Wetter/Halver. Julia Jabs aus Wetter und Lea Jung aus Halver erzählen, wie sie zu Chefinnen von Industriebetrieben wurden und was sie persönlich ausmacht.
Als junger Mensch plötzlich an der Spitze eines Familienunternehmens zu stehen, ist eine große Herausforderung. Allem Fortschritt zum Trotz gilt dies nach wie vor erst recht für junge Frauen, insbesondere wenn sie sich in der Industrie behaupten wollen. Lea Jung (33) ist Chefin von Jung Präzisionsfedern in Halver. Julia Jabs (31) steht an der Spitze von SMI Handling Systeme in Wetter, Spezialist für Vakuumheber und Handhabungsgeräte. Sie geben Einblicke, wie der Weg zur Chefin für sie aussah, welche Hürden es gab.
Frau Jung, wie würden Sie sich selbst charakterisieren?
Lea Jung: Ich bin eine offene, extrovertierte Frau, die Interesse an ihren Mitmenschen und deren Bedürfnissen hat. Ich bin immer neugierig, was sich hinter dem Menschen verbirgt – der klassische Small-Talk ist hingegen nicht so meins.
Wie sehen Sie sich, Frau Jabs?
Julia Jabs: Als loyal, nahbar, offen, flexibel, modern. Ich weiß aber alte Gepflogenheiten zu schätzen. Ich sehe mich als selbstständige Frau, verantwortungsbewusst und zielstrebig, gleichzeitig aber auch als Teamplayer.
War es selbstverständlich, dass Sie die Firma übernehmen?
Julia Jabs: Nein, eine Selbstverständlichkeit gab es nie. Mein Stiefvater hat die Firma SMI aufgebaut. Da seine leiblichen Kinder andere Interessen haben, kam eine Nachfolge nicht in Frage. Mein leiblicher Vater ist selbstständiger Dachdecker, aber in dieser Branche sehe ich mich nicht. Die Unternehmensnachfolge bei SMI habe ich ohne Druck entschieden.
Lea Jung: Als Kind habe ich ab und an meinen Vater begleitet, durfte die Post in der Verwaltung verteilen und lernte das Unternehmen und die Mitarbeiter kennen. Von meinen Eltern habe ich die vollständige Entscheidungsfreiheit bekommen, was ich beruflich gerne machen möchte – aber natürlich hat mein Vater es befürwortet, dass ich einen unternehmensnahen Studiengang wie den der Wirtschaftspsychologie gewählt habe. Das Selbstverständnis, in das Familienunternehmen einzusteigen, kam daher weniger von meinen Eltern als vielmehr von Menschen aus meinem Umfeld, für die es fast unvorstellbar ist, nicht ins elterliche Unternehmen einsteigen zu wollen.
Wann war klar, dass Ihre Zukunft im Familienunternehmen liegt?
Julia Jabs: Mein Stiefvater, meine Mutter und ich saßen bei einem Abendessen zusammen und haben über meinen beruflichen Werdegang gesprochen, wie es für mich nach dem Abitur weitergehen soll. Möchte ich studieren? Oder eine Ausbildung machen? Und im Eifer des Gefechts fragte ich meinen Stiefvater, wer denn seine Firma übernehmen würde. Es gab noch keinen Nachfolger! Und ich habe darauf gesagt „Dann werde ich das machen!“ Mein Stiefvater war einverstanden und sagte, dass, wenn ich das möchte, ich die Nachfolge antreten kann. Nach meinem dualen Studium 2016 stand der Einstieg in das Familienunternehmen an. Da war ich 26.
Lea Jung: Der Zeitpunkt ist schwer zu greifen. Ich bin im April 2017 zunächst „auf Probe“ eingestiegen. Nach circa einem Dreivierteljahr habe ich ein Resümee gezogen – nicht ohne Absprache mit meinem Mann. Mitte 2018 trafen wir die Entscheidung, endgültig beide von Heidelberg hier hoch zu ziehen, unsere beiden Jobs zu kündigen und einen Neustart zu wagen.
