Sundern. Der Elektrogeräte-Hersteller Severin will die Produktion schrittweise von China nach Europa holen. Über ihre Pläne spricht Chefin Joyce Gesing.
Mehr als 90 Prozent seiner Haushaltsgeräte lässt das Familienunternehmen Severin in China fertigen. Das soll sich ändern. Joyce Gesing (38), die neue Vorsitzende der Geschäftsführung, will die Produktion schrittweise nach Europa holen. Wie sich der Hersteller aus der chinesischen Abhängigkeit befreien und die Marke Severin aufpolieren will, erzählt Gesing im Interview..
Frau Gesing, was hat Sie vom Industrie-Riesen Thyssenkrupp zum mittelständischen Haushaltgeräte-Hersteller ins Sauerland geführt?
Joyce Gesing: Bei meinen beruflichen Stationen gab es immer einen roten Faden: Ich wollte gemeinsam mit anderen Menschen den Unternehmen zu neuem Glanz verhelfen. Das fing bei der ersten Bad Bank in Düsseldorf an. Das war bei Thyssenkrupp so, wo ich U-Boote und Fregatten verkaufen durfte. Zusammen mit einem Team habe ich immer eine wirtschaftliche und strategische Herausforderung meistern dürfen. Das macht mir viel Freude.
Warum haben Sie sich für Severin entschieden?
Gesing: Ich kannte Severin schon aus meiner Zeit als Beraterin. Dadurch habe ich eine Faszination für die Produkte und Menschen dort entwickelt. Das hat auch mein Herz getroffen. Mir war aber auch immer der Kontakt zu den Gesellschaftern wichtig. Ich teile die Perspektive, dass man in ein Unternehmen bodenständig, nachhaltig und langfristig investiert und nicht nur auf die kurzfristigen finanziellen Ergebnisse schaut. Auf diese Weise gibt man einer Traditionsmarke wie Severin die Chance, wieder zur alten Größe zurückzufinden und sich gleichzeitig neu zu erfinden.
Severin gehört seit 2018 der Dortmunder Unternehmerfamilie Knauf. Sehen Sie im Vergleich zur börsennotierten Aktiengesellschaft Vorzüge, ein Familienunternehmen zu führen?
Gesing: Seit 2018 ist die Unternehmerfamilie Knauf aus Dortmund Gesellschafter von Severin. Ihre Anlagenobjekte sind zumeist mittelständische Unternehmen aus der Region. Man steigt ein, wenn es die Chance gibt, ein Unternehmen wirklich nach vorn zu bringen, weiterzuentwickeln und stark zu machen. Vorzüge der Arbeit in diesem Gesellschafterumfeld sind eindeutig eine nachhaltige und langfristige Unternehmenspolitik und kurze Entscheidungswege.
Transformation ist aktuell das Zauberwort in Wirtschaft und Gesellschaft. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, das Unternehmen und die Marke Severin neu auszurichten. Was haben Sie vor?
Gesing: Die Marke Severin ist 80 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland bekannt. Fast jeder von uns hat ein Severin-Produkt in seinem Haushalt. Die Marke steht für hohe Qualität, aber auch einen erschwinglichen und fairen Preis. Früher war es eine klassische Handelsmarke. Jetzt wollen wir sie näher an die Endkunden heranführen. Mit ihnen wollen wir künftig im direkten Austausch stehen und im Alltag der Menschen einen echten Mehrwert generieren – durch intuitive und nachhaltige Geräte.
Warum braucht es dann Veränderungen?
Gesing: Severin ist ein Underdog. Wir können mehr, als draußen bekannt ist. Die meisten Menschen sind überrascht, wenn sie unsere neuen Produkte sehen. Da geht es um Qualität und Innovationskraft. Dabei ist uns wichtig, dass jeder Mensch unsere Produkte bedienen kann und immer ein verlässliches Ergebnis bekommt. Wir waren lange zu leise unterwegs und haben diese Vorzüge unserer Produkte nicht genug nach außen kommuniziert.
Sind Haushaltsgeräte generell zu kompliziert geworden?
Gesing: Wer unsere Kaffeemaschinen bedient, muss keine Barista-Ausbildung haben. Uns geht es um relevante Innovationen für den Alltag. Wir wollen Problemlöser für den Alltag sein. Und unsere Elektro-Grills können auch auf dem Balkon in der Großstadt genutzt werden. Deshalb haben wir auch schon vor Jahren den Turbotoaster für größere Familien erfunden.
Auf welchem Niveau verorten Sie die Marke Severin und wo wollen Sie hin?
Gesing: Wir waren im Preiseinstiegssegment und haben uns ins Mittelfeld hochgearbeitet. Vor 20 Jahren bestanden unsere Produkte weitgehend aus Plastik. Heute sehen Sie bei uns hochwertige Materialien und relevante Innovationen.
Severin war 1995 einer der ersten Mittelständler, der nach China und Hongkong gegangen ist. War das angesichts der Diskussion um wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten, die wir heute führen, ein Fehler?
