Hagen. Die Länderenergieminister und Bundesminister Robert Habeck wollen ein Gesetz so ändern, dass Gaspreisbindungen für Kunden fallen könnten.

Die Energieminister der Bundesländer haben sich am Montagmittag mit dem zuständigen Bundesminister Robert Habeck (Die Grünen) kurzgeschlossen, um weitere Maßnahmen zur Versorgungssicherheit zu besprechen. „Die Situation ist sicher ernst“, erklärte Nordrhein-Westfalens Wirtschafts- und Energieminister Andreas Pinkwart (FDP) am Nachmittag.

Versorger sollen Preis trotz bestehender Verträge anheben dürfen

Eine Maßnahme, die alle gleichermaßen treffen wird, ist die Änderung des Paragrafen 24 im Energiesicherungsgesetz aus dem Jahr 1975, um Energieversorgern kurzfristig Preisanpassungen zu ermöglichen. „Das ist dann natürlich sowohl für die Industrie, als auch die Privaten bitter“, sagte Pinkwart, der ein entsprechendes „Schutzschild“ des Bundes für die Kunden forderte.

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Im Verlauf der vergangenen Woche hätten sich die Ereignisse weiter zugespitzt, bemerkte Pinkwart mit Blick auf die nur noch stark reduzierten Gasmengen, die durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Deutschland geflossen seien. „Wir spüren gerade die Abhängigkeit von Russland. Entsprechend steigen die Preise an den sogenannten „Spotmärkten“, wo kurzfristig Energie eingekauft wird – seit vergangener Woche stiegen sie sogar noch einmal deutlich.

Die Preise der Energieversorger sind in der Regel eine Mischkalkulation aus lang- und kurzfristig eingekauften Energiemengen. So wie die Preise aktuell steigen, sehen die Länderminister und Bundesminister Habeck offenbar die Gefahr, dass Stadtwerke in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten geraten werden, wenn sie einen Teil der Preiserhöhung in den kommenden Monaten nicht weitergeben können. Diese Möglichkeit soll ihnen der Paragraf 24 geben, auch wenn die Kunden feste Preisvereinbarungen haben.

Die Versorgungslage beim Gas ist offenbar derart angespannt, dass jedes mögliche Mittel recht ist, um es einigermaßen über den kommenden Winter zu schaffen. Schnell sollen Braun- und Steinkohlekraftwerke, die momentan nur der Reserve dienen, wieder voll ans Netz, Gaskraftwerke, die im Wesentlichen zur Verstromung dienen, sollen dagegen möglichst rasch abgeschaltet werden. Dies würde beispielsweise auch den Hagener Energieversorger Enervie treffen, der gemeinsam mit Statkraft in Herdecke ein Gas- und Dampfturbinenkraftwerk betreibt. Nach mauen Jahren war es 2020 wieder in den Volllastbetrieb gewechselt, auch 2021 machte das GuD ordentlich Betriebsstunden, wie ein Sprecher erklärte.

„Die Grundidee des Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetzes zum Gasbedarf in Deutschland, zur Sicherung der Gasversorgung in einer Mangelsituation zu reduzieren, können wir nachvollziehen. Als Ultima Ratio tragen wir daher auch die Einstellung der Verstromung in Gaskraftwerken - bei entsprechender gesetzlich vorgesehener Entschädigung der Kraftwerksbetreiber - mit“, sagt Enerviechef Erik Höhne. Die ebenfalls vorgesehene Pönalisierung (Bestrafung) des Gaseinsatzes in Kraftwerken kritisiere man „als völlig ungerechtfertigten Markteingriff allerdings scharf“. Durch diese Maßnahme werde der Strompreis in einer akuten Krisensituation weiter steigen und der gewünschte Effekt der Bedarfsreduzierung nicht eintreten.

Kohleverstromung hat die Enervie längst nicht mehr im Programm, nachdem im März 2018 der zweite Block des Kohlekraftwerks in Werdohl-Elverlingsen vom Netz genommen worden war, weil eine Grundrevision wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll erschien. „Der Ausstieg aus der Kohleverstromung war auch aus heutiger Sicht richtig. Auch wenn Kohle kurzfristig die Versorgungssicherheit ergänzend gewährleisten soll, so ist dieser Energieträger mit Blick auf die weiterhin gültigen, sehr ambitionierten Klimaziele keine Option für die Zukunft“, sagt Höhne, der den Kohleausstieg seinerzeit als Technischer Geschäftsführer vorantrieb.

Klimaschutz steht für Versorgungssicherheit hinten an

Die Ministerrunde war sich am Montag einig, dass Industriebetriebe neben Energie aus Kohle auch die Möglichkeit bekommen sollen, statt Gas als Energieträger beispielsweise Heizöl einzusetzen. Das wäre zwar auch teuer, aber sicherer verfügbar und in Deutschland weniger knapp als Gas. Der Bund müsse für diesen sogenannten „Fuel-Switch“ „sehr schnell die regulatorischen Rahmenbedingungen schaffen, damit wir als Landesregierung die entsprechenden Erlaubnisse erteilen können“, fordert Pinkwart. Bereits vor einigen Wochen hatte das NRW-Wirtschaftsministerium im Zusammenhang mit einem Aktionsplan Energieversorgungssicherheit diese Möglichkeit vorgeschlagen. Bislang ist dies nur erlaubt, wenn die Notfallstufe III ausgerufen würde. Aktuell steht Deutschland beim Notfallplan immer noch auf Stufe I.

Sowohl das Hochfahren der Kohlekraftwerke, als auch die Substitution von Gas durch Heizöl konterkarieren natürlich die jüngsten Bemühungen, Emissionen zu verringern. „Es ist dringend notwendig, Gas aus der Verstromung herauszunehmen, auch wenn dies für die CO2-Belastung nicht gut ist“, versicherte Pinkwart.

Ein wenig dämpfen könnten verringerte Energieverbräuche die Situation mit Blick auf die aktuell nur zu 57,57 Prozent gefüllten Gasspeicher in Deutschland. Land und Kommunen sollten in ihren Gebäuden mit gutem Beispiel vorangehen, um möglichst sparsam durch die kommenden zwölf Monate zu kommen. Ob die von Pinkwart vom Bund geforderte kurzfristige Förderung für den Einbau von strombetriebenen Wärmepumpen in der aktuellen Situation hilft, scheint fraglich. Auch Geräte und Handwerker sind gerade ein sehr rares Gut, ähnlich wie Gas.