Ruhrgebiet. Zur Ausstellung „Rock & Pop im Pott“ streifen wir durch Epochen der Musik der vergangenen 60 Jahre.Von den Anfängen bis zu Punk, Protest und Techno.
Mein Gott, wie die Zeit vergeht! 60 Jahre ist der Rock’n’Roll schon alt, wenn man dem Untertitel der Schau „Rock & Pop im Pott“ des Ruhr Museums traut. Und all das, was den ersten echten Ausrastern von Tollen-Trägern und Petticoat-Mädels zu wilder Musik folgte, hat nicht nur das Aufwachsen von Jugendlichen der vergangenen Generationen geprägt, es hat unsere Gesellschaft umgewälzt, unsere Wahrnehmung der Medien beeinflusst und nicht zuletzt auch die Bilder unserer Städte verändert, gerade auch im Ruhrgebiet. Natürlich war eine Westfalenhalle und eine Grugahalle nicht nur dafür gemacht, Fahrradrennen und Automessen zu beherbergen. Hier sollten sich von vornherein auch die großen Stars die Mikros in die Hand drücken. Und, oh Strukturwandel, nicht ganz zufällig hieß eine der besten Discos und Konzerthallen des Reviers: „Zeche Bochum“ – und tut es bis heute. Im Ruhrgebiet hat sich eine der aktivsten Live-Szenen der Republik entwickelt, vergleichbar mit Berlin, Köln, Hamburg und München. Und an den Ufern der Ruhr wurden einige der erfolgreichsten und beliebtesten Musiker groß, die heute noch die Stadien, Arenen und Hallen füllen. Die bisher umfassendste Schau zu Rock und Pop zeigt tatsächlich jetzt das Ruhr Museum. Und dass die Musik hier meist ein bisschen rauer, härter und lauter ausfiel als anderswo, mag durchaus an der Prägung der Menschen durch Bergbau, Stahl und andere Schwerindustrien gelegen haben. Oft griffen Musiker Motive aus diesem Umfeld in ihren Namen und Songtiteln auf – oder machten sie wie Die Krupps („Wahre Arbeit, wahrer Lohn“) sogar zum roten Faden für jahrzehntelanges künstlerisches Schaffen. Wagen wir also einen Blick auf die Musik, die mit Ruhrwasser und Dortmunder Bier getauft wurde.
Wie der Rock’n’Roll nach Dortmund kam
Elvis kam ja bekanntlich nur bis Bremerhaven. Dafür schaffte es Bill Haley bis zu uns. Erst durchs Kino bis nach Dortmund, wo am 30. November 1956 der Start des Films „Rock Around The Clock“ dazu führte, dass es die Teenager von den Stühlen riss, wo sie zu tanzen begannen und Knallkörper zündeten. Und als die entfesselten Rock’n’Roller gemäß dem deutschen Filmtitel „Außer Rand und Band“ anschließend durch die Straßen zogen, machten sie Randale. Sie zündeten an drei Abenden Weihnachtbäume an, turnten auf Motorhauben herum und skandierten lautstark – was die Polizei natürlich nicht mit ansehen konnte und eingriff.
Dass Dortmund vom Rock’n’Roll untergegangen wäre, lässt sich indes nicht behaupten: 16 Festnahmen, zerdüllte Mülltonnen, zwei Schaufensterscheiben gingen zu Bruch – ähnlich wie zuvor in London und Manchester.
Auch als Bill Haley 1958 höchstperönlich in der erst seit drei Tage geöffneten Grugahalle spielte, blieben die ganz großen Krawalle aus, allerdings wohl auch wegen des sehr hohen Polizeiaufgebots, bei dem die Beamten bei jeder Wildheit sofort einschritten. Und eine Szene begann sich zu entwickeln: Ralf Bendix aus Dortmund sang eine deutsche Version von „At The Hop“ und Benny Quick startete mit seiner „Motorbiene“ zum Erfolg. Und es gab noch mehr Rock’n’Roll von der Ruhr: Ausgerechnet das Dortmunder Label „Tremonia“ veröffentlichte „Baby Rock“ von den Elras Brothers und den Teddy Long Boys – noch von echter Professionalität entfernt, aber immerhin ein Schritt zur musikalischen Rebellion. Nur Elvis, der kam nie bis in Ruhrgebiet.
