Essen. National Express übernimmt im Februar Abellio-Strecken, auch den RRX. Geschäftsführer Winter erklärt im Interview, warum es teurer werden muss.

Die Pleite der Privatbahn Abellio hat den Regionalverkehr vor allem in NRW erschüttert, erstmals mussten wichtige Linien per Notvergabe Konkurrenten übergeben werden, damit die Züge weiter rollen. Den RRX fährt ab 1. Februar der National Express durchs Ruhrgebiet. Geschäftsführer Marcel Winter sprach im Interview mit unserer Redaktion über die Chancen und Schwierigkeiten, die sich im Zuge der Übernahme ergeben. Und darüber, wie sich solche Pleiten durch andere Ausschreibungen vermeiden ließen.

Hat Sie die Abellio-Krise und ihr unrühmliches Ende überrascht?

Marcel Winter: In der Schärfe ja. Die Probleme, mit denen Abellio zu kämpfen hatte, sind freilich Themen, die die gesamte Branche betreffen. Personalengpässe, die durch die riesige Baustellenwelle im NRW-Schienennetz ausgelösten Strafzahlungen, die zunehmenden Unwetter – viele dieser Komplikationen waren zum Zeitpunkt der Ausschreibung der Verkehrsverträge vor einigen Jahren einfach nicht vorhersehbar. Es gab damals zum Beispiel keinen Lokführermangel, der aber ist heute ein ganz großes Problem.

Also hat Abellio gar nichts falsch gemacht?

Winter: Abellio hatte zusätzlich das Pech, mit dem RRX und der S-Bahn zwei prestigeträchtige Verkehrsverträge erfüllen zu müssen, bei denen die Vertragsstrafen auf Grundlage der Erwartung an Zuverlässigkeit und Qualität besonders hoch waren – und so offensichtlich die Preise am Ende nicht auskömmlich. Wenn man dann noch einen Gesellschafter hat, der wie die niederländische Konzernmutter irgendwann nicht mehr bereit war, die Verluste langfristig zu kompensieren, wird es am Ende eng.

National Express: Wir brauchen einen Personalpuffer

Warum glauben Sie, es besser machen zu können als Abellio?

Winter: Die Verträge werden sich ändern müssen. Darauf setzen wir. Um Risiken besser abfedern zu können, muss das Vertragswerk flexibler gestaltet werden. Wir bekommen von den Aufgabenträgern, also den NRW-Verkehrsverbünden, bereits erste positive Signale, dass bei den langfristigen Ausschreibungen der ehemaligen Abellio-Linien hier nachgebessert werden soll. Unter anderem muss es darum gehen, dass mehr Personal eingepreist wird. Wir brauchen eine Mitarbeiterreserve von zehn Prozent vor allem beim fahrenden Personal.

Marcel Winter, National-Express-Deutschland-Chef, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Marcel Winter, National-Express-Deutschland-Chef, im Gespräch mit unserer Redaktion. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Das bedeutet, dass es für ihre Auftraggeber, die Verbünde, teurer wird?

Winter: Ja, die neuen Verträge werden teurer. Aber dafür gibt es auch eine bessere Qualität. Denn es muss ja unser Ziel sein, den Nahverkehr attraktiver zu machen.

Die Abellio-Krise hat ein regelrechtes Loch in den NRW-Regionalfahrplan gerissen. Zahlreiche Züge fallen aus, bis Ende Februar fahren fast alle Abellio-Linien im Notfall-Modus. Wie läuft die Übernahme?

Winter: Sehr kooperativ. Abellio tut alles für einen bestmöglichen Betriebsübergang. Und wir, die anderen Bahnunternehmen und die Verkehrsverbünde tun es auch. Denn allen Beteiligten ist klar: Es geht um den Fahrgast. Die Abellio-Krise darf sich nicht zur Vertrauenskrise im NRW-Bahnverkehr auswachsen. Das ist jedem in der Branche klar. Deshalb herrscht auch keinerlei Schadenfreude darüber, dass nun ein Wettbewerber vom Markt verschwindet.

90 Prozent der Abellio-Mitarbeiter wechseln zu NX

Kann der Notfahrplan tatsächlich am 27. Februar enden?

Winter: Stand jetzt gehe ich davon aus. 90 Prozent der Abellio-Mitarbeiter haben bisher dem Betriebsübergang auf die neuen Betreiber zugestimmt. Die Schulungen laufen. Vieles hängt noch an individuellen Entscheidungen. Noch bis zum Ende dieser Woche kann jeder Abellio-Beschäftigte dem Betriebsübergang widersprechen. Und wer nach diesem Zeitpunkt noch gehen will, den können wir ebenfalls nur schwer aufhalten. Bauchschmerzen habe ich deshalb, was die Zahl der Lokführer angeht. Wenn zehn Prozent abspringen, haben wir ein Problem. Solch ein Verlust ließe sich vielleicht kurzfristig, zum Beispiel durch viele Überstunden, aber nicht dauerhaft kompensieren.

