Hagen. Der Deutsche Brauer-Bund fürchtet, dass viele Brauereien kurz vor der Aufgabe stehen. Warum die Preise längst hätten angehoben werden müssen.
Der Deutsche Brauer-Bund (DBB) fürchtet ein Beben in der Branche. „Wir rechnen damit, dass ohne eine rasche und wirksame Begrenzung der Energiekosten ein beträchtlicher Teil der Brauereibetriebe bis Jahresende seine Arbeit wird einstellen müssen“, erklärt DBB-Sprecherin Nina Göllinger. Die Kosten für Rohstoffe sind in den vergangenen zwei Jahren enorm gestiegen. Die seit beinahe einem Jahr galoppierenden Energiepreise tun ihr übriges. „Normalerweise müsste eine Kiste Bier jetzt doppelt so teuer sein“, sagt Christian Vormann, Brauereibesitzer aus Hagen.
Die „Trinkflation“ trifft alle
Vormann rechnet mit einem Verdrängungswettbewerb. 20,25 Euro pro Kasten müssten mittlerweile eigentlich aufgerufen werden, um kostendeckend liefern zu können. Preise, die im harten Wettbewerb, gestiegener Geldentwertung und entsprechend zunehmender Kaufzurückhaltung derzeit kaum durchsetzbar sind. Die Frage ist, welche Brauerei diese Krise wie lange durchhält und wer zuerst erhöht.
Die Finanzplattform eToro spricht von „Trinkflation“ und begründet dies mit einer Berechnung. eToro hat aus sechs für die Branche wesentlichen Gütern für die vergangenen zwei Jahre (Zeitraum August 2020 bis August 2022) einen Bier-Index errechnet und kommt auf eine durchschnittliche Kostensteigerung von 62 Prozent. Der Preis für Gerste hat sich demnach mehr als verdoppelt, Kraftstoffe(Logistikkosten) wie Benzin und Diesel kosten 138 Prozent mehr als vor zwei Jahren, der Malzpreis ist demnach um 87 Prozent gestiegen. In der Rechnung sind Preise für Strom und Gas, die stärksten Preistreiber, noch nicht einmal genau beziffert.
„Ob die genannte Prozentzahl so jetzt im Schnitt auf die gesamte Branche zutrifft, kann ich nicht sagen. Da gibt es sicher Unterschiede in den jeweiligen Unternehmen. Es sind aber in jedem Fall tatsächlich über alle Bereiche der Beschaffung hinweg immense Kostensteigerungen zu verzeichnen“, sagt Peter Lemm, Sprecher der Siegerländer Krombacher Gruppe, einem der Marktführer in der Branche. Rohstoffe, Energie, Flaschen, Etiketten, Kronkorken, Holzpaletten, Kohlensäure. Lemm zählt die lange Liste der Güter auf, die deutlich teurer geworden sind. „In wirklich allen Bereichen müssen wir um ein Vielfaches mehr bezahlen, wenn denn überhaupt geliefert werden kann.“
Dies betreffe die alkoholfreien Produkte wie Schweppes ebenso wie die Brauerprodukte der Krombacher Gruppe. Das vielleicht größte Problem sei die fehlende Planbarkeit seit Beginn der Corona-Pandemie. Mit dem Ausbruch des Ukrainekrieges habe sich die Situation noch einmal verschärft.
In Bezug auf Preiserhöhungen bleibt der Branchenriese zurückhaltend. Inwieweit sich die Gemengelage auf die Preise niederschlagen werde, bleibe abzuwarten. Der Brauer-Bund wird da schon deutlicher: „Klar ist, dass derart drastische Kostensteigerungen, wie wir sie aktuell erleben, irgendwann auch auf den Preis umgelegt werden müssen“, sagt DBB-Sprecherin Göllinger. Eine konkrete Aussage dazu, wie stark sich einzelne Marken zukünftig verteuern, könne der Verband indes nicht treffen. Jedes Unternehmen kalkuliere und entscheide eben für sich.
„Sternebrauerei“ plant Zukunft
Auf die am Freitag von Deutschen Brauer-Bund geforderte schnelle Hilfe durch politische Entscheidungen hofft Christian Vormann, Chef der gleichnamigen Privatbrauerei nicht: „Als Kleinstbetrieb muss man sich immer selbst helfen.“ Jedenfalls will sich Vormann auf niemanden als sich selbst und seinen Familienbetrieb verlassen. Der größte Kostentreiber sei der Strom. Vor gut einem Jahrzehnt hat Vormann noch einmal weite Teile der Brauerei aus dem Jahr 1877 modernisiert, hat Wärmepumpen angeschafft.
Trotz Krise denkt der Braumeister an die Zukunft und seinen Sohn Christian Michel, die fünfte Generation in der Brauerfamilie. Vormann will in eine Photovoltaikanlage investieren und hofft damit in drei Jahren rund 80 Prozent des Strombedarfs in der Brauerei decken zu können. Die vergleichsweise kleine Brauerei scheint ausreichend Substanz zu haben und ein Rezept, um dem Verdrängungswettbewerb stand zu halten.
An die zehn sortenreine Spezialitätenbiere. Dazu Craftbeer. Dem Druck des Handels mit der „10 Euro-für-eine-Kiste-Bier-Denke“ hat sich der Familienbetrieb nicht unterworfen. „Wir bieten Biere an, die andere nicht können“, sagt Vormann und wagt einen Vergleich: Seine Brauerei sei eine „Sterneküche“ im Gegensatz zu vielen „Kantinen“ in der Branche, wo vieles gleich schmecke. Klingt optimistisch, dass es den besonderen Gaumenschmaus aus dem Hagener Vorort Dahl auch zum 150-Jährigen in fünf Jahren noch geben dürfte, anders als andere Biere.