Der Beat machte das Revier verrückt
Während es mit dem Rock’n’Roll im Ruhrgebiet eher zaghaft losging und einzelne Konzerte noch keine Massenbewegung der Jugend auslösten, war das Revier schon beat-infiziert, als noch keine der großen Bands live hier gespielt hatte.
Der Sound hatte ja auch eine geringere Distanz zu überbrücken, er kam nicht aus den USA, sondern aus England, aus Liverpool, Manchester und London. Und er traf auf offene Ohren in Recklinghausen. Die Vestlandhalle war eine wahre Brutstätte für Beat. Nach dem Aufkommen der neuen Klänge 1960 sollen sich in den folgenden fünf Jahren 1500 Beat-Bands gegründet haben, die Ausstellung im Ruhr Museum zeigt ein Plakat vom „Beat Wettstreit Hamburg Recklinghausen“ vom November 1966. Zu dieser Zeit waren die German Blue Flames aus Gelsenkirchen schon Stars, sie hatten in Recklinghausen zweimal beim Beatfestival den ersten Platz belegt, bekamen sogar zwei Fernsehauftritte im „Beatclub“ und arbeiteten fieberhaft an einem Auftritt in der „Sowjetischen Besatzungszone“. Die mittlerweile älteren Herren der Blue Flames werden am 10.12. sogar zu Gast im Ruhr Museum sein.
Den Höhepunkte erreichte die Beat-Euphorie allerdings, als die Jugendzeitschrift Bravo 1965 erst die Rolling Stones, die damals „härteste Band der Welt“, auf die Bühne der Grugahalle holte. Der Auftritt war ein kurzes Vergnügen, mit „Satisfaction“ war er nach 30 Minuten vorbei. Die Zeitung schrieb damals, dass man die Musik vor lauter Schreien kaum hören konnte.
Und am 25. Juni 1966 spielten dann auch noch die Beatles im Rahmen der „Bravo-Beatles-Blitztournee“ in der Grugahalle. Ebenso kurz wie die Stones und genauso ekstatisch war’s.
Wo der Krautrock erstmals keimte
Sogar eine eigene Musikrichtung verdankt dem Ruhrgebiet ihre Entstehung: Der Krautrock keimte erst bei den „Internationalen Essener Songtagen 1968“ so richtig. Die politisierte Jugend, die sich mit der Nazi-Vergangenheit ihrer Eltern beschäftigte, fand im Essener Jugendzentrum (JZE) den idealen Ort, um die mittlerweile entstandene Underground-Szene zu versammeln und zu präsentieren. Bei den Songtagen trat alles auf, was außerhalb des Mainstreams lag, unter anderem spielten Frank Zappa und seine Mothers Of Invention bei einem Fest in der Grugahalle.
Das Ganze löste eine musikalische Protestbewegung aus, politische Liedermacherei wie die der Oberhausenerin Fasia Jansen war plötzlich wieder angesagt – und auch eine Reihe von Kraut-Bands gründeten sich. Darunter Franz K. aus Witten, deren Kopf Stefan Josefus an der Ruhruni studierte. Bands wie Grobschnitt aus Hagen wurden echte Underground-Stars mit lustig-dadaistischen Bühnenshows.
Und in Duisburg gründete sich die Bröselmaschine, deren Sänger und Gitarrist Peter Bursch bis heute Generationen von Saitenzupfern ein Begriff ist, weil sein Gitarrenbuch als Standardwerk gilt.
