Essen. Am ersten Arbeitstag spüren viele Menschen den Nach-dem-Urlaub-Blues. Daran merkt man, dass sie zumindest in den Ferien richtig entspannt haben.
Gestern spürte man noch den Wind in den Haaren, hörte mit einem Lächeln auf den Lippen das Rauschen der Wellen und die Augen sahen bis zum Horizont. Heute starren sie auf 500 ungelesene E-Mails. Das Telefon klingelt pausenlos. Kunden fragen, wann man denn endlich ihr Anliegen bearbeitet. Der Vorgesetzte lädt zur Besprechung ein. Und an den Feierabend mag man überhaupt nicht denken: Zuhause wartet der Berg Wäsche. Selbst die fröhlichsten Menschen, die von ihrer Arbeit sagen, sie sei ihr Traumberuf, spüren in solchen Momenten einen Druck auf den Schultern und denken: „Was mache ich hier? Ich will nicht!“
Zwei bis drei Tage dauert der Blues
Der Nach-dem-Urlaub-Blues erwischt nun zum Ende der Ferien wieder viele Menschen. Psychologen erforschen dieses Phänomen, manche sprechen gar vom Post-Holiday-Syndrom. Die depressive Verstimmung hält meist zwei, drei Tage nach der Rückkehr an. Dabei ist man dem Blues nicht machtlos ausgeliefert. Es kommt darauf an, wie sehr man sich drauf einlässt, wie viel und welche Art der Erholung wir uns gönnen. Es gibt Möglichkeiten, dieses negative Gefühl zu mildern, seine Leistungsfähigkeit sogar zu steigern und trotzdem ein bisschen Urlaub in den Alltag zu retten. Und so unschön die erste Zeit nach dem Urlaub zurück am Arbeitsplatz ist, wer den Blues spürt, hat nicht alles verkehrt gemacht, betont Dr. Anja Gerlmaier vom „Institut Arbeit und Qualifikation“ an der Universität Duisburg-Essen.
Die Arbeitspsychologin ist selbst erst vor ein paar Tagen aus dem Urlaub zurückgekommen und ist am Schreibtisch nicht gerade in Jubelschreie ausgebrochen. Denn natürlich muss man nach einer Zeit der Tiefenentspannung erst wieder zurückfinden in den Arbeitsrhythmus. Dass man sich dann nach dem Cappuccino im Strand-Café sehnt, ist verständlich. „Wenn man jedoch das Gefühl hat, man kommt vom Urlaub zurück und ist überhaupt nicht erholt, man fühlt sich immer noch schlapp und leer, dann ist das noch viel schlimmer“, sagt die 44-Jährige. Solch eine chronische Erholungsunfähigkeit sei eine Vorstufe zum Burnout. „Diese Leute sind nicht in der Lage, runterzukommen, abzuschalten. Der Körper kann nicht in eine Ruhephase eintreten.“ Das sei ein viel größeres Gefahrensignal, das einem zu denken geben sollte. Wer den Nach-dem-Urlaub-Blues spürt, hat sich zumindest im Urlaub entspannt. Trotzdem zeigt eine ausgeprägt schlechte Stimmung nach den Ferien, dass man es auch im Alltag besser machen kann.
Tricks für längere Erholung
Am Sonntag spätabends am Flughafen anzukommen und dann direkt am nächsten Morgen früh bei der Arbeit anzufangen, nennt Gerlmaier den „Klassiker“. Da sei der Blues schon vorprogrammiert. Ein gleitender Übergang vom Urlaub zur Arbeit sei wichtig. „Ich stelle am ersten Tag mein Telefon aufs Sekretariat um“, nennt sie eine Lösung. Oder man teilt Kunden mit, dass man am Dienstag aus dem Urlaub zurückkommt, obwohl man schon am Montag wieder da ist. So bleibt das Telefon still und man hat Zeit, sich wieder einzuarbeiten. „Sich selbst erst mal wieder reinzudenken und zu gucken, wo waren eigentlich die losen Fäden? Wo habe ich aufgehört zu arbeiten, was haben die anderen jetzt weitergearbeitet?“ Daher sollte der erste Tag auch nicht voller Meetings und Besprechungen sein. Und nur weil man frisch aus dem Urlaub zurück ist, heißt das ja nicht, dass man sich gleich ein neues Projekt aufs Auge drücken lassen muss.
Viele Menschen meinen, alle Fragen und Aufträge von Kollegen und Kunden am ersten Tag bearbeiten zu müssen. Jetzt. Sofort. Und dann machen sie Überstunden, vielleicht sogar mehr als sonst, und fühlen sich nach kurzer Zeit ähnlich ausgelaugt wie vor dem Urlaub. „Man sollte versuchen, am ersten Tag nicht alles abzuarbeiten“, sagt Anja Gerlmaier. Sie empfiehlt das Eisenhower-Prinzip: Alle Aufgaben werden dabei nach den Kriterien „bedeutsam und nicht bedeutsam“ sowie „dringlich und nicht dringlich“ sortiert. Wenn etwas bedeutsam und dringlich ist, sollte es sofort bearbeitet werden. Unbedeutsame und nicht dringliche Angelegenheiten können erst mal liegen bleiben.
