Essen. Der Immobilien-Boom im Ruhrgebiet geht weiter, erleidet aber Dämpfer: Mieten im Einzelhandel sinken und mehr Büros stehen leer.
Seit nunmehr 18 Jahren kennt die Entwicklung der Immobilienpreise nur eine Richtung: nach oben. Trotz Corona-Pandemie profitiert auch das Ruhrgebiet von der Wertsteigerung. Aber nicht mehr überall: Eigentümer erzielen für ihre Einzelhandelsimmobilien in den 1a-Lagen der Innenstädte deutlich niedrigere Mieten.
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Die Corona-Krise war gerade einigermaßen überstanden, als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine überfiel. Die ökonomischen Auswirkungen mit rasanten Teuerungsraten bekommt der deutsche Einzelhandel bis heute zu spüren. Konsumzurückhaltung und leerstehende Ladenlokale sind bundesweit zu beobachten. Im Ruhrgebiet schlägt aber ein Phänomen besonders durch: Während Wohnungs-, Büro- und Logistikmieten steigen, fallen die Spitzenmieten in den Top-Einzelhandelslagen gewaltig. Nach Berechnungen der Business Metropole Ruhr (BMR) und des Analyse- und Beratungshauses Bulwiengesa betrug das Minus im vergangenen Jahr in der Kernzone Duisburg, Essen, Bochum, Dortmund 12,4 Prozent, im gesamten Ruhrgebiet sogar 14 Prozent.
Leere Ladenlokale in Innenstädten
„Der Einzelhandel ist das Sorgenkind der Immobilien-Branche“, sagt BMR-Geschäftsführerin Julia Frohne am Montag bei der Vorlage des Immobilienmarktberichts. In konkurrierenden Metropolen wie Hamburg oder Köln gingen die Spitzenmieten 2022 nur um die vier Prozent zurück, in Berlin um 5,6 Prozent. „Vor allem der Textilhandel erwirtschaftet zur Zeit seine Umsätze nicht“, meint Frohne. Erst am Freitag hatte sich die renommierte Kette Peek & Cloppenburg in ein Schutzschirmverfahren gerettet. Am Montag teilte der Handelsverband mit, dass sich die Verbraucherstimmung bessere, aber immer noch nicht auf dem Niveau vor Kriegsbeginn angekommen sei.
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Im Kernruhrgebiet konnten im vergangenen Jahr in 1a-Lagen Mieten zwischen 55 und 165 Euro pro Quadratmeter erzielt werden. 2020 waren es noch 58 bis 200 Euro. Darin enthalten sind allerdings auch die konkurrenzlosen Spitzensätze, die zuweilen auf dem Dortmunder Westenhellweg aufgerufen werden. Zum Vergleich: In Berlin liegen die Spitzenmieten bei 255 Euro, in Hamburg bei 240 und in Köln bei 215 Euro.
Niedrige Mieten: Chancen für Einzelhändler
Wenn ihre Einnahmen sinken, ist das schlecht für die Eigentümer der Immobilien. Wirtschaftsförderin Frohne sieht in der Entwicklung aber auch Chancen für Einzelhändler. „Niedrige Mieten können durchaus auch zur Revitalisierung der Innenstädte beitragen“, sagt sie im Hinblick auf die wachsende Zahl leerstehender Ladenlokale. Sie setzt insbesondere auf einen neuen Trend, der sich Urban Manufacturing nennt: Handwerksbetriebe, die sich in Innenstädten niederlassen wollen, aber auch spezielle Angebote für Zuwanderer, die ins Revier kommen. „In Duisburg gibt es bereits orientalische Geschäftsmodelle. Wir sollten neue Zielgruppen anlocken“, meint auch Bulwiengesa-Geschäftsführer Andreas Schulten im Hinblick auf anzuwerbende Fachkräfte aus dem Ausland.
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Die Krisen haben aber nicht auf allen Immobilien-Feldern negative Spuren hinterlassen. „Das Ruhrgebiet bleibt hinter Berlin zweitgrößter Büro-Standort“, unterstreicht Frohne. Im Vergleich zu 2021 machte die Region einen Sprung von 17,3 auf 17,5 Millionen Quadratmeter. Berlin konnte sich von 20,4 auf 20,9 Millionen Quadratmeter steigern, während Hamburg und München bei rund 14 Millionen Quadratmetern weitgehend verharrten. Als „Zugpferde“ identifizierten BMR und Bulwiengesa einmal mehr die beiden größten Revierstädte Essen und Dortmund, die jeweils Büroflächenumsätze von mehr als 100.000 Quadratmetern registrierten. Auch Bochum habe mit 86.000 Quadratmetern überdurchschnittlich gut abgeschnitten.
Zu den größten Projekten, die im vergangenen Jahr fertiggestellt wurden, zählen die Ideenschmiede in Bochum, die Polizei-Hochschule in Duisburg, der Aldi-Campus in Essen und ein Verwaltungsgebäude von Thyssenkrupp in Duisburg.
„Die Leute kommen eher zurück ins Büro“
Allerdings gibt es auch immer mehr leerstehende Büroetagen. „Das tut weh, das kann man gar nicht anders sagen“, kommentiert Frohne die Leerstandsquote leicht unter fünf Prozent. Im Vergleich zu Düsseldorf mit 7,9 Prozent kommt das Ruhrgebiet aber noch vergleichsweise glimpflich davon. Schlecht zu vermieten seien insbesondere nicht sanierte Büroräume, die sich auch energetisch in einem schlechten Zustand befänden, meint die Wirtschaftsförderin. Im Trend zum Homeoffice jedenfalls sieht sie nicht die Ursache. „Die Leute kommen eher zurück ins Büro“, beobachtet Frohne. Und auch Immobilien-Experte Andreas Schulten legt sich fest: „Deutschland wird nicht zum Desk-Sharing übergehen.“ Soll heißen: Arbeitgeber kehrten dazu zurück, ihren Beschäftigten eigene Schreibtische vorzuhalten.
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Auf dem bedeutenden Feld der Logistik-Immobilien ist das Interesse von Investoren nach wie vor größer als das Flächenangebot. „Dieser Nachfrageüberhang treibt letztlich das Mietniveau und führt zu steigenden Mieten“, sagt Bulwiengesa-Geschäftsführer Schulten. 462.800 Quadratmeter Logistik-Neubauflächen wurden im Ruhrgebiet im vergangenen Jahr fertiggestellt. Das Transaktionsvolumen betrug 536 Millionen Euro. Wäre der Platz da, hätte noch mehr gebaut werden können.
Zu wenig Platz für Logistik-Immobilien
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Ruhrgebietsweit zogen die Spitzenmieten für Logistik-Immobilien um 9,3 Prozent auf 4,40 bis 6,20 pro Quadratmeter an. Bulwiengesa und BMR erwarten, dass sich die Angebotsengpässe weiter zuspitzen und die Mieten weiter steigen werden. Sie verweisen darauf, dass nicht nur die Baukosten in die Höhe gehen, sondern auch die Anforderungen an die Nachhaltigkeit der Gebäude und ihre technische Ausstattung.