Gab es Zweifel daran, ein Unternehmen führen zu können?
Lea Jung: Natürlich! Ohne jegliche Führungserfahrung und komplett ins kalte Wasser geschmissen zu werden, schürte Zweifel. Die wahrscheinlich auch nie ganz verschwinden werden – sie werden nur mit den Jahren weniger (lächelt).
Julia Jabs: Ich habe mich nicht gefragt, ob ich allgemein ein Unternehmen führen kann – sondern ob ich dieses eine Unternehmen führen kann, mit seinen Mitarbeitern, Ecken und Kanten, Vor- und Nachteilen. Und ich habe mich gefragt: „Kann ich in die wahnsinnig großen Fußstapfen von meinem Stiefvater treten? Wie werde ich von den Mitarbeitern aufgenommen?“ Viele Mitarbeiter kennen mich seit meiner Jugend.
Wie sind Sie damit umgegangen und haben sich Ihre Zweifel aufgelöst?
Lea Jung: Auflösen kann man sie, glaube ich, nie komplett. Meine Devise heißt: „Augen offen halten und durch.“ Denn mit ‘Augen zu’ sehe ich nichts und dann ist kein Vorankommen möglich. Ich selbst bin dabei meine wohl größte Kritikerin.
Julia Jabs: Ich habe nach nun fünf Jahren akzeptiert, dass Zweifel nie aufgelöst werden können. Ich werde damit leben und umgehen (müssen). Die Geschäftsführung hat sinnbildlich ihren Preis, den ich zahlen muss. Ich bin ein Optimist – aber Zweifel werden auch durch äußere Einflüsse bestärkt, wie durch die aktuelle Pandemie. Mein Stiefvater, vor dem ich meinen Hut ziehe, hat sich im Jahr 2019 zurückgezogen und mir die Geschäftsführung übergeben. Ich habe für mich entschieden, dass ich seine großen Fußstapfen nicht weiterführe und versuche, reinzupassen. Ich schließe meine Fußstapfen an seine an und bringe mich mit meinen eigenen Ansichten und Werte-Vorstellungen im Unternehmen ein.
Welche Widerstände gab/gibt es in Ihrem beruflichen Umfeld?
Lea Jung: Fachlich bin ich als Wirtschaftspsychologin mehr oder weniger ein Quereinsteiger, da ich zuvor mit dem Feder produzierenden Gewerbe wenige Berührungspunkte hatte. Während des Nachfolgeprozesses werden Strukturen hinterfragt, neue Wege gegangen – nicht alles stößt auf Zustimmung und Verständnis. Mit den Jahren habe ich meinen Platz und einen Weg gefunden – insbesondere mit den Mitarbeitern. Sie sind die eigentliche Stärke eines Unternehmens.
Julia Jabs: Mein Stiefvater und ich sind zwei unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Charakteren und Ansichten. Und was auch wichtig ist: wir sind zwei Generationen. Somit prallen zwei spürbare Welten aufeinander. Ich überspitze: Mann – Frau, alt – jung, grauhaarig – dunkelblond, Lebenserfahrung – unerfahren, altbacken – modern. Dementsprechend gab es Konflikte zwischen uns, aber auch mit den Mitarbeitern. Ganz ehrlich: Es wäre naiv zu glauben, dass eine Nachfolge keine Widerstände erfährt. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier – so auch die Mitarbeiter. Und Nachfolge bedeutet Veränderungen. Aus heutiger Sicht hätten wir erst bei meinem Firmeneinstieg und dann bei der Übergabe mehr Klarheit für die Mitarbeiter schaffen müssen.
Fühlen Sie sich von Mitbewerbern anerkannt oder erleben Sie auch Vorbehalte?
Lea Jung: Natürlich könnte ich jetzt auf die Geschlechterrollen eingehen, wo man fast in dem eher männerdominierten metallverarbeitenden Gewerbe nicht umhin kommt, aber selbst da konnte ich bei diversen Verbandstreffen oder Netzwerkveranstaltungen keinerlei Situationen ausmachen, wo mir Personen negativ oder mit Vorbehalten entgegen getreten sind. Eher im Gegenteil. Als Frau ist man in der Branche in dieser Position eine „Rarität“ und kann oft sehr schnell Kontakte knüpfen.
