Essen. Welche Branchen die Corona-Krise besonders trifft und welche nicht: Adecco-Analyse des Stellenmarkts im Ruhrgebiet zeigt Pandemie-Folgen auf.
Die Corona-Krise forciert den Wandel des Ruhrgebiets von der Industrieregion zur Dienstleistungsmetropole mit dem Schwerpunkt Gesundheit und Pflege. Das ergab eine Regionalstudie des Personalvermittlers Adecco für unsere Redaktion. Er hat mehr als 85.000 Stellenausschreibungen in den Revierstädten Duisburg, Mülheim, Essen, Bochum, Bottrop und Dortmund der vergangenen zwölf Monate ausgewertet. Und stellt dabei sehr unterschiedliche Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die einzelnen Branchen fest.
Der große Einbruch in fast allen Branchen kam natürlich mit dem harten Lockdown im April, als Geschäfte und Restaurants schließen mussten und die Industrie ihre Produktion herunterfuhr. Den Daten des Personaldienstleisters zufolge hat sich die Anzahl der Ausschreibungen seitdem wieder etwas erholt, allerdings liegen die aktuellen Stellenangebote nach wie vor deutlich unter dem Niveau aus dem vergangenen Herbst. Besorgnis erregend ist die jüngste Tendenz: „Mit der wieder etwas angespannteren Situation im Rahmen der Corona-Pandemie sank im September 2020 auch die Zahl der Stellenangebote wieder“, heißt es in der exklusiven Ruhrgebiets-Analyse.
Corona verschärft Fachkräftemangel in Pflegeberufen
Als einzige Branche hat das Gesundheits- und Sozialwesen selbst in der harten Corona-Phase im Frühjahr dem allgemeinen Trend getrotzt: Kliniken und Heime suchten in allen Revierstädten mehr Verstärkung als ein Jahr zuvor. Zwar sackte auch hier im April das Jobangebot kurzzeitig ab, liegt seit Mai in fast allen Städten aber wieder teils deutlich über den Vorjahreswerten, nur Mülheim drückt den Revierschnitt. Besonders ausgeprägt ist dieser Trend im östlichen Ruhrgebiet: In Dortmund und Bochum waren im Mai je rund 270 Stellen im Gesundheits- und Pflegebereich ausgeschrieben – etwa 70 Prozent mehr als im Herbst 2019. Auch im September meldeten die Arbeitgeber noch mehr offene Stellen als vor Jahresfrist.
Der Gesundheitsmarkt ist seit einigen Jahren der größte Arbeitgeber im Ruhrgebiet und hat mit rund 350.000 Beschäftigten die Industrie längst überholt. Die andere Seite dieser Medaille: „Der Fachkräftemangel in der Pflege war schon vor der Corona-Pandemie ein Riesen-Thema und er hat sich in der Krise weiter manifestiert“, erklärt Markus Lahrmann, Sprecher der Caritas in NRW, dem größten Arbeitgeber in der Pflege. Gerade in den Altenheimen sei das Personal besonders gefordert und auch selbst gefährdet gewesen. Dass sich einige Beschäftigte selbst infiziert haben, nach Kontakten in Quarantäne oder während der Kita-Schließungen ihre Kinder betreuen mussten, habe den Personalbedarf weiter erhöht, was die steigenden Stellenangebote erkläre.
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Dagegen brach der Stellenmarkt im Handel und in der Gastronomie drastisch ein. Im westlichen Ruhrgebiet leidet der Handel ganz besonders und erholt sich auch kaum – in Duisburg und Mülheim wurden noch im September rund 60 Prozent weniger Jobs angeboten als im Oktober 2019. In Essen sind aktuell mit 170 Jobs im Handel nur halb so viele Stellen ausgeschrieben wie vor einem Jahr. In Bottrop verzeichnet Adecco mit zuletzt 92 offenen Stellen den heftigsten Einbruch – vor einem Jahr waren es dort noch 231.
Gastronomie stellt fast gar nicht mehr ein
Der Handelsverband NRW betont große Unterschiede auch zwischen den einzelnen Bereichen des Einzelhandels, einige hätten auch in diesem Jahr noch neue Jobs geschaffen. „Andere aber leiden nach wie vor und bewegen sich, was Umsatzzahlen und Kundenfrequenzen angeht, auf teils deutlich geringerem Niveau als im Vorjahreszeitraum“, sagt Verbandssprecherin Carina Peretzke. Entsprechend vorsichtig sei man hier mit Neueinstellungen.
Die Gastronomie hat ihre Personalsuche im gesamten Ruhrgebiet praktisch eingestellt, in ganz Bochum etwa hat Adecco im September nur zwei Jobs gefunden, in den anderen Städten ist es ähnlich. Die Wirte blicken mit größter Sorge auf die kalte Jahreszeit und müssen im Herbst und Winter mit dramatischen Umsatzeinbußen rechnen, weil die Gäste ihre Innenräume nach wie vor meiden. Während im Sommer die oft vergrößerten Außenbereiche noch vieles kompensieren konnten, wurden etwa für die Adventszeit neun von zehn Weihnachtsfeiern abgesagt. Statt um Nachwuchs kämpfen Restaurants und Hotels ums Überleben, ihr Verband Dehoga befürchtet Tausende Pleiten in NRW.
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Der drittgrößte Arbeitgeber bleibt die breit gefasste Branche Industrie und Technik, die sowohl Arbeitsplätze in der Industrie erfasst als auch Projektleiter, Bauingenieure, Architekten oder Außendienstler. Auch hier hat die Corona-Krise deutliche Spuren hinterlassen, anders als in den akut vom Lockdown betroffenen Branchen Handel und Gastronomie bricht in der Industrie der Stellenmarkt aber vor allem jetzt zum Herbst hin ein. Viele Mittelständler gerade im exportabhängigen produzierenden Gewerbe haben ihre im Frühjahr noch vollen Auftragsbücher offenbar abgearbeitet und sorgen sich nun vor einer längeren Flaute aufgrund der weltweiten Rezession.
85.000 Stellenanzeigen ausgewertet
Insgesamt fand Adecco in Mülheim noch die meisten offenen Stellen, 20.400 in den vergangenen zwölf Monaten. In den bevölkerungsreichsten Ruhrgebietsstädten Essen (15.200) und Dortmund (13.700) gab es deutlich weniger Stellenanzeigen. Die Zahlen sind aussagekräftig, sie liegen deutlich über denen der Bundesagentur für Arbeit, weil längst nicht jede Stelle über die staatliche Arbeitsvermittlung angeboten wird, sondern häufig nur über Onlineportale.
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Für die Ruhrgebietsstudie wertete Adecco Stellenausschreibungen in 21 Branchen aus – insgesamt kamen übers Jahr gut 85.000 Anzeigen in den sechs Revierstädten zusammen. „Die Analyse zeigt, dass alle Branchen unter der Pandemie leiden. Den Schwerpunkt der Ausschreibungen bilden für die sechs Städte aber weiterhin die Branchen Handel, Gesundheit- und Soziales sowie Industrie und Technik“, sagt Philipp Schmitz-Waters, Sprecher der Adecco Group Deutschland.