Hagen. NRW-Sonderbeauftragter Fritz Jaeckel hat 2002 und 2013 in Sachsen Erfahrung mit Wiederaufbau nach Fluten gesammelt. Er rät: Von Sachsen lernen.
Die Rahmenbedingungen für finanzielle Hilfe aus dem 30 Milliarden Euro Wiederaufbaufonds für die Opfer der Flutkatastrophe von Mitte Juli nimmt konkrete Formen an. „Alle Eckpunkte sind geklärt“, sagt der Sonderbeauftragte der NRW-Landesregierung für den Wiederaufbau, Dr. Fritz Jaeckel.
800 Unternehmen allein in Hagen
Er erläuterte am Donnerstag in der Industrie- und Handelskammer Hagen (SIHK) Vertretern betroffener Kommunen, worauf es jetzt ankommt und ab wann – vorbehaltlich der parlamentarischen Zustimmungen von Bundestag und Bundesrat in der kommenden Woche – Anträge gestellt werden können.
Jaeckel schätzt die Antragsberechtigten auf bis zu 100.000 Private und über 10.000 Unternehmen. Allein in der Stadt Hagen waren demnach 800 Unternehmen betroffen – und sind es noch. Die Höhe der Infrastrukturschäden beziffert die Stadt auf rund 200 Millionen Euro.
Jaeckel blättert in einem ebenso dicken wie wichtigen Stapel Papier. Es ist die Basis für eine mögliche Dachrichtlinie, nach der die Milliarden in Nordrhein-Westfalen verteilt werden sollen: „Mit heißer Nadel gestrickt, aber noch nicht abgeschlossen“, so Jaeckel. Auch deshalb ist der Fluterfahrene an diesem Tag in Hagen, diskutiert mit Vertretern der Städte und der Bezirksregierung, um den Wiederaufbau bestmöglich zu managen und Tipps zu geben, worauf zu achten ist. Ein Rat, der für Private, Unternehmen und Verwaltungen gleichermaßen gilt: „Notieren Sie alles, was Sie jetzt machen!“
Fritz Jaeckel hat 2002 und 2013 maßgeblich am Wiederaufbau in Sachsen mitgewirkt, nachdem zahlreiche Flüsse und vor allem die Elbe dort verheerende Schäden angerichtet hatten. „Die Komplexität in Nordrhein-Westfalen ist aktuell viel höher als 2013 in Sachsen“, ordnet er die Lage am Tag 50 nach der Flutkatastrophe ein.
Parallel zur entscheidenden Sitzung im Bundestag wird am kommenden Dienstag das Landeskabinett in Düsseldorf über die NRW-Richtlinie beraten. Wenn dann am 10. September auch der Bundesrat dem Fonds zugestimmt haben wird, „könnte das Antragsverfahren bereits am 13. September beginnen“, ist Jaeckel zuversichtlich. Vorzeitiger Maßnahmenbeginn sei erlaubt. Das bedeutet: Alles, was im Privaten wie in Unternehmen oder Städten und Gemeinden bereits an Wiederaufbau geleistet wird, wird abrechenbar sein – aber auch von unabhängigen Gutachtern geprüft.
Für die Unternehmen, allein im SIHK-Bezirk rund 2000, wird die Abwicklung über die Industrie- und Handelskammern laufen. Realistisch betrachtet, wird es bis Ende des Jahres dauern, ehe die Gelder ausgezahlt werden. „Alle Kammern sollten an einem Strang ziehen“, rät Jäckel, selbst Hauptgeschäftsführer der IHK Münster.
Für Privatleute, die Entschädigung aus dem Wiederaufbaufonds beantragen wollen, könnte es ähnlich wie bei den Corona-Soforthilfen eine digitale Lösung geben, um die bis zu 100.000 Fälle schnell und unbürokratisch bearbeiten zu können.
Mit Ingenieuren zusammenarbeiten
Sowohl bei Unternehmen wie Privaten dürfte es mindestens stichprobenartig Überprüfungen der Angaben geben. Dabei müssen beispielsweise Unternehmen nicht eins zu eins ihre Produktion auf Vorflutniveau wieder aufbauen, sondern auf dem Stand der Technik des Jahres 2021, sogar mit Berücksichtigung verbesserten Hochwasserschutzes in einem verhältnismäßigen Rahmen, möglicherweise an einem anderen Ort – aber in NRW.
So könnte es laufen
Die Zustimmung von Bundestag (am 7. September) und Bundesrat (10.9.) zum Wiederaufbaufonds gilt als reine Formsache. Ab dem 13. September könnte dann das Antragsverfahren für Fluthilfen starten – für Firmen über die IHK, für Private voraussichtlich auch über ein digitales Antragsverfahren.
Den Kommunen rät Jaeckel auf die Erfahrungen der Hochwasser in Sachsen zurückzugreifen – auch in Form von Fachleuten wie dem Leipziger Ingenieur Arne Kolbmüller, mit dem der Sonderbeauftragte bereits 2002 und 2013 beim systematischen Wiederaufbau der Städte in Sachsen zusammengearbeitet hat. „Wichtig ist, dass der Wiederaufbau der Infrastruktur aus einer Hand geschieht“, ist Kolbmüllers Rat. Der Austausch mit der Ingenieurkammer NRW ist bereits organisiert.
„Das Land muss sich leider darauf einrichten, dass sich so etwas wieder ereignen kann“, plädiert Jaeckel dafür, nicht nur den Fonds auszuschöpfen, sondern einen wiederkehrenden Posten in den Landeshaushalt einzustellen, von dem Maßnahmen gegen Naturkatastrophen finanziert werden könnten – so wie Sachsen es tut.