Beim Spielen von „Sea Hero Quest“ liefert man Daten zur räumlichen Orientierung, die Demenz-Forschern als Grundlage zur Frühdiagnose dienen können.

Auf Schiffstour zu den fantastischen Seeungeheuern.
Auf Schiffstour zu den fantastischen Seeungeheuern. © Deutsche Telekom AG

Beim Klabautermann, wie bitte soll die Jagd auf fantastische Seeungeheuer die Forschung an einer Hirnkrankheit wie Demenz unterstützen? Die Antwort liefert das hübsche, kleine Spiel „Sea Hero Quest“, das unter anderem von Forschern des University College London mit der Deutschen Telekom entwickelt wurde. Während man als junger Seemann über die Weltmeere schippert, um spektakuläre Seewesen zu fotografieren, sammelt die Software Daten zu Navigationsverhalten und räumlicher Orientierung der Spieler – eine freiwillige Massenumfrage, auf die man natürlich hingewiesen wird und die eine seriöse, anonyme Datenauswertung ermöglicht. Den Forschern geht es darum, so genannte Normdaten zu sammeln, also festzustellen, wie Menschen unterschiedlicher Generationen sich im Normalfall orientieren. Denn der schleichende Verlust der räumlichen Orientierung ist bei Demenzkranken oft eines der ersten bemerkbaren Symptome.

Ein Experiment wurde schick verkleidet

Eines der zu jagenden Monster.
Eines der zu jagenden Monster. © Deutsche Telekom

„Am Ende der Frühphase und am Beginn der Mittelphase der Erkrankung brauchen diese Menschen in einer fremden Umgebung länger, um sich da einzufinden. Angenommen man fährt von Essen nach Münster. Da war man schon zehn Mal und will wieder ins gewohnte Hotel. Und dann findet man den Weg vom Hauptbahnhof dorthin nicht richtig“, erläutert Stephan Brandt, Neurologe und stellvertretender Direktor der Klinik für Neurologie an der Berliner Charité. Der gebürtige Wuppertaler hat als beratender Wissenschaftler „Sea Hero Quest“ begleitet.

Eigentlich sieht das Spiel mit seinen comicartigen 3D-Animationen viel zu süß und schick aus, um einen ernsten Hintergrund zu haben. Doch der Eindruck trügt: „Es gibt Vorversionen des Spiels, die sind viel nüchterner. Dort geht man durch ein Kaufhaus und muss Produkte suchen. Oft sah das wie ein wissenschaftliches Experiment aus. Bei ,Sea Hero Quest’ hat man das Experiment neu verkleidet, darum ist es bunt und hat Anreize wie das Harpuneschießen. Aber wenn man es aus Forschersicht analysiert, liegen hinter den einzelnen Aufgaben bestimmte Hirnfunktionen, die man relativ präzise voneinander unterscheiden kann.“

Jedes Jahr wächst die Zahl der Erkrankten um 40 000

Alzheimer wird zunehmend zur gesellschaftlichen Herausforderung. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft zählt derzeit 1,5 Millionen Menschen in Deutschland, die betroffen sind. Jährlich gibt es 300 000 neue Diagnosen, das sind gut 40 000 mehr, als Erkrankte im Laufe eines Jahres sterben.

Nun ist „Sea Hero Quest“ kein Diagnoseinstrument und die darin abgefragten Aufgaben sind nicht zur Verhinderung von Erkrankungen geeignet. Aber sie können zu einer Basis beitragen, um in Zukunft Alzheimer früher zu erkennen.

Neurologe Stephan Brandt.
Neurologe Stephan Brandt. © Charité

Überhaupt wird ja immer von der förderlichen Wirkung von Spielen fürs Gedächtnis berichtet. „Es gab die Hoffnung, regelmäßige Gedächtnistests etwa auf Tablet-Computern könnten Auswirkungen auf das allgemeine Gedächtnis haben. Das stimmt leider nicht so einfach. Was sich zeigt: Durch das Trainieren eines bestimmten Tests kann man die bestimmte Leistung halten. Das wird aber nicht unbedingt übertragen auf andere Gedächtnisleistungen“, so Brandt. Wenn ein Demenzkranker also mit einer App trainiert, Einkaufslisten zu schreiben, wird diese Fähigkeit länger erhalten bleiben. Das verhindert aber nicht, dass er noch die Namen seiner Nachbarn vergisst. „Was man damit trainiert, ist nicht die allgemeine Gedächtnisfunktion, sondern Erinnerungsstrategien für bestimmte Inhalte“, so Brandt. Auch Kartenspiele wie Rommé, Skat und Doppelkopf oder Brettspiele wie Schach und Backgammon trainieren eben nur ganz spezielle Fähigkeiten.

Wichtiger ist es, mit beiden Füßen im Leben zu stehen, wenn man seine geistige Leistungsfähigkeit erhalten will. „Wir wissen, dass bei Menschen, die länger im Berufsleben bleiben und Alltagssituationen bewältigen, die Alterungsprozesse des Gedächtnisses und der Orientierungssinne verzögert einsetzen. Wir wissen aber nicht genau, warum das so ist. Grund ist wahrscheinlich mehr als nur das Trainieren der Einzelfähigkeiten“, so Brandt.

Zwei Millionen Downloads

„Sea Hero Quest“ ist jedenfalls schon jetzt ein Erfolg. Für die Wissenschaft, aber auch als Spiel. Zwei Millionen Mal wurde die virtuelle Schiffstour weltweit heruntergeladen. Und sie hat Daten geliefert, für die Jahrzehnte Forschung notwendig gewesen wären. Im November werden erste Ergebnisse vorgestellt. Und vielleicht hat dann ausgerechnet ein Spiel dazu beigetragen, die Demenzforschung einen großen Schritt voranzubringen.

  • „Sea Hero Quest“, kostenlos für Android und iOS in den App-Stores