Beherzigt man dieses Prinzip, muss man nicht alles am ersten Tag erledigen, kann vielleicht sogar eine halbe Stunde früher nach Hause gehen. Um dort dann nicht nur Wäsche zu waschen, sondern vielleicht auch in dem Roman weiterzulesen, den man in Spanien angefangen hat. Oder auf dem Balkon ein Glas von dem Wein zu trinken, den man sich aus Frankreich mitgebracht hat. Und so fühlt sich der erste Abend an wie Urlaub.
Bis zur Erschöpfung gearbeitet
Meist trennen die Menschen Arbeits- und Erholungsphasen zu stark voneinander, so Gerlmaier. Da wird bis zur Erschöpfung geschuftet, immer mit dem Ziel vor Augen: in neun Wochen fahre ich ja in den Urlaub, in acht, in sieben . . . Oh Mann, bin ich urlaubsreif. . . in sechs, in fünf, in – Was? Noch ganze vier Wochen???
Dieses Gefühl des Ausgeliefertseins, nicht mehr die Freiheit wie im Urlaub genießen zu können, holt die Menschen bereits am ersten Arbeitstag ein. Sie haben dann nur noch einen Gedanken: „Jetzt muss ich so lange arbeiten bis ich wieder Urlaub habe.“
Manche bringen sich Urlaubserinnerungen mit ins Büro, legen sich eine Muschel auf den Schreibtisch oder nehmen Urlaubsfotos als Bildschirmschoner. Das kann die schönen Erinnerungen aufrechterhalten. Aber ein Pauschalrezept gegen den Blues sei das nicht, betont Gerlmaier. „Es könnte auch sein, dass die Menschen denken, ach, im Urlaub sah ich noch gut aus.“ So entspannt und braun gebrannt. Gerlmaier: „Ich kann mir vorstellen, dass das manchen Leuten die Arbeit noch mehr vergrätzt.“
Wie immer ist es auch eine Frage der Sicht, wie sehr einen der Blues einholt. „Wenn die Leute denken, Freizeit und Urlaub sind schön, Arbeit ist schlecht, dann ist das auf Dauer keine gute Einstellung“, sagt Gerlmaier. Außerdem: Wer will wirklich ein Leben lang nur am Strand liegen? „Das wäre irgendwann auch langweilig. Die Abwechslung ist relevant.“ Und das heißt, dass man sich nicht nur während des Urlaubs erholt, sondern auch in der Arbeitsphase.
„Ein Kernproblem in unserer Arbeitswelt ist, dass die Leute das Gefühl haben, sie müssten immerHöchstleistungen bringen und Pausen oder Erholung wären etwas, das mit Faulenzen zu tun hätte, das negativ wäre. Das ist der Fehler“, sagt Anja Gerlmaier. Wer vier Stunden Akten-Ordnen vor sich hat, wird verständlicherweise gefrustet sein. Wer jedoch vorher einplant, sich in einer Stunde einen Kaffee zu holen und in zwei mal kurz mit der Kollegin Urlaubserlebnisse auszutauschen, dem erscheint das Akten-Ordnen nicht mehr ganz so schlimm. „Pausen sind wichtig“, sagt die Arbeitspsychologin. Schon kurze Pausen von wenigen Minuten. „Dadurch schafft man es, die Leistungsfähigkeit über den gesamten Arbeitstag deutlich besser zu erhalten, als wenn man durcharbeitet.“
Pausen sind wichtig
Häufig machen Menschen jedoch die Erfahrung, dass sie direkt einen eingeschenkt bekommen, wenn sie einfach nur mal einen Apfel essen. „Dann kommt der Vorgesetzte oder der Kollege vorbei und sagt: ,Hast du nichts zu tun?’ Anstatt dass er sagt: ,Finde ich gut, dass du mal eine Pause machst, müsste ich auch mal machen.’“ Man sollte seine Pausen selbstbewusst einfordern. „Das ist keine Freikarte für die Leute, die nichts geregelt kriegen“, sagt Gerlmaier lachend. „Aber den Menschen mit hohen Anforderungen in der Arbeit und im privaten Leben würde es ganz gut tun, sich mal wenigstens fünf Minuten rauszunehmen, das zu genießen und kein schlechtes Gewissen dabei zu haben.“
Am einfachsten ist es, wenn man Kollegen mit einbezieht, gemeinsam Pausen plant. So wird man auch nicht gestört, wenn man sich gerade auf eine Arbeit konzentrieren möchte, anderen aber eher nach einer erholsamen Plauderei zumute ist. Das Gleiche gilt für die Aufgaben zuhause: Sind alle Familienangehörigen nach Schule und Arbeit zurück, kann man ja erst mal zusammen die aus dem Urlaub mitgebrachten Kekse essen, bevor man bei den Hausaufgaben hilft, schlägt Gerlmaier vor.
