Essen. . Viele Geschlechter-Unterschiede lernen Kinder heute immer noch von der Familie. Professorin Maria Anna Kreienbaum sagt, das geht auch anders.

Dem Mädchen die Puppe, ein rosa Jäckchen und die Prinzessinnenkrone, dem Jungen den Bagger, ein Spiderman-Sweatshirt und die Baseballkappe. Ein Klischee? Eigentlich nicht. Jahrzehntelanges Ringen um Emanzipation hat wenig daran geändert, dass die Kategorisierung männlich/weiblich eines der wichtigsten Instrumente zur Sortierung unseres Alltags geblieben ist. Viele Charaktereigenschaften werden, ganz automatisch, dem jeweiligen Geschlecht zugeschrieben. Zickig? Die Frau. Draufgängerisch? Der Mann. Emotional? Die Frau. Rational? Der Mann.

Wenn ein Kind beschenkt werden soll, wird als erstes geklärt: „Ist es ein Junge oder ein Mädchen?“

Maria Anna Kreienbaum findet das befremdlich. Als Erziehungswissenschaftlerin beschäftigt sich die Professorin der Bergischen Universität Wuppertal schon seit langer Zeit mit Geschlechterfragen. Natürlich gebe es „schon eine ganze Reihe von Bereichen, in denen das Geschlecht keine Rolle spielt“, aber in der Kindererziehung sei es nach wie vor überrepräsentiert. „Die Welt ist aufgeteilt in Puppenecken und Bauecken, aber wäre es nicht viel schöner, wenn potenziell jeder Mensch renovieren und kochen, gut Autofahren und Kinder erziehen könnte?“

Kinder geschlechtsneutral erziehen

Diesen Wunsch nach Geschlechtergleichheit hat sich ein schwedisches Projekt namens „Egalia“ auf die Fahne geschrieben, das seit etwa fünf Jahren mindestens so viel Lob wie Kritik erntet. In der Egalia-Kita sollen die Kinder „geschlechtsneutral“ erzogen werden, sie sind nicht „Junge“ oder „Mädchen“, sondern „Freund“. Auch vom neutralen Pronomen „hen“, das die schwedische Sprache anbietet, wird reger Gebrauch gemacht. Zwar verbieten die Erzieher den Kindern nicht, in klassische Geschlechterrollen zu schlüpfen, doch ihnen werden stets Alternativen aufgezeigt. Sogar Texte von Kinderliedern werden geschlechtsneutral umgeschrieben. Ständig werden die Jungen und Mädchen darauf gestoßen, wie unwichtig die Kategorien männlich und weiblich seien. Grundsätzlich eine gute Idee, die allerdings auch die Gefahr birgt, ins Übertriebene, Extreme abzugleiten.

Von einem Extrem ins andere – das hält Maria Anna Kreienbaum für wenig hilfreich. Offenheit ja, aber doch bitte nicht so zwanghaft. Was wirklich zähle? Dass man Kinder nicht in Stereotypen dränge, dass man ihnen jedes Spielzeug, ob nun Puppe oder Bagger, mit der gleichen Begeisterung anbiete. „Spiel hat immer etwas mit Anleitung zu tun, die Möglichkeiten, die zum Beispiel eine Puppe bietet, müssen ja erst einmal erkannt werden.“ Will heißen: Wenn Eltern ihrem Kind das Spielzeug im Rahmen seiner Lebenswelt präsentieren, und die Geschichten dazu an seinen persönlichen Horizont anpassen, dann wird gleichgültig, ob die „verhängnisvollen Miterzieher“, wie Maria Anna Kreienbaum Spielwarenproduzenten und -Vermarkter nennt, das Spielzeug für Jungen oder für Mädchen vorgesehen haben.

Einseitige Prägung vermeiden

Denn anders als man früher glaubte, sind Männer und Frauen von Natur aus gar nicht so unterschiedlich – von den äußeren Merkmalen einmal abgesehen. Lange galten viele „geschlechtsspezifische“ Wesenszüge als angeboren, mittlerweile sind sich die Forscher da nicht mehr so sicher. Zahlreiche Studien scheinen diese Theorie zumindest in Teilen zu widerlegen. Dennoch sind Rollenbilder nach wie vor wesentlicher Bestandteil der Erziehung. Zwar wissen Kinder sehr früh, wer Junge und wer Mädchen ist – „doch sie glauben am Anfang noch, dass man das Geschlecht beliebig wechseln könne“, so Maria Anna Kreienbaum.

Die tiefere Bedeutung hinter dem Unterschied wird ihnen zu diesem Zeitpunkt jedoch schon von außen, von Eltern, Verwandten, Erziehern eingeimpft – manchen mehr, anderen weniger stark. „Durch die sehr frühe einseitige Prägung werden große Chancen verschenkt“, sagt Maria Anna Kreienbaum. Denn Kinder sind in diesem Alter noch wesentlich toleranter als Erwachsene: Sie entdecken die Welt und ihre Vielfalt gerade erst und „sie bewerten nicht“.

Werden sie nicht gebremst, haben sie die einmalige Gelegenheit, nicht nur mit fremden Lebensentwürfen viel besser umgehen zu können, sondern auch ihr eigenes Leben bunter und freier – eben unabhängig von einer Form, die das Geschlecht vorgibt – zu gestalten.