Essen. . Menschen mit und ohne Behinderung lernen in einem Inklusionskurs in einer Tanzschule gemeinsam. Wie die Liebe zur Musik und Bewegung sie vereint.

Luisa begrüßt ihren Tanzlehrer, sie nimmt ihn in ihre Arme. Und hält ihn, und drückt ihn. „Komm, lass den Tobias mal los“, sagt Kirsten lachend. Tobias grinst, zieht Luisa einfach mit in den Saal und dreht die Stereoanlage auf. Nils wartet auf der Tanzfläche. Zeit für eine neue Begrüßung an diesem Nachmittag. Es ist die letzte Stunde des Inklusionskurses an der Tanzschule Overrath in Essen. Menschen mit und ohne Behinderung haben wochenlang zusammen Schritte geübt.

Luisa tanzt am liebsten mit Nils. Und Nils tanzt sehr gerne mit Luisa. Seit drei Jahren lernt der 18-Jährige aus Mülheim das Tanzen. Für die anderen Kurse muss er nicht ganz so viel Geduld für seine Partnerinnen mitbringen. Aber dafür machen die anderen Stunden nicht immer so viel Spaß. Das hängt schließlich vom Menschen ab. „Mit einer Tanzpartnerin kann man dann vielleicht nicht so viel labern. Da ist es hier schöner.“ Aber Luisa sagt doch auch nicht viel? „Nein, aber wir lachen sehr viel.“ Und wie zum Beweis fängt Luisa laut an zu kichern. „Atmen nicht vergessen“, scherzt eine andere Tänzerin.

Die Teilnehmer üben ihre Choreografie nach dem Lied „Uptown Funk“.
Die Teilnehmer üben ihre Choreografie nach dem Lied „Uptown Funk“. © Volker Hartmann

Wer das erste Mal dabei ist, rätselt vielleicht, welche Teilnehmer nun geistig behindert sind. „Also am Tanzstil kann man das manchmal nicht erkennen“, sagt Kirsten Obel, die den Kurs mit leitet. Aber hier scheint das sowieso keinen zu interessieren. In der Pause verteilen sich die Tänzer nicht auf den Stühlen am Rand, wie es bei anderen Kursen oft zu beobachten ist. Sie sitzen eng zusammen, knuffen sich in die Seiten. Ein Mädchen nimmt auf dem Schoß eines anderen Platz. Wenn man das Wort „Team“ erklären wollte, bräuchte man nur auf diese Gruppe zu zeigen.

„Anfangs waren die Behinderten auf einer Seite und die anderen auf der anderen. Jetzt ist es eine coole Truppe“, sagt auch Kirsten. Gemeinsam stehen sie nun auf der Tanzfläche, immer zwei zusammen. Schritte nach links, springen, klatschen, eine Drehung. Und zeitgleich, naja fast, strecken sie je einen Arm in die Höhe und rufen: „Huuuh!“ Ihre Choreografie zu „Uptown Funk“ von Mark Ronson und Bruno Mars haben sie kürzlich beim Frühlingsball in der Tanzschule aufgeführt. Aber dann haben zwei Mädchen während einer Pause in einem anderen Saal ein Paar bei einer Privatstunde gesehen und begeistert gefragt: „Können wir so etwas auch mal lernen?“ Und nun steht Tanzlehrer Tobias Kemena vor ihnen und geht mit seinem rechten Fuß nach vorne: „Zur Seite, schließen. Links zurück, zur Seite, schließen.“ Sie lernen Langsamer Walzer.

Kirsten darf führen: Zusammen mit Sebastian geht sie Schritt für Schritt über die Tanzfläche. Sebastian ist der erste „Externe“. Zuvor hatte das Franz-Sales-Haus, eine katholische Behindertenhilfe in Essen, die Inklusionsschüler vermittelt. Manche von ihnen trainierten für das Inklusions-Musical „Grand Hotel Vegas“ der Patsy & Michael Hull Foundation. Aber nach der Aufführung im Colosseum im September 2015 wollten die Tänzer nicht mehr aufhören. Sie trafen sich erneut in der Schule zum Kurs, der nun auch für „Externe“ geöffnet wurde.

Sie mag das Wort „behindert“ nicht

Sebastian schaut auf seine Füße. Wie es jeder macht, der einen neuen Tanz lernt. Kirsten führt ihn im Kreis herum. Die 25-jährige Lehramtsstudentin, die bald parallel mit einer Tanzlehrerausbildung beginnt, gebraucht das Wort „behindert“ wie jedes andere. Aber lieber spricht sie, wenn sie überhaupt den Unterschied macht, von Inklusions-Leuten. „Ich finde, ,behindert’ klingt so blöd. Viele benutzen das als Schimpfwort.“

Die Schrittfolge klappt immer besser. Sebastian lächelt über das ganze Gesicht. „Schüchtern“ hatte Kirsten ihn zuvor bezeichnet. Anders als Luisa, die natürlich auch Kirsten am Anfang lange geherzt hat. „Ich bin mit einem behinderten Bruder aufgewachsen“, sagt Kirsten. Sie kennt daher diese Herzlichkeit. Deshalb habe sie vor dem Kurs auch keine Berührungsängste empfunden. Aber bei ihren Kollegen, erzählt sie schmunzelnd, sei das anders gewesen. „Wie versteinert sahen sie aus.“ Als Luisa sie das erste Mal sofort in den Arm nahm. „Weil man es nicht so kennt“, erklärt Tobias. „Heute ist das für mich ganz normal“, betont der 26-Jährige. „Wir wussten nicht, was uns erwartet“, sagt auch Alina Zekorn (21), die Dritte in der Leiter-Runde. „Aber die Teilnehmer haben viel Spaß. Mehr als manche Männer, die das erste Mal in die Tanzschule kommen.“

Der nächste Kurs

Der Inklusionstanzkurs wird nach den Sommerferien erneut angeboten. Montags, ab 5. September und ab 7. November 2016, je 17.30 Uhr, in der Tanzschule Overrath, Admiral-Scheer-Str. 32 in Essen. Pro Kurs sechs Tanzstunden je 60 Minuten. In den Herbstferien findet kein Unterricht statt.