Aktiv die Freizeit gestalten
„Erholung kommt nicht von selbst“, betont die Psychologin. Dafür muss man aktiv etwas tun. Und das heißt auch, dass man sein Verhalten in der Freizeit überdenkt. Wer zwölf Stunden am Tag E-Mails abarbeitet und sich dann abends erschöpft nur noch aufs Sofa legt, wird sich auf Dauer nicht gut damit fühlen. „Wir wissen aus der Erholungsforschung, dass sich der Akku schlechter wieder aufladen kann, wenn man nur passives Freizeitverhalten an den Tag legt.“ Ein Spaziergang, Sport und regelmäßige Treffen mit Freunden seien auf lange Sicht besser. Auch wenn man dafür erst mal Energie aufbringen muss. „Das Erholungsgefühl bleibt so länger erhalten.“
Auch sollte man sich fragen, was einem denn im Urlaub so gutgetan hat. War es die Wanderung in der Natur? Die lässt sich auch im Ruhrgebiet genießen. War es das gute Gespräch bei einem Glas Wein? Auch das kann man nach der Arbeit wiederholen. „Das kann mir kein Mensch erzählen, dass das nicht möglich ist“, sagt die zweifache Mutter Anja Gerlmaier. „Es ist eine Prioritäten-Setzung.“ Wer seine Freizeit bewusst plant, kann regelmäßig Dinge erleben, die er im Urlaub als entspannend empfunden hat. „Das macht auf Dauer glücklicher, als einfach nur Urlaub zu machen.“
So erschöpft wie zuvor
Man fühlt sich dann nicht nach wenigen Wochen wieder genauso erschöpft wie kurz vor dem Urlaub. Eine Studie über Lehrer hat ergeben, dass bei ihnen bereits vier Wochen nach den Sommerferien die Erholung komplett wieder weg ist. „Das ist natürlich erschreckend“, sagt Gerlmaier. Auch bei Lehrern ist ein ausgleichendes Freizeitverhalten wichtig.
Wobei es darauf ankommt, welcher Erholungstyp man ist. Das hängt wiederum häufig von der Art der Arbeit ab. Die Menschen, die eher körperlich arbeiten, sollten in der Freizeit nicht gerade den Mount Everest besteigen, sondern sich eher etwas zu Gemüte führen, was geistig anregend ist. Und für Leute, die eher geistig arbeiten, ist es oft besser, sportlich aktiv zu sein. „Bei psychisch anstrengenden Tätigkeiten ist häufig der Adrenalinspiegel sehr erhöht. Die Erholung kann erst eintreten, wenn der Körper von unnötigem Adrenalin befreit wird, das kann man gut hinkriegen durch muskuläre Abreaktion.“
Was natürlich auch noch gegen den Blues nach dem Urlaub hilft, ist die Vorfreude auf den nächsten. Also direkt eine neue längere Auszeit planen. Den Menschen hierzulande ist der Urlaub nicht nur lieb, sondern auch teuer: Im vergangenen Jahr haben sie 68,8 Milliarden Euro für Auslandsreisen ausgegeben, so der Deutsche Reiseverband. Fünf Jahre zuvor waren es noch zehn Milliarden Euro weniger. Die Länge des Urlaubs sinkt jedoch: Dauerte eine Urlaubsreise 1990 im Schnitt 15,7 Tage, waren die Menschen im vergangenen Jahr nur noch 10,2 Tage am Stück unterwegs.
Und das, obwohl die Erholungsforschung etwas anderes empfiehlt. „Die Tiefenentspannung tritt im Urlaub nach elf Tagen ein“, sagt Gerlmaier. Es gebe natürlich individuelle Unterschiede. Wenn jemand besonders stark beansprucht ist, braucht er womöglich länger. Während ein Mensch, der seine Energiereserven immer wieder im Alltag auftankt, schon nach wenigen Tagen tiefenentspannt ist. „Aber im Mittel sind es elf Tage. Mehr bringt nicht mehr. Drei Wochen Urlaub bringen erholungstechnisch nichts.“ Es sei denn, man steuert ein fernes Ziel an, etwa Australien, und muss eine lange An- und Abreise einplanen, dann sei ein mehrwöchiger Urlaub natürlich sinnvoll.
Auch sollte man frühzeitig den nächsten Urlaub gemeinsam planen. Und seine Wünsche äußern und sich nicht komplett denen der anderen Familienangehörigen unterordnen. Wer als Ausgleich zum Beruf einen aktiven Urlaub braucht, handelt nicht eigenverantwortlich, wenn er einem reinen Strandurlaub zustimmt. Aber es gebe ja genügend Urlaubsziele, die auch Kompromisse ermöglichen, bei denen man den einen Tag etwa wandern geht und den nächsten am Strand liegt. Und wenn man dann zurück ist, putzt man nicht sofort die Fenster, sondern schaut sich erst noch mal gemeinsam die schönen Urlaubsbilder an, während aus den Boxen die lebensfrohe Urlaubsmusik klingt. Anja Gerlmaier: „Ich kann nur gute Arbeit leisten, wenn ich gut zu mir bin.“