Bottrop. Kurz vor der Bundestagswahl fordert das Ruhr-Handwerk mehr Anerkennung. Präsident Hans Hund: Fachkräftemangel bremst Klimaschutz.

45.000 Betriebe, 295.000 Erwerbstätige und 20.000 Auszubildende – das Ruhr-Handwerk sieht sich als „stabilisierender Faktor“, nicht nur in der Corona-Pandemie, sondern auch beim Klimaschutz und beim Wiederaufbau nach der Hochwasser-Katastrophe im Juli. Beim 3. Ruhr Forum Handwerk am Mittwoch Abend in Bottrop formulierte die Branche nun ihre Forderungen an die Politik. Wir sprachen darüber mit Hans Hund, Präsident der der Handwerkskammer Münster, die das nördliche Ruhrgebiet betreut.

Herr Hund, wenige Tage vor der Bundestagswahl haben Sie am Mittwoch in Bottrop Ihr Handwerksforum Ruhr abgehalten und viele Politikerinnen und Politiker eingeladen. Was erwarten Sie von der künftigen Bundesregierung?

Hans Hund: Wir äußern uns natürlich nicht zu bestimmten Parteien. Uns geht es darum, unsere Forderungen zu bekräftigen, die wir seit geraumer Zeit formuliert haben: Durch das Ruhrgebiet muss ein wirtschaftlicher Ruck gehen. Dazu haben wir als Handwerk klare Vorstellungen.

Wie wollen Sie einen Aufschwung beflügeln?

Hund: Ein starker Mittelstand und ein starkes Handwerk können dazu beitragen. Wir erhalten von der Politik aber leider nicht so viel Aufmerksamkeit. Das Ruhrgebiet war lange von großen Konzernen und Monostrukturen geprägt. Jetzt brauchen wir hier mehr Wuseligkeit und Flexibilität. Die Zeit der Leuchttürme ist vorbei. Wir müssen mehr leistungsfähige Strukturen schaffen.

Hans Hund, Präsident der Handwerkskammer Münster.
Hans Hund, Präsident der Handwerkskammer Münster. © HWK Münster | HWK

Was hat der Mittelstand den Konzernen voraus?

Hund: Ein Tausendfüßler mit kleinen Betrieben ist erfolgreicher beim Erhalt von Arbeitsplätzen und der Schaffung von Ausbildungsplätzen. Im Münsterland etwa funktioniert das sehr gut.

Dem Handwerk fehlt der Nachwuchs. Schnappen Ihnen die Hochschulen die jungen Leute weg?

Hund: Zunächst einmal profitiert natürlich auch das Handwerk von der sehr dichten Hochschullandschaft im Ruhrgebiet. Auch wir brauchen zunehmend hochqualifizierte Absolventen. Uns besorgt aber, dass inzwischen bis zu 70 Prozent der Schulabgänger den akademischen Weg wählen. Das Handwerk braucht Fachkräfte – insbesondere für die wachsenden Aufgaben des Klimaschutzes.

Neue Dächer, Fenster, Heizungen und Fassadendämmung – auf dem Weg zur Klimaneutralität von Gebäuden sind Handwerker gefragt. Können Sie die Nachfrage überhaupt bedienen?

Hund: Es wird immer schwieriger, weil uns schlichtweg die Leute fehlen. Deshalb glaube ich auch nicht, dass wir die CO2-Neutralität von Gebäuden in der Schnelligkeit erreichen können, die uns die Politik vorgibt. Im übrigen ist das Handwerk seit jeher nachhaltig unterwegs. Im Moment fehlen etwa Dachdeckern aber die Isolierstoffe und anderen Gewerken Baumaterialien. Deshalb geht es auf Baustellen einfach nicht voran.

Wie wollen Sie junge Leute wieder stärker für Handwerksberufe begeistern?

Hund: Aus meiner Sicht sind dabei in erster Linie die Schulen und die Bildungspolitiker gefragt. Im Unterricht findet reale Wirtschaft kaum noch statt. Das beklagen im übrigen auch Schüler und Elternverbände. Wirtschaftsthemen müssen in Lehrplänen mehr Niederschlag finden. Das erhöht auch die Aufmerksamkeit für das Handwerk. Wir können nicht auf die 30 Prozent Studienabbrecher warten, von denen 20 Prozent dann ins Handwerk kommen. Wir brauchen einen neuen Blickwinkel und gesellschaftliche Hinwendung.

Das Handwerk hat aber auch ein Imageproblem.

Hund: Deshalb müssen wir uns selbst stärker ins Schaufenster stellen und unsere gesellschaftliche Verantwortung betonen, die wir zweifellos haben. Auf Schloss Raesfeld bei Dorsten bauen wir gerade eine Ehrenamtsakademie. Damit demonstrieren wir, dass Handwerk über den Tellerrand hinaus schaut und sich breiter aufstellt.

Haben Sie einen konkreten Wunsch an die Politik?

Hund: Ja, wir brauchen dringend Lösungen für Brachflächen und Innenstädte. In unseren Reihen gibt es viele Bäcker und Metzger, die sich nicht ausdehnen können. Leerstände nach dem Lockdown sind ein Ansatz, aber auch die rasche Reaktivierung von Gewerbeflächen, die brach liegen.