Essen. Ein fester Händedruck, eine zärtliche Streicheleinheit, die aufgelegte Hand eines Geistlichen können viel bewirken, lösen, in Bewegung bringen – ob wohl oder wehe.

Ein Streicheln mag wohlige oder auch erotische Schauer über unseren Körper jagen, kann Kinder trösten und Erwachsene beruhigen, selbst Wütende manchmal besänftigen. Als Verliebte begehren wir einander mit Haut und Haaren, können wir kaum die Hände voneinander lassen. Fast jeden Tag fassen wir andere Menschen an, kontaktieren sie also – zumindest wenn wir nicht einsam leben.

Wer einen weltbekannten Sänger, Künstler oder einen mächtigen Politiker berühren darf, womöglich von ihm die Hand geschüttelt oder die Hand auf die Schulter gelegt bekommt, fühlt sich manchmal kräftiger als zuvor, nicht selten aufgewertet, oft auch tief berührt und buchstäblich ergriffen, falls der Prominente persönlich verehrt wird. Vor allem Männer hängen in ihren Büros gerne Fotos davon auf, wie Berühmte ihnen die Hände schütteln – oft um Besucher zu beeindrucken.

Der Abglanz der fremden Aura

Eine herzliche Umarmung kann befreiend wirken.
Eine herzliche Umarmung kann befreiend wirken. © imago/Westend61

So mancher zeigt nach einem derartigen Kontakterlebnis die berührte Hand her und sagt: „Die wasche ich mir jetzt nie mehr!“ Der Betreffende will die per Handschlag übertragene Kraft, den Abglanz der fremden Aura, nicht mehr verlieren. Zwar ist ein sicher verwahrtes Autogramm mit hoffentlich echter Unterschrift eine bleibende Lebensspur, eine handfeste Trophäe eines Berühmten. Doch diesen angefasst zu haben, noch besser aber, von ihm berührt oder gar umarmt worden zu sein, ist bemerkenswerter und wertvoller, wird also eher erzählt: Man war dem Weltstar oder der Premierministerin sehr nahe, man war bis auf Tuchfühlung dicht dran, „stell dir das mal vor“!

Seit jeher ist speziell das Handauflegen, die segnende Berührung durch einen Priester, ein im Wortsinn berührendes Ritual, das gläubige Menschen ihrem Gott näherbringen soll – oder vielmehr: Gott dem Menschen. Das Gefühl, auf diese Weise von Gottes Hand berührt zu werden, kann für einen Gläubigen enorm segensreich sein und ihm neue Kräfte zuwachsen lassen.

Wenn der Priester die Hand auflegt

Stephan Kreutz, Pastor der evangelischen Kirchengemeinde „Unser Lieben Frauen“ in Bremen, hat beim Segnen mit Handauflegen oftmals Tränen fließen sehen, weil es die Gesegneten ungemein rührte. Emotional sei das „ein sehr bewegender Moment“, sagt Kreutz, der bis November 2014 Pfarrer in Lüdinghausen bei Münster war. Für ihn macht das Handauflegen „die Nähe und Unmittelbarkeit Gottes besonders spürbar“, denn der Pastor oder auch der katholische Priester spreche dann nicht wie üblich zu allen in der Kirche, sondern nur zu einem ganz bestimmten Menschen – nur dieser sei dann gemeint.

Wichtig ist es Kreutz, die Hände nicht bloß „über dem Kopf quasi schweben zu lassen, sondern sie mit einem angenehm spürbaren Druck auf den Kopf des Gesegneten zu legen“. Dann heiße es: „Nicht sofort losreden, Herr Pastor!“ Die Nähe dürfe spürbar sein. „Du schweigst, fühlst und lässt selber fühlen.“ So viel Nähe „darf und muss um Gottes Willen möglich sein“ – selbst in einer Kirche, die „oft Angst vor Nähe hat, gerade auch vor körperlicher“.

Das Heilsame an der Berührung 

Schon Jesus hat nach den Berichten des Neuen Testaments häufig Menschen die Hand aufgelegt, um sie zu segnen oder sie zu heilen. Das darf man symbolisch verstehen: Die Berührung durch einen charismatischen Menschen kann immerhin sehr anrühren, gerade wenn man krank, geschwächt oder ohne Hoffnung ist. Viele spirituelle Führer übertragen mit der aufgelegten Hand in Ritualen göttlichen Segen oder magische Kraft: Oder sie ermuntern so – etwa bei Naturvölkern – beim Übergang von einer Lebensphase in die nächste.

Auch interessant

Das Heilsame an der Berührung ist offenkundig: Wer uns einfühlsam umarmt, stärkt uns den Rücken. Wer uns die Hand reicht, fest drückt oder gar streichelt, nimmt uns an. Berührung kann den Puls beruhigen, Ängste besänftigen und das Immunsystem stärken. Was unter anderem die zunehmende Beliebtheit von Kuschelpartys auch im Ruhrgebiet erklärt – vor allem bei Menschen, die derart zärtliche Gesten schon als Kind erfahren durften und als wohltuend erlebten.

