Bochum. . Anke Roßmannek bietet unter dem Titel „Haldensalat“ Kräuter-Touren auf dem Tippelsberg an. Manches vergessene Kraut steht dort in voller Blüte.
Einst kämpfte Tippulus gegen einen anderen Riesen. Und wie das wilde Kerle so tun, wurden dafür nicht wie heute in gesitteten Kreisen juristische Strategien und rhetorische Kniffe entwickelt, um den Gegner zu Fall zu bringen. Sie bewarfen sich schlicht mit Schlamm und Steinen (Was aus Menschensicht eher Felsen waren). Der eine Riese von Riemke aus, der andere von Oer-Erkenschwick. Am Ende landeten die Wurfgeschosse auf je einem Haufen. So sollen sie entstanden sein, der Stimberg als höchste Erhebung der Hügellandschaft Haard und der Tippelsberg in Bochum – die Halde, um die es dieses Mal gehen soll.
Andere behaupten, die Riesen hätten versucht, eine Frau zu retten. (Ob Liebe im Spiel war?) Während der Stimberg-Riese flüchtete, ging Tippulus heldenhaft zu Boden. Spaziergänger können noch heute über seinen Tippelsberg-Rücken wandern. Und wieder andere meinen, der Riese selbst habe nach einer langen Wanderung lediglich seine eigenen Schuhe entleert. Die Lehmklumpen türmten sich auf zum Tippelsberg.
Eigentlich ist nur eines wirklich wild
So viele Sagen über wilde Kerle kreisen um diese Halde. In Wirklichkeit ist aber nur eines wild auf dem Tippelsberg: die „Wilde Möhre“ – und andere Kräuter.
„Wenn man die Möhre ausgraben würde, wäre man enttäuscht. Man bräuchte etliche für ein leckeres Mittagessen“, sagt Anke Roßmannek und denkt dabei nur an ein Menschen- und nicht ein Riesenmahl. Möglich wäre es aber, erklärt die Kräuterpädagogin. Jedoch: „Da muss man wirklich Bescheid wissen. Es gibt so viele giftige Doldenblütler.“ Hundspetersilie etwa, oder Schierling. Erinnert sei an den „Schierlingsbecher“, den Giftcocktail, der einst dem verurteilten Sokrates den Tod brachte. Die ungiftige Ursprungsmöhre erkennt Roßmannek an einer kleinen dunkelroten bis violettfarbenen Blüte mitten in all den weißen.
Abdruck eines nackten Riesenfußes
Doch pflücken wir lieber etwas, dem wir mehr vertrauen können. Den Wiesensalbei zum Beispiel. Roßmannek zupft ein Blatt ab und schnuppert daran. Der schwache Duft erinnert an das bekannte Küchenkraut. Das wilde wächst auf dem Gipfel neben einem in Beton gegossenen Abdruck eines nackten Riesenfußes, der immer wieder auf der Halde zu finden ist. Was die Theorie mit dem Schuhausleeren ins Wanken bringt . . . Aber lassen wir jetzt mal die Riesen in Ruhe. Sondern schauen wir auf das Wilde am Rande, an dem die meisten Spaziergänger vorbeilaufen, ohne es eines Blickes zu würdigen. Es sei denn, Anke Roßmannek schärft deren Sinne, zeigt auf die Formen von Blüten und Blättern. Die 48-Jährige kniet sich vor ein unscheinbar wirkendes Pflänzchen: „Sie können die Köpfchen des Spitzwegerichs essen, bevor sie geblüht haben. Die schmecken wie Champignons.“
Dort wächst gelbes Labkraut („Damit wurde Cheddar-Käse gefärbt“), hier steht die weiße Variante („Sie können aus beiden Blütengelee machen.“) Ältere Menschen, die sie auf den „Haldensalat“-Touren begleiten, sagen: „Das haben wir im Krieg gesammelt.“ Hirtentäschelkraut für Tee zum Beispiel. Anke Roßmannek: „Eine alte Nutzpflanze, die in Vergessenheit geraten ist.“
Rot wie echtes Johanniskraut
Zwischen Daumen und Zeigefinger zerreibt sie eine gelbe Blüte einer anderen Pflanze. „Wenn das rot wird, ist das echtes Johanniskraut.“ Das kommt nicht in den Salat oder Kräuterdip. Aber wer die Blüten ein paar Wochen lang in Öl einlege, erhielte das tomatenrote Johanniskrautöl. „Das hilft äußerlich bei Sonnenbrand oder Insektenstichen, außer man reagiert empfindlich darauf“, sagt die gelernte Pharmazeutisch-technische Assistentin, die sich nicht nur für den Geschmack, sondern auch die Heilwirkung der Kräuter interessiert.
In der Eifel hat sie die Kräuterpädagogik gelernt. Aber die Frau aus Herne wollte in ihrer Heimat den Menschen die Natur zeigen. Seit zwei Jahren führt sie deshalb Gruppen auf die Halden: „Wir beschäftigen uns mit den Kräutern am Wegesrand und haben dazu noch eine geniale Aussicht über das ganze Ruhrgebiet.“
So weit man blicken kann
Zunächst natürlich: Bochum mit dem Förderturm und dem Deutschen Bergbaumuseum. Das Stadion ist zu sehen und der Bismarckturm im Stadtpark . . . „Der lange Pinn da hinten ist der Sendemast von Langenberg.“ In anderer Richtung: die Schalke-Arena und da: Hoheward in Herten– eine weitere Halde, auf der Anke Roßmannek ihre Touren anbietet.
Die Informationsstelen neben dem liegenden Gipfelkreuz oben auf dem Tippelsberg erklären leider nur noch in Teilen die Aussicht. An manchen wurden Tafeln abgeschraubt, andere sind mit Kritzeleien beschmiert. Das Rauschen der A43 stört etwas die Idylle. Und wo wir gerade bei den kalten Fakten sind: Der Tippelsberg war nicht immer so schön grün. Der letzte Ausläufer des Ardeygebirges diente in den 80ern bis 2003 als Boden- und Bauschuttdeponie. Nicht mal der Bergbau war – wie bei den vielen anderen Halden im Revier – daran beteiligt. Der meiste Schutt kam aus einem anderen „Stollen“: der Aushub der U-Bahnstrecke U35 wurde dort aufgeschüttet. Das klingt jetzt nicht gerade nach einem Bio-Boden . . .
Und so zeigt Roßmannek auch nur auf die Kräuter. Pflücken sollen ihre Gäste lieber im heimischen Garten. Probiert wird bei der zweistündigen Tour trotzdem. Dann holt Roßmannek aus ihrem umgewandelten rollenden Werkzeugkoffer ihre Kräuter-Schätze und -Schnäpse. Aus Löwenzahn macht sie etwa ein Gelee, das nach Honig schmeckt. Oder einen Magenbitter, der schön würzig duftet. Ganz klar – davon hätte auch der Riese Tippulus gerne einen Schluck genommen.
- Nächste Kräuter-Tour auf der Halde Hoheward am 27. September, 14 Uhr. Oder nach Vereinbarung: Tel.: 0172/ 2667320 (ab 14 Uhr). Mehr Informationen: Haldensalat.