Essen. Verlust blieb im dritten Quartal deutlich unter der befürchteten Milliarde. Stahl verbrennt in der Corona-Krise am meisten Geld, Aktie stürzt ab.
Die Corona-Krise macht dem angeschlagenen Industriekonzern Thyssenkrupp weiter schwer zu schaffen, doch das von der Pandemie gezeichnete Quartal von April bis Juni war weniger verlustreich als befürchtet. Noch vor vier Wochen bereitete der Konzernvorstand die eigenen Mitarbeiter in einem Brief auf einen operativen Verlust (Ebit) von „bis zu einer Milliarde Euro“ vor. Tatsächlich betrug das Minus im dritten Quartal des bis Ende September laufenden Geschäftsjahres „nur“ 679 Millionen Euro. Damit lag es zumindest etwas unter den eigenen Befürchtungen.
Den anderen Zahlen war jedoch wenig Gutes abzugewinnen: Der Umsatz aus den fortgeführten Aktivitäten brach um ein gutes Drittel auf 5,7 Milliarden Euro ein. Weil die Kosten nicht annähernd im gleichen Maße sinken, verbrennt der Konzern sehr viel Geld: In den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres flossen 3,4 Milliarden Euro ab. Diese dramatische Entwicklung des so genannten freien Cashflows quittierte die Börse mit heftigen Abschlägen: die im MDax notierte Thyssenkrupp-Aktie brach bis zum Nachmittag in einem ansonsten stabilen Markt um rund 16 Prozent ein.
„Wir haben hart gearbeitet, um die Kosten kontrolliert zu halten und die Liquidität zu sichern. Damit sind wir im dritten Quartal insgesamt etwas besser durch die Krise gekommen als anfangs befürchtet“, sagte Konzernchefin Martina Merz. Verantwortlich für die Verluste zu Corona-Zeiten ist die weltweit eingebrochene Nachfrage für Stahl, Autoteile und Industrieanlagen. Die Rezession der Weltwirtschaft trifft alle Sparten des Industriekonzerns. Wegen der europaweiten Schließung fast aller Werke der Autoindustrie litten dieses Zulieferer-Geschäft von Thyssenkrupp und der Stahl besonders – beide verzeichneten einen Umsatzrückgang von je 38 Prozent. Der Auftragseingang brach im Stahl sogar um mehr als die Hälfte ein.
Weltweite Rezession belastet Thyssenkrupp
Für das laufende vierte Quartal erwartet der Konzern nicht mehr als eine Stabilisierung der Geschäfte im Vergleich zum Corona-Quartal, was unterm Strich erneut Verluste in dreistelliger Millionenhöhe bedeutet. Für das Gesamtjahr summiert sich der operative Verlust dann auf 1,7 bis 1,9 Milliarden Euro, wobei der Stahl mit „bis zu einer Milliarde Euro“ den größten Teil davon verursacht. In den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres hat sich bei Thyssenkrupp Steel Europe ein operativer Verlust (bereinigtes Ebit) von mehr als 700 Millionen Euro aufgetürmt.
Dem Management ist der Blick nach vorn freilich wichtiger als der zurück – zumal es mit den gerade geflossenen 17,2 Milliarden Euro aus dem Verkauf der Aufzugssparte Elevator wieder Gestaltungsspielräume gewonnen hat. Neben Schuldenabbau und Investitionen stehen auch harte Restrukturierungen an. „Mit den Erlösen aus dem Aufzugsgeschäft können wir diese überfälligen Maßnahmen endlich konsequent angehen“, kündigte Merz an.
Keysberg: Liegen im Stahl hinter Wettbewerbern zurück
Weil der Spielraum durch die Folgen der Pandemie deutlich kleiner geworden ist und mit jedem Monat schwacher Auftragseingänge weiter schrumpft, schauen die Beschäftigten der einzelnen Geschäftsbereiche nun bei jeder Investitionsentscheidung genau hin. Vergangene Woche gab die Stahlsparte den Start ihrer im Frühjahr vereinbarten Modernisierungsoffensive bekannt – mit dem Bau eines modernen Hubbalkenofens am Duisburger Warmband, womit die Qualität der Autobleche gesteigert werden soll.
