Bottrop. Anwohner in Bottrop klagen gegen Arcelor-Mittal: Der Kokerei-Betreiber hatte Zielwerte für den Schadstoffausstoß überschritten.
Auf den weltgrößten Stahlkonzern Arcelor-Mittal rollt eine Klagewelle wegen des Betriebs der Kokerei in Bottrop zu. „Wir betreuen rund 100 Mandanten, die gegen den Kokerei-Betreiber Arcelor-Mittal juristisch vorgehen wollen“, sagt Rechtsanwalt Christoph Meer von der Kanzlei Kuhlmann aus Datteln. „Eine Reihe von Klagen haben wir kurz vor dem Jahreswechsel auf den Weg gebracht, weitere werden in den kommenden Monaten folgen.“ Es handele sich dabei um Unterlassungs- und Schadenersatzklagen, berichtet Meer. „Unsere Mandanten wohnen in der Nachbarschaft der Kokerei in Bottrop und leiden unter dem Betrieb der Anlage.“
Der Stahlhersteller ist bereits seit einiger Zeit wegen des Schadstoffausstoßes der konzerneigenen Kokerei in der Kritik. In den Jahren 2018 und 2019 hat Arcelor-Mittal die vorgegebenen Zielwerte für Benzo(a)pyren (BaP), das zu den krebserregenden polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen gehört, am Standort mitten im dicht besiedelten Ruhrgebiet deutlich überschritten. Als maßgebliche Ursache galten undichte Ofentüren der Anlage, die Arcelor-Mittal im Jahr 2011 vom Bergbaukonzern RAG übernommen hatte. Im Frühjahr vergangenen Jahres präsentierte die Stadt Bottrop Ergebnisse zur Belastung von Grünkohlpflanzen im Umfeld der Kokerei und sprach von „katastrophalen Ergebnissen“.
Arcelor-Mittal verweist auf Verbesserungen beim Schadstoffausstoß
Arcelor-Mittal erklärte auf eine aktuelle Anfrage unserer Redaktion, im Jahr 2020 habe die Kokerei den BaP-Zielwert eingehalten. Dies werde durch die vorliegenden Messungen des Landesumweltamts (Lanuv) bestätigt. Mit den derzeit verfügbaren Daten bis zum 13. Dezember 2020 liege der Mittelwert bei 1,1 Nanogramm pro Kubikmeter – und damit im Rahmen des Zielwerts „von gerundet einem Nanogramm“.
Wie stark die Schadstoffbelastung in den Stadtteilen nahe der Bottroper Kokerei ist, hängt stark von Wind und Wetter ab. Dies führt auch zu erheblichen Schwankungen der Ergebnisse an den Messtationen. Rechtsanwalt Meer sagt, es sei auffällig, dass die Zielwerte für Benzo[a]pyren an der Messstation des Lanuv auch im November noch an bestimmten Tagen zum Teil um ein Vielfaches überschritten worden seien. „Das spricht unserer Einschätzung nach nicht für einen reibungslosen Betrieb der Anlage“, urteilt der Anwalt. So sei am 30. November vergangenen Jahres fast das Neunfache des Zielwerts für BaP gemessen worden. Im Monat November seien es im Schnitt täglich 2,13 Nanogramm pro Kubikmeter gewesen.
Deutlich bessere Messwerte bei Thyssenkrupp und HKM
Zum Vergleich: Im Umfeld der Duisburger Kokereien gab es ähnlich hohe Schadstoffwerte nicht. Der Zielwert – ein Nanogramm pro Kubikmeter – sei in den Jahren 2018 und 2019 an den Duisburger Standorten von Thyssenkrupp und HKM eingehalten worden, berichtet die zuständige Bezirksregierung Düsseldorf. Mit Blick auf Bottrop vermutet Rechtsanwalt Meer Versäumnisse des Betreiberkonzerns. „Dass es zu derart starken Überschreitungen der Zielwerte für den Schadstoffausstoß kam, legt den Verdacht nahe, dass Arcelor-Mittal jahrelang zu wenig am Standort Bottrop investiert hat“, sagt der Jurist.
Als Aufsichtsbehörde der Kokerei Bottrop hatte die Bezirksregierung Münster schon vor Monaten Druck gemacht und Verbesserungen beim Schadstoffausstoß angemahnt. Arcelor-Mittal betont, seit 2018 habe der Konzern mehr als 20 Millionen Euro in der Kokerei investiert und damit die Umweltbilanz deutlich verbessert. Auch der NRW-Landtag hat sich bereits mit der Situation in Bottrop befasst. NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) erklärte in einer Antwort auf eine Landtagsanfrage von SPD-Abgeordneten: „Eine Schließung der Kokerei kann aufgrund einer Zielwertüberschreitung nicht gefordert werden.“
Klagen über Wertverluste von Immobilien und gesundheitliche Beeinträchtigungen
Neben der Schadstoffbelastung klagen Anwohner in Bottrop auch über Schmutz, der nach Darstellung der Kanzlei Kuhlmann durch die Kokerei entsteht. Er gehe davon aus, dass rund 16.000 Menschen rund um den Standort von Arcelor-Mittal von Beeinträchtigungen im Alltag aufgrund des Betriebs der Anlage betroffen seien, sagt Rechtsanwalt Meer. „Die entstandenen Schäden sind unterschiedlich“, erzählt er. „Sie reichen von Kratzern am Auto durch Kokspartikel über Wertverluste von Immobilien und Grundstücken bis zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen.“ Angesichts der vorliegenden Messergebnisse zur Schadstoffbelastung von Grünkohlpflanzen im Umfeld der Kokerei sei es den Anwohnern nicht möglich, „Obst und Gemüse aus Gärten rund um die Kokerei bedenkenlos zu essen“.
Im Ringen um Schadenersatz hat die Kanzlei Feststellungsklagen für ihre Mandanten eingereicht. „Das heißt: Wir nennen keine bestimmte Summe, sondern möchten den individuellen Schaden Fall für Fall festgestellt wissen, etwa durch entsprechende Gutachten“, erklärt Meer. Der Jurist sieht seine Argumentation durch eine Entscheidung des Landgerichts Essen aus dem März 2020 gestützt. Die Richter urteilten unter Androhung eines Ordnungsgeldes, der Kokerei-Betreiber müsse verhindern, dass bestimmte koks- oder kohlehaltige Partikel auf das benachbarte Grundstück eines Klägers gelangen.
Arcelor-Mittal legt nach Urteil des Landgerichts Essen Berufung ein
Arcelor-Mittal hat in diesem Fall eigenen Angaben zufolge Berufung beim Oberlandesgericht Hamm eingelegt. Damit ist die Entscheidung des Landgerichts Essen nicht rechtskräftig. „Der Grenzwert für Staubniederschlag wird im Umfeld der Kokerei eingehalten und insoweit werden die gesetzlichen Vorgaben erfüllt“, betont das Unternehmen. Vor einigen Monaten hat Arcelor-Mittal zwar noch „Verbesserungsbedarf“ in Bottrop eingeräumt, in einer aktuellen Reaktion auf die Vorwürfe der Kanzlei Kuhlmann betont das Unternehmen indes, es gebe „keine begründeten Unterlassungs- oder Schadenersatzansprüche wegen des Betriebs der Anlage“.
Rechtsanwalt Meer wartet nun auf die ersten Verhandlungstermine in Sachen Arcelor-Mittal. „Aufgrund der Corona-Pandemie kommt es derzeit an den Gerichten zu Verzögerungen“, sagt er. „Gleichwohl hoffen wir, dass es möglichst bald erste Verhandlungen zu den Klagen unserer Mandanten geben kann.“