Essen/Leverkusen. Leverkusen will Sitze von Firmen mit günstigem Steuersatz an den Rhein locken. Im Ruhrgebiet vermutet man hinter dem Angebot „Kannibalismus“.

Die Stadt Leverkusen schreibt gezielt Firmen auch im Revier an, um sie zur Verlegung ihres Unternehmenssitzes an den Rhein zu animieren. Die örtliche Wirtschaftsförderung lockt dabei mit einem extrem niedrigen Gewerbesteuersatz. Im Ruhrgebiet sorgt die Werbeaktion für Empörung.

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Es war im Mai des vergangenen Jahres, als die Bezirksregierung Köln der Stadt Leverkusen gestattete, ihren Gewerbesteuerhebesatz von 475 auf 250 Prozentpunkte zu senken. Nach der Gemeinde Monheim geht seither auch die erste Großstadt in NRW mit einem steuerlichen Sonderangebot auf Firmenjagd. Nun sorgt ein Brief, der unserer Redaktion vorliegt, für helle Aufregung.

„Umzug mit ganzem Betrieb nicht erforderlich“

„Wie Sie wissen, ist ein Umzug mit dem ganzen Betrieb nicht erforderlich, um in den Genuss der günstigen Gewerbesteuer zu kommen“, schreibt Markus Märtens. Der CDU-Politiker ist nicht nur Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Leverkusen, sondern auch Stadtkämmerer. Sein Rat an Unternehmen, die Steuern sparen wollen: „Je nach Aufbau der Firmen (...) gibt es die Möglichkeit, Teile des Gewerbesteueraufkommens zu verlagern, ohne den operativen Betrieb zu berühren.“

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Vor einigen Jahren war bereits der Oberhausener Chemiekonzern Oxea, heute OQ Chemicals, einem Angebot der Stadt Monheim gefolgt und hatte seinen Sitz in die steuergünstige Gemeinde am Rhein verlegt, die Produktion aber in Oberhausen belassen. Auf ein Modell dieser Art spekuliert jetzt offenbar auch Leverkusen und erntet damit heftigen Widerspruch.

Ruhrgebiet: „Dieser Kannibalismus schadet langfristig dem ganzen Land“

Markus Schlüter, Erster Beigeordneter des Regionalverbands Ruhr.
Markus Schlüter, Erster Beigeordneter des Regionalverbands Ruhr. © FUNKE Foto Services | Andre HirtzAndré Hirtz

Markus Schlüter, Geschäftsführer der Business Metropole Ruhr, wählt drastische Worte: „Das ist einfach nur dreist. Ein derartiger Abwerbeversuch innerhalb Nordrhein-Westfalens befremdet uns sehr“, sagte er unserer Redaktion. „Dieser Kannibalismus schadet langfristig dem ganzen Land, weil ein Unterbietungswettbewerb nur wenige privilegierte Gewinner kennen wird.“

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Schlüter leitet nicht nur die Revier-Wirtschaftsförderung, er ist auch Stellvertreter von Regionaldirektorin Karola Geiß-Netthöfel. „Das Angebot, Briefkastenfirmen zur Steuerersparnis im Rheinland zu eröffnen, erscheint wie aus einer Bananenrepublik“, schimpft der Geschäftsführer und nimmt die mit klammen Kassen kämpfenden Ruhrgebietsstädte in Schutz.

„Die Kommunen in der Metropole Ruhr arbeiten hart daran, ihren Unternehmen trotz der schwierigen Haushaltslage immer bessere Standortfaktoren zu bieten“, meint Schlüter und verweist auf die Vorteile des Reviers, die hiesige Unternehmen durchaus zu schätzen wüssten: viele gut ausgebildete Fachkräfte, Hochschulen und die gute Verkehrsanbindung.

Gewerbesteuer landesweit in Oberhausen am höchsten

Auch Frank Dudda (SPD), Herner Oberbürgermeister und Vorsitzender der Verbandsversammlung des Regionalverbands Ruhr, richtet den Blick nach vorn. „Mit der klimafreundlichen Neuausrichtung unserer Industrie und dem Ausbau der Internationalisierung unserer Wirtschaftsbeziehungen setzen wir auf eine starke Zukunft an der Ruhr – und nicht auf die Kannibalisierung unter Nachbarregionen“, sagt er unserer Redaktion. Unternehmen zum Standortwechsel zu bewegen, sei „nicht der Umgang, den wir innerhalb der kommunalen Familie untereinander pflegen sollten“, so Dudda.

https://www.waz.de/staedte/oberhausen/standortfaktor-gewerbesteuer-oberhausen-weiter-schlusslicht-id229532434.htmlKopfschütteln auch im Dortmunder Rathaus. „Die Aktion der Stadt Leverkusen spricht für die Ratlosigkeit, die dort ausgebrochen zu sein scheint“, sagt Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD), der bis zu seiner Wahl im Herbst die Wirtschaftsförderung in Dortmund leitete. „Steuerwettbewerb führt am Ende nur zum Verlust wichtiger öffentlicher Einnahmen für alle und nicht zu einem besseren Standort.“

Die Revierstädte führen landesweit die Hitliste der Gewerbesteuerhebesätze an: Am meisten müssen Firmen in Oberhausen (580 Prozentpunkte) an die Kommune abführen, gefolgt von Mülheim (550), Duisburg (520), Bottrop (490) und Essen (480).