Arnsberg. Das Land NRW gibt für den Ausbaustart der Wasserstoffwirtschaft in Südwestfalen überraschend offenbar keine Fördergelder.
Mit großem Bahnhof und flankiert von Nordrhein-Westfalens damaligem Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) wurde im Sommer vergangenen Jahres das Projekt „HydroNet“ im Kaiserhaus in Arnsberg präsentiert. Es sollte ein riesiger Schritt hin zur Klimaschutz-Modellregion Sauerland und der Königsweg für Wasserstoffwirtschaft im ländlichen Raum werden. Eine Leitung von Arnsberg bis Balve-Eisborn. Elf Kilometer Zukunft, regionale Wasserstoff-Erzeugung und -Versorgung von Industrie und Haushalten. Bis vor ein paar Tagen haben daran auch noch alle Beteiligten geglaubt. Bis am Wochenende der Euphorie bittere Ernüchterung gewichen ist.
Das Land hat nach Angaben von Beteiligten die in Aussicht gestellte Förderung des Projektes in Höhe von knapp 39 Millionen Euro gekippt. Das zuständige NRW-Wirtschaftsministerium äußerte sich auf Anfrage dieser Zeitung bis zum Dienstagabend nicht.
Ministerin Neubaur vor wenigen Wochen noch optimistisch
„Die ebenso überraschende wie kurzfristige Absage bedeutet einen Tiefschlag von Schwarz/Grün für unsere Region. Das Land war als Fördergeber fest eingeplant. Es wird hier eine riesige Chance vertan“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese. Das mag mancher als Parteipolitik abtun. Es dürfte aber eher größte Überraschung und echte Enttäuschung widerspiegeln. Ähnlich scheint es dem Hauptprojektträger Westenergie zu gehen. In der Essener Zentrale mag man sich nur sehr zurückhaltend äußern. „Derzeit befinden wir uns in Gesprächen für eine mögliche Förderung“, lässt eine Sprecherin verlauten. Da es sich um einen laufenden Prozess handele, könne man sich nicht näher äußern.
Die überraschende Förderabsage aus dem Landeswirtschaftsministerium könnte in der Essener Konzernzentrale durchaus als Affront aus Düsseldorf gewertet werden. Ende Oktober äußerte sich Westenergie-Chefin Katherina Reiche Seite an Seite mit NRW-Wirtschafts- und Klimaministerin Mona Neubaur (Grüne) noch geradezu euphorisch zu den Fortschritten bei der Wasserstoffwirtschaft im Land. Nicht weit entfernt von Arnsberg wurde ein 500 Meter langes Stück Erdgasleitung mit grünem Wasserstoff gefüllt, um zu beweisen, dass das vorhandene 550.000 Kilometer lange Gasnetz in Deutschland in Zukunft für Transport und Speicherung von Wasserstoff genutzt werden könnte. „H2HoWi“ heißt das Projekt, das am Standort Holzwickede umgesetzt wird und bei dieser Gelegenheit von der Landeswirtschaftsministerin beinahe wie ein Durchbruch auf Nordrhein-Westfalens Weg zur Wasserstoffwirtschaft beschrieben wurde. „Es wird viele Teile der NRW-Wirtschaft geben, wo das Molekül zählt“, erklärte Neubaur. Und: „Klimaneutralität klingt immer schick, bedeutet aber wahnsinnig viel Arbeit.“
Eineinhalb Jahre intensive Arbeit stecken in dem ambitionierten Arnsberger Projekt. Beteiligt sind mehrere große Industrieunternehmen wie der Papierhersteller Wepa oder das Entsorgungsunternehmen Lobbe aus Iserlohn. In einer zweiten Phase sollen auch der Arnsberger Leuchtenhersteller Trilux und sogar tief im Sauerland gelegene Firmen wie der Schmiedebetrieb M.Busch in Bestwig beteiligt werden. Langfristig soll in den 2030er Jahren eine Vernetzung mit in der Nachbarschaft geplanten Projekten wie „Zukunft RuH2r“ bei Hagen und „H2.Ruhr“ von Dortmund nach Duisburg stattfinden.
Die Wasserstoff-Revolution wird nicht abgesagt
Haupt-Projektentwickler in Arnsberg ist die Eon-Tochter Westenergie, die über den Netzbetreiber Westnetz bereits für H2HoWi in Holzwickede verantwortlich ist. Westenergie-Chefin Reiche, nebenbei auch Vorsitzende des nationalen Wasserstoffrates, dürfte von der Förderabsage durch die Landesregierung kaum amüsiert sein, hatte sie doch beim Termin im Oktober noch vom Arnsberger Projekt geradezu geschwärmt und es als mindestens eine Nummer größer als H2HoWi beworben. Der nächste Schritt also.
Westenergie und Westnetz hätten dabei vor allem den Mittelstand, die starken familiengeführten Unternehmen in NRW im Blick. Und mit Blick auf die elf Kilometer Leitung zwischen Arnsberg und Eisborn, die in Zukunft mit Wasserstoff statt Erdgas zur Versorgung der Region gefüllt werden soll, urteilt die Energieexpertin nicht weniger als so: „Ich glaube, es ist gerade eine kleine Revolution im Gange.“
Abgesagt ist die Revolution keineswegs – auch wenn die Enttäuschung in Südwestfalen riesig ist. „Hier ist ein sehr umfangreich und sehr professionell vorbereitetes Projekt der Landesregierung auf dem Silbertablett serviert worden. Sie hätte nur zugreifen müssen“, sagt Arnsbergs Bürgermeister Ralf Bittner. Es sei auffällig, dass wieder einmal der Förderkelch an Südwestfalen vorübergehe. Um knapp 40 Millionen Euro Förderung bei knapp 60 Millionen Euro Projektkosten in der ersten Phase geht es. Durchaus keine geringe Summe. Andererseits verfestigt sich der Eindruck, dass ins Ruhrgebiet und vor allem zur Rheinschiene, wo auch aufgrund der chemischen Industrie bereits eine gewisse H2-Infrastruktur vorhanden ist, gerne auch höhere Beträge aus Düsseldorf fließen.
„Die Umstellung auf Wasserstoffwirtschaft ist an sich schon sehr komplex, aber die wirklich große Herausforderung ist es, die notwendige Infrastruktur im ländlichen Raum zu schaffen. Genau hier bietet das Projekt HydroNet konkrete Perspektiven für Südwestfalen“, erläutert der SPD-Abgeordnete Wiese, der sich nun um Mittel aus dem Bundeshaushalt bemühen will. Infrage kämen das Bundesforschungs- oder das Bundeswirtschaftsministerium.
Die fest eingeplante Landesförderung zu ersetzen, werde aber nicht von heute auf morgen gehen. Das dürfte auch bedeuten, dass sich das Projekt, das im ersten Quartal 2023 starten sollte, verzögern wird. Arnsbergs Bürgermeister Bittner bleibt dennoch optimistisch: „Gute Projekte setzen sich immer durch. Hier geht es auch nicht um Monate, sondern um die Zukunft.“ Nur ohne das Land.