Oft setzen Berührungen auch schwierige Gefühle frei, die lange unterdrückt oder vermisst worden sind. Solche Erfahrungen hat auch Reinhard Dittel gemacht. „Manchmal muss man jemanden dazu gar nicht kräftig anfassen oder braucht sogar nur an eine bestimmte Körperstelle zu schauen – schon passiert etwas, kommt etwas hoch aus der Zeit des Betreffenden als Kleinkind“, hat der Bad Hersfelder Schmerzphysiotherapeut und Ausbilder erlebt. „Und Tränen sind eigentlich immer gut.“ Allerdings könne die reine Berührung durch einen Therapeuten auch schaden. „Manche Menschen macht das süchtig.“ Sie verfielen in eine „kleinkindliche Haltung“ des bloßen Empfangens, statt aktiv zu werden „und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen“.

Aktive Teilnahme an der Therapie

Der Trend zur Kuschelparty hält an.
Der Trend zur Kuschelparty hält an. © picture-alliance/ dpa/dpaweb

Deshalb kombiniert sein Konzept der Schmerztherapie die Berührung durch den Therapeuten mit der Eigenbewegung des Patienten in Form von Übungen. „Beides ergänzt einander ähnlich wie Musik und Tanz“, sagt Dittel. „Die Berührung bewegt, und die Bewegung berührt.“ So werde aus dem passiv leidenden Patienten ein „aktiver Agent“ der eigenen Heilung.

Auch Körperpsychotherapeuten erleben immer wieder, dass Menschen tiefes Wohlgefühl verspüren, wenn sie an einer für sie angenehmen Stelle an Bauch, Schulter oder Rücken mit der Hand berührt werden – womöglich nach vielen Jahren erstmals wieder. Dann kann Freude über das Wiederentdeckte frei werden, aber auch Trauer über Jahre ohne diese Zuwendung, über die lange Zeit des Berührungsmangels.

Andere empfinden erstmals in ihrem Leben eine stützende oder liebevoll aufgelegte Hand als so angenehm, dass sie in Tränen darüber ausbrechen, dort niemals von ihren Eltern oder anderen wichtigen Bezugspersonen tröstend angefasst worden zu sein. Solche Mangelerfahrungen können aus vorbewusster Zeit stammen und werden geistig oft nicht erinnert. Da sie jedoch in einer Art Leib- oder Körpergedächtnis gespeichert sind, können Berührungen sie aktivieren – im Guten wie im Schlechten.

Der Ein-„Druck“ vom Gegenüber 

Mütter und hoffentlich auch Väter wissen, dass die zärtliche Massage des besonders empfindsamen Oberbauchs am Sonnengeflecht Babys beruhigen und Bauchweh lindern kann. Denn am Übergang vom Brustkorb zur Magengrube laufen diverse Nervenbündel zum Sonnengeflecht oder Solarplexus (medizinisch: Plexus solaris) zusammen. Ein Schlag dorthin kann Schwindel auslösen oder bewusstlos machen; Massagen oder eine warme Hand an dieser Stelle lösen Wohlgefühl aus.

Tastbefund: Für den Mediziner ein Diagnosemittel.
Tastbefund: Für den Mediziner ein Diagnosemittel. © imago/Westend61

Manche Heiler in der Alternativmedizin versuchen, durch Handauflegen Leiden und Schmerzen zu lindern – mitunter auf wissenschaftlich dünnem Boden, doch nicht immer ohne Wirkung. Schließlich entspricht es alltäglicher Erfahrung, dass die warme und erwünschte Berührung einer kundigen, mitfühlenden Hand – auch und gerade der Hand eines guten Arztes – uns beruhigen kann. Die Geste ist deutlich: „Ich bin bei dir; du bist nicht allein.“

Verräterischer Händedruck

Berührungen mit der Hand transportieren eine Menge an Information; sie verschaffen den Beteiligten einen guten ersten Ein-„Druck“ von ihrem Gegenüber. Einem erfahrenen und aufmerksamen Mediziner oder Psychotherapeuten kann ein Händedruck manches über den seelischen und körperlichen Zustand eines Patienten verraten: Ist er schüchtern? Schwitzt er vor Aufregung? Ist er kraftlos oder ist er – bei kalten Händen – schlecht durchblutet, womöglich durch Angst?

Ärzte, die ihrer Kundschaft zur Begrüßung die Hand nicht reichen wollen, um keine Krankheitserreger in Empfang zu nehmen und später an andere Patienten weiterzugeben, verzichten auf ein gutes Diagnose-Instrument. Verstehen mag das der Frankfurter Chirurg Bernd Hontschik nicht: „Das Verweigern des Händeschüttelns wegen irgendwelcher Keime halte ich für ganz üblen Unfug, schließlich gibt es Desinfektionsmittel.“ Allgemeinmediziner, die mit vielen verschnupften und anderweitig infizierten Patienten zu tun haben, mögen dies anders sehen. Doch die Hand sollten sie ihren Besuchern in der Praxis immer reichen, wenigstens im übertragenen Sinne.