Mit dem Rock auf allen Kanälen
Dass das Ruhrgebiet unweigerlich auch Rockgebiet wurde, ließ sich nicht nur an den zahlreichen Krautrockern ablesen. Sondern vor allem an den legendären „Rockpalast“-Nächten. Es war der 23. Juli 1977, als wieder mal in der Grugahalle eine Reihe ihren Anfang nahm, die später Schule machen sollte: Beim WDR hatte sich Redakteur Peter Rüchel gemeinsam mit dem Regissuer Christian Wagner das Konzept ausgedacht, Rock-Konzerte live und in voller Länge im Fernsehen zu übertragen. So etwas hatte es bis dahin noch nicht gegeben. Und schon gar nicht mit einer parallelen Live-Übertragung im Radio, was bei den Empfängern zu Hause die Qualität des Klangs noch um Einiges erhöht haben dürfte. Damit waren die „Rockpalast“-Nächte wohl auch das erste elektronische Multimedia-Spektakel. Und wer war alles da? The Who, The Kinks, Rory Gallagher, Peter Gabriel, Patti Smith, The Police, Grateful Dead und Van Morrison, der laut Ausstellungskatalog stinkbesoffen auf die Bühne ging – und trotzdem grandios war. Einige Bands wollten gar nicht aufhören zu spielen. Diese Essener „Rockpalast“-Nächte sind Legende und fanden weltweite Beachtung.
Punk, New Wave und NDW
„Punk im Pott“ heißt nicht nur ein großes Festival in Oberhausen, es ist auch ein Lebensgefühl. Nach Ende der 70er-Jahre gründeten sich hier zahllose Bands wie Hass, die Idiots, die Kassierer, Eisenpimmel, die Lokalmatadore oder die Upright Citizens. Und ohne Punk wären New Wave und der sogenannte Postpunk nicht erfolgreich geworden, zu deren ruhrigen Vertretern Bands wie Die Krupps, Invincible Spirit oder The Fair Sex zählen. Die kommerzielle Wave-Variante, die Neue Deutsche Welle, brachte in den 80ern Nena, Extrabreit, Ideal und Humpe und Humpe zum Erfolg. Und der deutschlandweit erste Exklusivclub für New Wave und Punk stand von 1985 an in Bochum: Das Zwischenfall blieb hübsch düster, bis es 2011 einem Feuer zum Opfer fiel.
Nonstop-Party mit Techno & HipHop
Als im Lauf der 80er-Jahre die elektronischen Beats härter wurden, entwickelte sich aus den damaligen synthetischen Sounds sowie Disco, Funk und Rap ein harter Tanzsound: Techno war geboren und breitete sich natürlich auch im Ruhrgebiet aus. Stars der Szene wurden Orhan Terzi aus Hattingen, besser bekannt als DJ Quicksilver, oder auch DJ Hooligan aus Bottrop, der auch riesige Erfolge mit Hymnen wie „Meet Her At The Love Parade“ feierte. Im Bochumer Tarm Center legte unter anderem André Tanneberger alias ATB auf, das Bochum Planet machte zuvor den ersten Schritt zum Technoclub. Und eine der größten Partys ist im Revier zu Hause: Die Dortmunder Mayday feierte gerade ihr 25-Jähriges. Auch die Loveparade kam ins Ruhrgebiet, bis sie mit der Tragödie von Duisburg traurig endete.
Parallel entwickelte sich im Revier eine HipHop-Szene, mit Rappern wie Lee Buddah, Creutzfeld & Jakob, Sons Of Gastarbeita und dem aktuell extrem erfolgreichen Fard, der in Gladbeck das Rappen lernte.
- „Rock & Pop im Pott“, Ruhrmuseum auf Zollverein (Schacht XII, Gelsenkirchener Straße 181, Essen), bis 28. Februar 2017, Mo-So 10-18 Uhr, 7 €, 4 € erm., bis 18 J. frei. Audioguide 3 €. Info und Buchung: 0201/24681 444 oder besucherdienst@ruhrmuseum.de
- Der Katalog zur Ausstellung „Rock & Pop im Pott – 60 Jahre Musik im Ruhrgebiet“ zeigt mehr als 300 Exponate (280 S., Klartext-Verlag, 24,95 €).
- Konzerte im Rahmen der Ausstellung: 11.11. Franz K., Minotaurus (12 €), 10.12. German Blue Flames u.a. (10 €), 27.1. Rage (20 €), 28.1. Dödelhaie u.a. (12 €) und am 18.2. Stoppok (25 €).