Bottrop.. Die „Schöttelheide“ in Bottrop zählt zu den wenigen Halden, die noch mit Nebengestein aus dem Bergbau beschüttet wird. Eine Fahrt wie auf den Mond.
So muss es auf dem Mond aussehen: kein Strauch, kein Tier, kein Mensch. Lediglich Fahrspuren von breiten Reifen sind in den Boden gedrückt. Grau ist das Gestein, grau ist der Himmel. Bis wir mit einem Ruckeln eine der höheren Ebenen überwunden haben und sich unter uns die gelb-rot-braun gefärbten Baumkronen der Kirchheller Heide wie ein Laubmeer auftun. Willkommen auf der „Schöttelheide“ in Bottrop, eine von drei Halden im Ruhrgebiet, die noch beschüttet werden. Tagtäglich fahren Muldenkipper den künstlichen Hügel hinauf, laden Steine ab, so dass die Halde wächst und wächst.
„Schiefersteine, Sandsteine, Sandschiefersteine . . .“, zählt Michael Sagenschneider vom Bergwerk Prosper Haniel die Gesteinsarten auf. Zusammengefasst nennt der Bergmann sie: „Berge.“ Die Rohkohle wird bei Schacht „Prosper II“ aus dem Erdinneren zu Tage gefördert, von dem Nebengestein getrennt, das auf der Halde landet.
Allerdings ist die Aufbereitungsanlage kilometerweit entfernt von der „Schöttelheide“. Die Bottroper bekommen trotzdem kaum etwas mit vom Transport. Denn das Bergematerial wird über die Bandanlage, die die Kohle hinaufbringt, wieder zurück in die Grube geführt, „einmal unter Bottrop hindurch“, so Sagenschneider, bevor sie schließlich bei der „Bergeverladung Franz Haniel“ wieder nach oben geleitet wird.
Dort fährt Mike Bolchima mit seinem Muldenkipper rückwärts an den Bergebunker heran. Ein Druck auf die Fernbedienung und die Luke des Bunkers öffnet sich. Die Fahrkabine wackelt, sekundenschnell ist die Mulde beladen. Ein Reifen des riesigen Gefährts ist zwar mannshoch, doch mit nun 65 Tonnen Steinen auf dem Buckel geht selbst ein Muldenkipper „in die Knie“.
Bolchima fährt bis zu 45 Touren am Tag, zwei weitere Muldenkipper sind im Einsatz. 26,5 Millionen Tonnen Berge sind so seit 1999 aufgeschüttet worden. Laut Detlef van Bernum, Halden-Beauftragter bei der RAG, sind weitere 5,5 Millionen Tonnen Nebengestein genehmigt.
Wie auf glitschigem Herbstlaub schlittert Bolchimas Muldenkipper über die Halde. Der Schlamm, durch den die Räder pflügen, ist tief. Da möchte keiner gerne aussteigen. „Da kämen Sie auch nicht weit“, sagt Bolchima lachend. Aber warum auch zu Fuß gehen? Der 46-Jährige schätzt an seinem Job, dass er die Aussicht genießen kann, ohne erst auf eine Halde klettern zu müssen.
Blick bis nach „Norddeutschland“
Hinter dem vielen Grün sind auch die Kühltürme des Kraftwerks Scholven in Gelsenkirchen zu erkennen – einer der Hauptabnehmer der Prosper-Haniel-Steinkohle, wie RAG-Mitarbeiter Michael Sagenschneider später erzählt. „Wenn die Sicht ganz klar ist“, schwärmt Bolchima, „können Sie sogar die Halden Norddeutschland und Rheinpreußen sehen.“
Einen schönen Blick auf die Schöttelheide hat man von der Nachbarhalde Haniel. Einst war die Schöttelheide eine landwirtschaftliche Fläche. Der Gutshof Fernewald musste weichen. Denn die Halde Haniel hatte ihre genehmigte Endhöhe erreicht. Sie einfach zu erweitern, war nicht möglich, so Sagenschneider: „Wegen der Hochspannungsleitungen.“ Sie verlaufen noch heute zwischen den Halden Haniel und Schöttelheide.
Am liebsten fährt er bei Dauerregen
Am liebsten fährt Bolchima, wenn es trocken ist – oder bei Dauerregen. „Da setzen sich die Profile der Räder nicht zu.“ Fällt jedoch nur leichter Regen, dann fehlt den Reifen der Griff. „Manchmal will die Mulde nicht mehr weiter, dann kippen wir einfach auf dem Weg aus.“ Eine Planierraupe erledigt dann den Rest. Auch die Muldenkipper sind nicht nur zum Transport da, ihr Gewicht verdichtet ebenfalls das Bergematerial, um die Standfestigkeit zu erhöhen. Wie wichtig ein stabiler Boden ist, zeigt die Halde an der Prosperstraße in Bottrop, auf der das Alpincenter seit Jahren mit Untergrundbewegungen zu kämpfen hat. Man befürchtete deswegen schon das Aus der Skihalle.
Die ersten Halden wie schwarze Zuckerhüte
An die spätere Nutzung der Halden hatte anfangs keiner gedacht. So wurden sie zu kaum begehbaren Spitzkegeln aufgeschüttet. „Wie Zuckerhüte“, so Sagenschneider. Und da sich in den künstlichen Hügeln Restkohle befand, die sich selbst entzünden konnte, kam es zu den so genannten „brennenden Halden“. Erinnert sei etwa an „Graf Moltke“ in Gladbeck, bei der man solche Warmstellen im Verborgenen entdeckte. „Heute trennen wir die Kohle vom Nebengestein bis auf Staubkorngröße“, sagt Sagenschneider. Deshalb sei die Gefahr auf der Schöttelheide gebannt. Zudem gibt es einen Schüttplan. Über Luftbilder wird der terrassenförmige Aufbau kontrolliert.
Langsam, ganz langsam fährt Bolchima rückwärts. Nur eineinhalb Meter sind die Hinterreifen des Muldenkippers von der Hügelkante entfernt. Bolchima zieht einen Hebel zu sich, ähnlich dem einer Automatik-Schaltung – und die Mulde hebt sich. Fast senkrecht steht sie in der Luft und schüttet ihre Fracht aus. Die Steine rollen den steilen Hang hinunter.
Ein Teil der kargen Mondlandschaft ist selbst für den Muldenkipper zurzeit tabu. Dort testet ein Hersteller Fahrzeuge, die in Salzbergwerken gebraucht werden. Das Terrain kommt der Situation unter Tage sehr nahe, so Sagenschneider.
In sechs, sieben Jahren soll das Landschaftsbauwerk fertig sein. Der eingelagerte Mutterboden von der Schöttelheide wird den aufgeschütteten Hügel bedecken. Fußwege werden zwischen den neu gepflanzten Bäumen zu einem Aussichtspunkt hinaufführen. Ein Rundweg um den Haldenfuß ist bereits heute für Fußgänger und Radfahrer freigegeben. Mit der Bergeverladung ist allerdings schon 2018 Schluss. Dann endet der subventionierte Steinkohlebergbau. „Ein doofes Gefühl“, sagt Baugerätefahrer Bolchima. „Für die Bergleute, aber für uns auch, wenn man weiß, dass es von heute auf morgen vorbei ist.“