Olsberg. Im „Osterpaket“ zur eiligen Energiewende hat Minister Habeck das Potenzial von Wasserkraft übersehen. Im Hochsauerland gibt es knapp 100 Anlagen.
Jede Kilowattstunde zählt, appelliert Bundesklimaschutzminister Robert Habeck (Die Grünen) dieser Tage. Was auf das Sparen von Öl, Gas und Strom gemünzt war, dürfte gleichermaßen für die Erzeugung gelten. Wasserkraft ist eine uralte und verlässliche Form der Energieerzeugung. Sie spielte in der Vergangenheit beispielsweise bei der Industrialisierung eine gewichtige Rolle. Manch einer behauptet gar, dass die Wiege des Ruhrgebiets entlang der Ennepe im Raum Hagen liegt, wo frühe Hammerwerke mit der Kraft des Wassers betrieben wurden. Für die Gesamterzeugung von Energie in Deutschland spielt die Wasserkraft heute nur eine kleine Rolle. Vielleicht ist sie deshalb beim Kabinettsentwurf zum Erneuerbare Energiegesetz von Habecks Fachleuten auch als offenbar nicht so wichtig erachtet worden - obwohl doch jede Kilowattstunde zählt...
Lange Lebensdauer, sehr verlässlich
„Wasserkraft wird immer etwas links liegen gelassen“, sagt Philipp Hawlitzky, stellvertretender Geschäftsführer des Landesverbands Erneuerbare Energien (LEE) NRW. Dabei sei sie eine optimale Ergänzung zur volatilen Erzeugung mit Windkraft- und Photovoltaikanlagen, die als die Säulen der Zukunft bei der Energieversorgung angesehen werden. Auch dies spiegelt sich im jüngsten Entwurf aus dem Hause Habeck wider. Während nun Energie aus Sonne und Wind gewonnen als wichtig für die öffentliche Sicherheit eingestuft werden soll, fallen bislang noch über das EEG geförderte Kleinwasserkraftwerke wohl durchs Raster.
Für Investoren wie die Stadtwerke Mainz frustrierend. Der kommunale Versorger betreibt ein Dutzend Wasserkraftwerke. Die meisten davon arbeiten im Sauerland an der oberen Ruhr und wurden 2016 von RWE Innogy übernommen, wie das 95 Jahre alte Kraftwerk in Olsberg. „Laufwasserkraftwerke haben eine Lebensdauer von mindestens 40 bis 50 Jahren. Bei Wartung eigentlich unendlich lange“, sagt Carsten Weller, Ingenieur und Betriebsleiter der Mainzer Wasserkraft GmbH. Langlebigkeit, also Nachhaltigkeit, ist ein Vorteil, auch gegenüber Solarmodulen und Windkraftanlagen. Der noch größere: Solange Wasser im Fluss oder in den Talsperren ist, solange können die Kraftwerke verlässlich Strom erzeugen. Tag und Nacht.
Eigentlich perfekt. Dennoch sieht die Bilanz beim Ausbau in NRW (und auch bundesweit) ziemlich trübe aus. 2021 sei in NRW nur eine Anlage in Betrieb gegangen. Ein Kraftwerkchen an einer historischen Mühle im Kreis Lippe. Erzeugungskapazität: 3,3 Kilowatt – reicht bei sparsamem Verbrauch ungefähr für die kleine Familie.
Das Kraftwerk in Olsberg ist modernisiert worden. Eines der Laufräder wurde reduziert, so dass in der Spitze nur noch 2 statt 2,25 Megawatt Leistung erzeugt werden können – dafür aber kontinuierlicher auch bei geringen Wasserständen. Resultat: Pro Jahr können statt 4,5 nun 5,5 Millionen Kilowattstunden erzeugt werden. Durch die Modernisierung gilt die Anlage erneut als förderfähig. 20 Jahre fließt nun eine Einspeisevergütung in Höhe von „elf bis zwölf Cent“, sagt Weller.
Solaranlagen auf Talsperren
Vor gut einem Jahr habe sogar noch eine Erhöhung der Vergütung um drei Cent pro kWh im Raum gestanden. Mit der jüngsten EEG-Novelle soll es nun keine Förderung mehr geben. „Eine Kehrtwende um 180 Grad, die Investitionen in Wasserkraft beinahe uninteressant machen“, erklärt der Mainzer Ingenieur am Mittwoch nach erster Lektüre des Habeck-Papiers.
Dabei gäbe es aus Sicht des LEE NRW durchaus noch Potenzial. Nur rund die Hälfte der Talsperren sei mit Kraftwerken ausgerüstet. Die aufgestauten Seen könne man zudem mit schwimmenden Solaranlagen ausstatten (vielleicht nicht unbedingt dort, wo sie touristisch genutzt werden).
Auch an vielen Flüssen in NRW sei theoretisch noch ein mächtiger Beitrag zur Energiewende möglich, sagt Hawlitzky vom Landesverband: „Nur an 4,5 Prozent der Querbauwerke findet Kraftwerksbetrieb statt.“ Praktisch bremst Habecks „Osterpaket“ mit der EEG-Novelle aus Expertensicht beim Wasser aber mehr als es beschleunigt. Eine verpasste Chance, auch wenn Wasserkraft nicht mehr die zentrale Rolle spielt wie zu Beginn der Industrialisierung.
450 Kraftwerke in NRW
In NRW arbeiten rund 450 Wasserkraftwerke mit einer installierten Leistung von knapp 500 Megawatt (MW). In den vergangenen zehn Jahren wurden laut Ökoverband LEE in NRW lediglich 6 MW zugebaut. Der Anteil der Wasserkraftwerke an der Gesamtenergieerzeugung in NRW beträgt laut LEE rund zwei Prozent. Bundesweit liegt der Anteil der rund 4000 Wasserkraftwerke etwas höher. Diese Art Erzeugung ist also bei der Energiewende eher wegen der Qualität (Verlässlichkeit) als der Quantität wichtig.