Julia Jabs: Vorbehalte erlebe ich tagtäglich – besonders in die Richtung „junge Frau“. Ich musste mich erstmal beweisen, bis ich akzeptiert und anerkannt wurde. Da gab es zahlreiche Situationen. Messen sind ein sehr gutes Beispiel. Männliche Besucher tigern um unseren Stand herum. Wenn ich sie anspreche erlebe ich häufig, dass sie sagen, dass sie darauf warten, bis der Herr – vor zwei Jahren war es noch mein Stiefvater, heute männliche Mitarbeiter – sein Gespräch beendet hat. Wenn wir Visitenkarten austauschen und auf meiner „Geschäftsführung“ steht, steht ihnen die Überraschung ins Gesicht geschrieben und sie teilen es mir auch mit. Ich nenne ausdrücklich „männliche“ Besucher, da ich von Frauen solche Reaktionen nicht kenne. Heute belächle ich diese altbackenen Muster gerne.
Warum ist ein Netzwerk für weibliche Führungskräfte sinnvoll?
Julia Jabs: Das weibliche Netzwerk ist eine tolle Gelegenheit in den Austausch zu gehen. Es besteht direkt eine Basis, eine Verbundenheit, ein Vertrauensverhältnis. Das Netzwerk ist sowohl beruflich als auch privat eine Stütze und die Chance, neue Menschen kennenzulernen. Prinzipiell denke ich, dass auch ein gemischtes Netzwerk sehr bereichernd sein kann.
Lea Jung: In den Gesprächsrunden weiblicher Netzwerke kommen andere Themen auf den Tisch, die einige männliche Kollegen oftmals in solch einer Form nicht beschäftigen oder die diese Situationen nicht erleben. Unter „Gleichgesinnten“ ist der Austausch ein anderer. Ich schätze jedoch auch sehr die Unterhaltungen mit männlichen Führungskräften. Ich denke, die Mischung macht’s.
Was sind Ihre Wünsche?
Lea Jung: Ich wünsche mir, dass ich unser in diesem Jahr bereits seit 85 Jahren bestehendes Familienunternehmen so erfolgreich weiterführen werde, wie es zu Beginn mein Großvater und seit geraumer Zeit mein Vater getan hat.
Julia Jabs: Ich zähle die Tage, an denen die Normalität zurückkehrt und unser Business wieder „normal“ läuft – mit uneingeschränkten Kundenbesuchen, Messen und neuen Kundeninvestitionen, um die Pandemie als „überlebt“ ad acta zu legen. Ich möchte in 30 Jahren stolz auf mich sein und sagen können: „Die Nachfolge war eine gute Entscheidung“.
Jung Präzisionsfedern Halver – SMI Handling Systeme Wetter – Themenwoche Führung
Jung Präzisionsfedern hat seit 1954 seinen Sitz in Halver. Gegründet wurde das Unternehmen 1936 in Schalksmühle unter dem Namen Theodor Jung&Sohn. Hergestellt werden Druck- Zug- und Schenkelfedern sowie Stanz- und Biegeteile für diverse Branchen.
Das Unternehmen SMI Handling Systeme wurde 1984 in Wetter an der Ruhr gegründet. Entwickelt und vertrieben werden Hebehilfen die Arbeitsabläufe in Produktion und Logistik effizienter machen und Beschäftigte körperlich entlasten.
Vom 7. bis 11. Juni veranstaltet das Kompetenzzentrums Frau und Beruf Märkische Region in Kooperation mit dem Märkischen Arbeitgeberverband, der Gesellschaft zur Wirtschafts- und Strukturförderung im MK und der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer eine Themenwoche Führung für Frauen und Männer gleichermaßen.
Informationen und Anmeldung zum Programm der Themenwoche unterwww.agenturmark.de/forum-fuehrung