei niedriger Temperatur zwischen 50°-85° in einem Dampfgarer über einen langen Zeitraum gegart. Der große Vorteil liegt darin, dass die Flüssigkeit im Vakuumierbeutel bleibt – und damit die Speisen besonders saftig werden. Neff-Geschäftsführer Stefan Kinkel sagt, dass das Fleisch auch noch perfekt auf dem Punkt ist, wenn die Gäste eine Stunde zu spät kommen. Wenn man sie dann noch bewirten will.
Vielleicht kocht man deshalb besser gleich gemeinsam. In herkömmlich angelegten Küchen ist das allerdings nicht immer einfach. Weil sie so angelegt sind, dass sich die vielen Köche schnell im Weg stehen. Das Unternehmen Ballerina stellt deshalb eine Kücheninsel in Y-Form vor. Steht man allein daran, muss man hin- und herrennen, in kleiner Runde allerdings können mindestens drei Nachwuchs-Bocuses gleichzeitig arbeiten ohne sich in die Quere zu kommen. Und reden können sie auch noch miteinander.
Induktionsfeld in der Arbeitsplatte
Zum Beispiel über die Stein-Arbeitsplatten mit praktisch unsichtbar integrierten, individuell anpassbaren Induktionsfeldern, die es künftig bei Nolte Küchen gibt. Eine Weltneuheit, die nicht nur extrem elegant aussieht, sondern auch einfach zu reinigen ist, weil weder Ecken noch Kanten stören. Wer fragt, wie teuer das System ist, bekommt die etwas schwammige Antwort: „Nehmen sie den Preis einer Steinarbeitsplatte und den eines Induktionsfeldes und schlagen sie ein paar Prozent drauf.“
Unklar bleibt auch, was passiert, wenn so ein in den Stein eingearbeitetes Induktionsfeld mal kaputt geht. „Das ist sehr hochwertig, das geht so schnell nicht kaputt“, sagt ein Sprecher. Und wenn es langsam kaputt geht? „Dann kommen unsere Spezialisten“, sagt er. Was sie dann machen, sagt er nicht.
Ebenfalls am Stand von Nolte gibt es Xperia Projector von Sony zu sehen. Im Prinzip ist der kleine Kasten – Preis und Erscheinungsdatum sind noch offen – ein Android-Tablet, das kein Display zur Informationsdarstellung nutzt, sondern alles auf jeden (flachen) Untergrund projiziert. Das kann eine Wand, die Decke, oder eine Arbeitsplatte in der Küche sein – selbst wenn sie mit Mehl verschmiert ist. Wie ein Smartphone reagiert die Projektion auf Berührungen, Sprache, Gesten. Man kann klicken, wischen, im Internet surfen, Filme anschauen, Rezepte ansehen und dem Partner eine aktualisierte Einkaufsliste aufs Handy schicken.
Smart Home – High-Tech im Haus
Damit passt der Projektor perfekt in das „Smart Home“, das wieder einmal auf der Messe zu sehen ist und zeigt, wie viel High-Tech heute in einem Gebäude stecken kann. Die Technik sorgt nicht nur für Sicherheit und Energie-Effizienz, sie steuert auch das WC, auf dem es kein Toilettenpapier mehr gibt, sondern angepasste Wasserstrahlen und Föhnwärme für die Reinigung des Allerwertesten nach dem Toilettengang sorgen.
Neuerdings synchronisiert das Haus von Übermorgen sich auch mit dem Abfallkalender der Stadt oder Gemeinde oder signalisiert mit Hilfe von farblich leuchtenden Bausteinen im Vorgarten, wann welche Tonne abgefahren wird. Vor die Tür stellen, müssen die „Bewohner“ den Müll allerdings nach wie vor selber. „Noch“, sagt ein Mitarbeiter des Projektes. „Aber auch daran wird bereits gearbeitet.“