Ob es trotz der Corona-Krise bei der im Zukunftstarifvertrag 20/30 vereinbarten Investitionssumme von vier Milliarden Euro binnen sechs Jahren bleiben werde, beantwortete Finanzchef Klaus Keysberg so: „In die Verbesserung der Qualität von Autoblechen oder Elektrostählen zu investieren, ist das richtige Konzept.“ Das gelte „in allen Konstellationen“, sagte Keysberg auf die Frage, ob bei einem möglichen Verkauf der Mehrheit am Stahl der neue Besitzer diese Investitionszusagen übernehmen müsse. Denn Keysberg räumte ein, dass Thyssenkrupp im Stahl „bei der Performance unter unseren Wettbewerbern“ liege.
Neues Werk für Windrad-Lager in China
Keysberg gab zudem bekannt, Thyssenkrupp werde ein neues Großwälzlager in China bauen – für einen „mittleren zweistelligen Millionenbetrag“. Hersteller Rothe Erde gehört zu den wenigen verbliebenen Ertragsperlen des schrumpfenden Traditionskonzerns, die Thyssenkrupp-Tochter mit 7500 Beschäftigten ist vor allem mit Großwälzlagern erfolgreich, die in Windkraftanlagen, Tunnelbohrern oder Kränen benötigt werden. In China boomt derzeit vor allem der Ausbau sehr großer Windräder, deshalb will Thyssenkrupp nun vor Ort überdimensionale Großwälzlager bauen.
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Industriekomponenten wie diese zählt der Vorstand wie den Werkstoffhandel zu den Geschäften, die man weiter allein betreiben will. Dagegen sollen die „Multitracks“ genannten Segmente Grobblech, Anlagenbau, Bautechnik und das Edelstahlwerk im italienischen Terni mit insgesamt 20.000 Beschäftigten verkauft oder geschlossen werden. Für den Stahl und die Marine werden Partner gesucht, Konzernchefin Martina Merz hält sich hier alle Optionen offen. Das Autozuliefergeschäft soll im Konzern bleiben, womöglich aber mit Partnern.
Wie Thyssenkrupp seine Bilanz ehrlicher machen will
Finanzchef Klaus Keysberg bereitete bei der Bilanzvorlage die Finanzmärkte bereits auf einen heftigen Einmaleffekt im laufenden Schlussquartal vor, der die Bilanzen künftig ehrlicher machen soll: Der so genannte Cashflow werde um 2,5 Milliarden Euro belastet, kündigte er an. Diese Kennziffer gibt die Differenz der tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben an – und war bei Thyssenkrupp zuletzt meist stark negativ. Im vergangenen Geschäftsjahr 2018/29 flossen 1,2 Milliarden Euro aus dem Unternehmen ab. In diesem Jahr will Thyssenkrupp die Einnahmen aus dem Verkauf der Aufzugssparte auch dazu nutzen, den Cashflow langfristig zu stabilisieren.
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Dafür will Keysberg künftig auf einen in börsennotierten Konzernen gängigen Bilanztrick weitgehend verzichten. Um den Cashflow in der Jahresbilanz nicht ganz so dramatisch aussehen zu lassen, setzte Thyssenkrupp jeweils zum Ende des Geschäftsjahres verstärkt auf Forderungsverkäufe. Dabei werden eigene Rechnungen an Kunden, die diese noch nicht bezahlt haben, zu einem geringeren Wert weiterverkauft. Der Vorteil: Es fließt sofort Geld in die Kasse, das verbessert im Wortsinn den Cashflow. Großer Nachteil: Unterm Strich gehen Einnahmen verloren. Und immer im ersten Quartal des neuen Geschäftsjahres schlägt das Pendel zurück, weil die vorgezogenen Einnahmen dann fehlen. In diesem Jahr etwa flossen in den ersten drei Monaten 2,47 Milliarden Euro weniger in die Konzernkasse als ausgegeben wurde.
Thyssenkrupp verbrennt auch in diesem Jahr Milliarden
„Durch die Normalisierung des Umlaufvermögens werden die Quartale besser vergleichbar“, kündigte Keysberg an, „wir schaffen damit mehr Transparenz und vergrößern die Berechenbarkeit unserer Prognose.“ Der freie Cashflow vor Sondereinflüssen wird durch die Bereinigung in diesem Geschäftsjahr insgesamt extrem hohe fünf bis sechs Milliarden Euro betragen. Die 17 Milliarden aus dem Elevator-Verkauf werden sowohl den Cashflow als auch den Nettogewinn des Konzerns unterm Strich natürlich ins Positive heben, was aber nichts über das laufende Geschäft aussagt.