Gesing: China ist weltweit der größte Markt für Elektrokleingeräte, und damit existiert dort die größte Lieferantenbasis und Expertise. Dort muss man auch als deutscher Hersteller vertreten sein. In der Hochzeit war Severin dort mit mehreren Tausend Beschäftigten und hat selbst in China produziert. Inzwischen arbeiten wir mit verschiedenen Produktionspartnern in China und Europa.
C&A produziert Jeanshosen wieder in Krefeld. Sehen Sie eine Chance, die Produktion von Haushaltsgeräten nach Deutschland oder zumindest nach Europa zurückzuholen?
Gesing: Erste Produkte, unter anderem unseren neuen Plancha-Grill, lassen wir bereits in Griechenland fertigen. Auch in der Türkei, Süd- und Osteuropa bauen wir unser Lieferanten-Netzwerk aus. Mehr als 90 Prozent unserer Produkte kommen heute aber immer noch aus China. Das wollen wir schrittweise ändern. Wir streben mittelfristig an, dies signifikant zu reduzieren. Dies ist vor allem aus Gründen der Nachhaltigkeit eine wichtige Priorität.
Lässt sich eine Produktion in Europa denn so günstig aufbauen wie in China?
Gesing: Das ist nicht nur eine Kostenfrage. In Europa haben wir die Herausforderung, dass wir erst das hohe Niveau Chinas bei Qualität, Digitalisierung und Durchlaufzeiten in der Produktion erreichen müssen. Deshalb müssen wir unsere möglichen europäischen Partner erst dazu befähigen.
Spätestens nach dem Parteitag der chinesischen Kommunisten wissen wir, dass das große Land nicht demokratischer werden will. Wie gehen Sie damit um?
Gesing: Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung sind uns sehr wichtig. Deshalb schauen wir sehr genau und differenziert auf China. Wir wollen nah genug dranbleiben, aber auch handlungsfähig sein, sollte sich die Lage politisch verändern und wir Konsequenzen daraus ziehen müssen.
Glauben Sie, dass Konsumentinnen und Konsumenten bereit sind, mehr zu zahlen, wenn auf dem Toaster von Severin wieder „Made in Germany“ stehen würde?
Gesing: Wir wissen aus Umfragen, dass die Bereitschaft bei nur zwei bis drei Prozent liegt. Das ist nicht viel. Deshalb wird es künftig mehr darum gehen, die gleiche Qualität zu erzielen, die Produkte aber zum Beispiel aus wiederverwerteten und weniger Materialien und mit weniger Aufwand herzustellen. Das ist gut, günstig und vor allem nachhaltig.
Severin hat knapp 300 Mitarbeitende am Stammsitz Sundern, knapp 300 in Shenzen und gut 30 in den ausländischen Vertriebsgesellschaften. Finden Sie ausreichend Fachkräfte?
Gesing: Natürlich bleibt es wichtig, Fachkräfte für ein Unternehmen zu gewinnen und zu binden, wir sind hier aber aus unserer Sicht gut aufgestellt. Durch mobiles Arbeiten können die meisten unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter standortunabhängig und flexibel arbeiten. Wir setzen auch weiter auf Ausbildung im Unternehmen, um lokale Talente zu fördern. Bei der Besetzung des Teams für unseren Digitalbereich sind wir mit unserem Digital- und Innovations-Hub allerdings nach Dortmund gegangen, weil das für Spezialisten teilweise attraktiver ist. Auch ermöglicht es eine enge Verzahnung mit lokalen Forschungs- und Innovationspartnern.
Werfen wir noch einen Blick auf die Zukunft Ihrer Produktwelt. Wird in den smarten Häusern, in denen wir zunehmend leben, der Eierkocher von Severin künftig wissen, wie viele Minuten Kochzeit die Bewohnerinnen und Bewohner bevorzugen und wann der Staubsauger zu besonders günstigen Stromtarifen seinen Einsatz haben kann?
Gesing: Jeder Hersteller ist gefragt, in Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu investieren. Ich glaube aber, es wird schon fast zu viel auf Vernetzung gesetzt. Nicht jeder Toaster muss mit meinem Handy verbunden sein. Deshalb wollen wir uns darauf konzentrieren, praktische und intuitive Problemlöser für unsere Kundinnen und Kunden im Alltag zu sein.
>>> Zur Person: Joyce Gesing
Joyce Gesing ist im Taunus geboren und aufgewachsen. Nach dem Studium begann die Betriebswirtin und Diplom-Mathematikerin ihre Karriere bei den Beratungsunternehmen KPMG und McKinsey. 2016 kam Gesing zu Thyssenkrupp und arbeitete in Essen, Kiel und Hamburg.
Im März dieses Jahres wechselte sie zu Severin nach Sundern. Privat lebte Joyce Gesing mit ihrer Familie zunächst in Mülheim und ist inzwischen in Essen-Bredeney heimisch.