Bottrop. Energiemanager Drescher hält Windkraft für zu langsam und Photovoltaik für bürokratisch. Die Energiewende gelinge wie in Bottrop nur „von unten“.

Innovation City hat es mit rund 4000 Beratungsgesprächen für Hauseigentümer und lokalen Förderprogrammen geschafft, in Bottrop die Umstellung auf erneuerbare Energien zu beschleunigen. Geschäftsführer Burkhard Drescher erklärt im Gespräch mit Frank Meßing, dass Energiesparen allein nicht ausreiche, um Deutschland aus der Abhängigkeit von russischem Gas zu befreien und warum er den Ausbau der Photovoltaik für viel zu bürokratisch hält.

Herr Drescher, aus Furcht vor der Gasknappheit wollen viele Häuslebauer jetzt ihre Heizung umstellen. Kommen Sie bei der Beratung noch nach?

Burkhard Drescher: Das Geschäft boomt. Unsere Telefone stehen nicht still. In dieser unsicheren Lage gibt es einen riesigen Beratungsbedarf. Wir haben sechs Energieberater und würden gern weitere einstellen, aber es gibt keine. Wir arbeiten auch mit der Verbraucherzentrale zusammen, aber auch sie stößt an ihre Grenzen.

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Solardächer und Wärmepumpen gelten als die Lösung der Stunde. Ist das auch Ihre Sicht?

Drescher: Man kann nicht jede vorhandene Gas- oder Ölheizung durch eine Wärmepumpe ersetzen. Vor allen Dingen in großen Mehrfamilienhäusern und Siedlungen, von denen das Ruhrgebiet geprägt ist, funktioniert das nicht. Hinzu kommt, dass die Auftragsbücher der Handwerksbetriebe voll sind. Mein Eindruck ist, dass auch die Netzgesellschaften nicht nachkommen. Man muss zum Teil Monate warten, bis die Photovoltaikanlage auf dem Dach an den Zähler angeschlossen wird.

Innovation City hat bereits vor zwölf Jahren begonnen, Bottrop auf erneuerbare Energien umzustellen. Wie schnell kann der Umbau des ganzen Landes funktionieren, um die Abhängigkeit vom Gas zu überwinden?

Drescher: Mich ärgert am meisten, dass im Moment so viel über Energiesparen geredet wird. Die Appelle der Bundesregierung sind ja richtig. Sparen ist aber nicht nachhaltig, es ändert ja nichts an unserer Abhängigkeit vom Russen-Gas. Wir müssen doch gleichzeitig damit beginnen, die Stadtquartiere umzubauen. In Bottrop haben wir gezeigt, dass die Energiewende von unten gelingen kann. Andernorts sind die Defizite aber noch sehr groß. Und bis sich bei uns genügend Windräder drehen, ist Wirtschaftsminister Habeck vermutlich längst pensioniert. Windenergie ist einfach zu langsam.

Burkhard Drescher, Geschäftsführer von Innovation City, ist davon überzeugt, dass nur die Kommunen die Energiewende steuern können.
Burkhard Drescher, Geschäftsführer von Innovation City, ist davon überzeugt, dass nur die Kommunen die Energiewende steuern können. © FUNKE Foto Services | Alexa Kuszlik

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Welchen Weg schlagen Sie vor?

Drescher: Wir müssen die Bürger in die Lage versetzen, sich selbst mit erneuerbaren Energien zu versorgen. Das funktioniert am besten mit Photovoltaik. Wir haben in Deutschland rund 19 Millionen Wohngebäude. Jährlich kommen 200.000 hinzu. Die energetische Sanierung der Häuser kann nur aus den Kommunen heraus gesteuert werden. Sie haben dazu aber nicht die finanziellen Mittel. Die Förderung zentral zu steuern, ist unmöglich.

Was kritisieren Sie an den aktuellen Förderprogrammen?

Drescher: Der Bund fördert Luxussanierungen. Um Mittel von der staatseigenen Förderbank KfW zu erhalten, müssen Sie Ihr Dach erneuern. Das kostet bei einem Einfamilienhaus gut und gern 30.000 Euro. Oftmals reicht es aber aus, den Speicher für 1000 Euro zu dämmen. Häuslebauer müssen ihre Investitionen manchmal verdoppeln, um an die KfW-Förderung zu kommen.

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Erwarten Sie Erleichterungen bei der Förderung von Photovoltaikanlagen?

Drescher: Das kann man nur hoffen. Bislang ist der bürokratische Aufwand immens hoch. Ohne einen Steuerberater bekommt man da nichts. Es ist doch absurd, dass man Sonnenstrom nur auf seiner eigenen Scholle nutzen kann. Wir haben in Bottrop ein Krankenhaus, das könnte sich nahezu autark mit Solarstrom versorgen. Doch zwischen der Photovoltaikanlage und dem Krankenhaus liegt eine Straße, und deshalb muss der Strom ins allgemeine Netz eingespeist werden. Dafür habe ich kein Verständnis.

Was lief in Bottrop anders?

Drescher: In Bottrop wurden die Fördergelder als Modellprojekt über die Stadt verteilt. Innovation City hat über 4000 Beratungsgespräche mit Bürgerinnen und Bürgern geführt. 36 Prozent der Wohngebäude sind inzwischen energetisch modernisiert und knapp die Hälfte des CO2-Ausstoßes eingespart. Bottrop hat die höchste Photovoltaik-Dichte in Nordrhein-Westfalen. Es ist gelungen, die Menschen zu Akteuren der Energiewende zu machen

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Innovation City hat mit Green Zero einen neuen Hauptgesellschafter, der 56 Prozent hält. Der Initiativkreis Ruhr ist nur noch mit 18 Prozent beteiligt. Was ändert sich für Sie?

Drescher: Wir haben jetzt mehr finanziellen Spielraum und sind auf dem Weg zu einem selbstständigen Beratungsunternehmen. Wir haben inzwischen 55 Mitarbeitende und wollen weiter einstellen. Der Umzug innerhalb Bottrops ist bereits geplant. Als zweiten Geschäftsführer konnten wir den früheren Duisburger Planungsdezernenten Carsten Tum gewinnen.

Das Stadtumbau-Projekt in Bottrop ist offiziell beendet. Wie geht es jetzt weiter?

Drescher: Innovation City ist jetzt bundesweit mit Konzepten für die klimaneutrale Quartiersentwicklung unterwegs. In Münster haben wir bereits 1000 Energieberatungen durchgeführt und sind mit Wärmebildkameras über die Stadt geflogen. Ob Osnabrück, Kamp-Lintfort, Velbert, Witten und andere Ruhrgebietsstädte – im Moment laufen 40 Projekte, und wir wollen weiter wachsen. In Bottrop soll der nächste Schritt die Klimaneutralität sein, daran arbeiten wir bereits mit der Stadt.