Auch Ihr NRW-Mitbewerber Keolis-Eurobahn ist finanziell in Schieflage geraten. Die französische Staatsbahn SNCF hat sich als Eigner aus dem Unternehmen zurückgezogen, ein neuer Investor wird gesucht. Interesse?

Winter: Ich würde nie nie sagen. Aber zur Zeit konzentrieren wird uns ganz auf die Übernahme der Abellio-Strecken. Damit haben wir alle Hände voll zu tun.

Durch die Übernahme der Abellio-Strecken steigt NX zum zweitgrößten Regionalbahnbetreiber in NRW nach DB Regio auf. Welche Perspektiven sehen Sie für Ihr Unternehmen auf dem Bahn-Markt im größten deutschen Bundesland?

Winter: Wir sind durch eine Sondersituation auf Platz zwei geschoben worden, das ist ein ganz schöner Hub, den wir organisatorisch erst einmal verkraften müssen, immerhin verdoppeln wir fast unsere Beschäftigtenzahl von 450 auf 800. Grundsätzlich ist uns ein gesundes, organisches Wachstum lieber.

Auch über NRW hinaus?

Winter: Wir sind hier verwurzelt, NRW ist und bleibt unser Heimatmarkt, von dem aus wir durchaus nach rechts und links schauen.

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Wie blickt Ihre britische Mutter NX auf den aktuell ja sehr lebendigen deutschen Markt, zieht sie da mit?

Winter: Unsere Gesellschafterin bekennt sich zu uns und glaubt wie wir an die Mobilitätswende in Deutschland. Wir wollen sie mitgestalten und uns als Qualitäts-Dienstleister etablieren. Den Markteintritt haben wir geschafft. National Express ist sehr interessiert am deutschen Markt, der europaweit derzeit den höchsten Liberalisierungsgrad hat. Deshalb haben wir auch bereits eine Kapitalerhöhung unserer Gesellschafterin erhalten.

NX: Die Ticketpreise sollten flexibler werden

Sie haben ja keinen Einfluss auf die Fahrpreise, aber was denken Sie: Ist Bahnfahren in Deutschland nicht zu teuer, um mehr Kunden auf die Schiene zu locken?

Winter: Wer nur ab und zu Bahn fährt, dem erscheinen die Preise zu hoch. Für Dauerkunden sind die Preise durchaus fair, finde ich. Deshalb sollten die Preise für Einzeltickets flexibler gestaltet werden, ähnlich wie beim Taxi sollte man nur für die Strecke zahlen, die man fährt – und nicht für wenige Haltestellen einen hohen Preis, nur weil der Weg über eine Verbundgrenze führt. Diese Einstiegs-Barrieren müssen weg, aber da bewegt sich ja derzeit einiges bei den Verkehrsverbünden.

NRW hat für die Schiene das Jahrzehnt der Baustellen ausgerufen – ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht für Ihre Fahrgäste?

Winter: Viele Baustellen sind immer erst einmal schmerzhaft, weil sie auf die Leistungsfähigkeit des Netzes gehen. Autofahrer haben sich daran gewöhnt, an bestimmten Baustellen jeden Tag im Stau zu stehen, Bahnfahrer können diese Zeit im Zug sicher besser nutzen. Wichtig ist die Gewissheit, dass es für sie durch den Zubau von Schienen absehbar besser wird. Alte Stellwerke, Signale und Bahnübergänge kosten viel Zeit, wenn wir sie erneuern, wird das die Störungsanfälligkeit langfristig senken.

Der RRX galt immer als Vorzeigeprojekt für besseren Regionalverkehr – zu Recht?

Winter: Ja, er ist ein gutes Fundament. Wir haben hier in einigen Jahren eine Infrastruktur, die einen hohen Takt ermöglicht und schon jetzt neue hochmoderne Fahrzeuge mit einer wahnsinnigen Beschleunigung, die in der Lage sind, diesen hohen Takt auch zu halten. Der RRX ist der ICE des Nahverkehrs.

Ihre britische Mutter betreibt in Großbritannien keine Bahn-, sondern Buslinien, ist dort Marktführer. Warum hat es in Deutschland nicht mit Bussen geklappt?

Winter: National Express hat es ja nach der Marktöffnung am Anfang versucht, sich aber auch schnell wieder zurückgezogen, wahrscheinlich gerade rechtzeitig. Der Markt ist so ziemlich abgesteckt – und wird es bleiben, solange nicht ein anderer großer Geldgeber kommt und jahrelang auf Rendite verzichtet, um die Konkurrenz vom Markt zu drängen.

Und käme es für Sie als Regionalbahn-Betreiber infrage, eines Tages den ÖPNV einer Stadt zu übernehmen?

Winter: Nein, das kann ich mir nicht wirklich vorstellen. Das ist ein hochkomplexes Thema und da gilt für mich: Schuster, bleib bei Deinen Leisten.