Essen. Privatversicherer werben mit Sonderaktion um freiwillig gesetzlich versicherte Beamte. Das NRW-Finanzministerium verteilt nun die Werbebroschüre.
Das Landesfinanzministerium hat mit einer Empfehlung, gesetzlich versicherte Beamte auf eine Wechselmöglichkeit in die Privatversicherung hinzuweisen, die gesetzlichen Kassen schwer verärgert. Für „große Empörung und Unverständnis“ sorgt das fragliche Ministeriumsschreiben etwa bei Dirk Janssen, dem Vizechef des BKK-Landesverbands Nordwest. Er fordert von der Landesregierung „strikte Neutralität“. Günter Wältermann, Chef der AOK Rheinland/Hamburg, zeigte sich „überrascht und verwundert“.
Jeder vierte der rund neun Millionen privat Krankenversicherten in Deutschland ist Beamter. Die Staatsdiener sind als ihre größte Versichertengruppe von existenzieller Bedeutung für die PKV. Dafür, dass rund 85 Prozent der Beamtinnen und Beamten sich privat krankenversichern, sorgt der Staat mit seinen Beihilferegelungen. Denn die meisten Bundesländer bezuschussen nur eine private, nicht aber die gesetzlichen Krankenversicherung. So auch NRW.
Betroffene zahlen auch den Arbeitgeberanteil
Wer sich freiwillig gesetzlich versichert, in NRW sind das mehr als 30.000 Staatsdiener, zahlt daher den vollen Kassenbeitrag samt Arbeitgeberanteil. Das ist in der Regel teurer als der PKV-Tarif mit Beihilfe, der freilich im Alter meist deutlich steigt. Ein Wechsel in die Private war ihnen nicht mehr möglich, wenn bestimmte Fristen verpasst wurden. Nun weist das NRW-Finanzressort auf eine „Sonderöffnungsaktion der Privaten Krankenversicherung“ von Oktober bis März hin – und bittet alle Ministerien, die Beamten in ihrem Bereich darüber zu informieren. Aus Schulen ist zu hören, dass die vom Ministerium angehängte Werbebroschüre der PKV unter dem Lehrpersonal verteilt wird, teils nebst Ministeriumsschreiben.
Das Haus von Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU) wirbt darin mit den Vorteilen eines Wechsels: Gesetzlich versicherten Beamten könnten demnach erleichtert in die PKV aufgenommen werden, Antragsteller aus Risikogründen würden nicht wie sonst üblich abgelehnt, auch gebe es keine Leistungsausschlüsse bei Vorerkrankungen. Die Risikozuschläge, die Privatkassen etwa bei Chronikern erheben, seien auf „maximal 30 Prozent“ begrenzt, wirbt das Ministerium. Insbesondere Beamte mit Vorerkrankungen und Behinderungen könnten davon profitieren, betont das Finanzministerium auf Anfrage unserer Redaktion. Sie wolle man „aus Fürsorgegründen“ über die Wechselmöglichkeit informieren, um ihre „freien Entscheidungsmöglichkeiten“ zu erweitern.
Empfehlung auch für Auslandsreise-Versicherung
Das Ministerium möchte aber offenbar auch den angehenden Beamten die PKV ans Herz legen. Um künftig das Versäumen von Wechselfristen zu vermeiden, „bitte ich darum, dauerhaft auf die Öffnungsaktionen der PKV hinzuweisen“, heißt es in dem Schreiben. Das gelte „insbesondere bei Zusagen auf Verbeamtungen“. Dabei solle dem Nachwuchs auch gleich „der Abschluss einer Auslandsreisekrankenversicherung empfohlen werden“.
Mehrdad Mostofizadeh, Fraktionsvize der Grünen im Landtag, nennt das Rundschreiben des Finanzministeriums „eine merkwürdige Werbeaktion für die Private Krankenversicherung“. Dirk Janssen vom Landesverband Nordwest der Betriebskrankenkassen (BKK) fordert die Landesregierung auf, „diesen unsäglichen Unfug sofort zu beenden und künftig strikte Neutralität zu gewährleisten“, wie er unserer Redaktion sagte.
Die Corona-Kosten
BKK-Manager Dirk Janssen fragt sich, warum NRW ausgerechnet jetzt „die Werbetrommel für die PKV rührt“, während die GKV die Kosten der Corona-Krise größtenteils allein trage.
NRW solle sich lieber im Bund für „eine faire Lastenbeteiligung bei der Finanzierung der Corona-Pandemie“ einsetzen. Denn die gesetzlichen Kassen finanzierten die Rettungsschirme etwa für die Kliniken großteils allein, während die Privaten sogar von sinkenden Behandlungskosten zu Corona-Zeiten profitierten.
Der Steuerzuschuss des Bundes für die Coronakosten von 3,5 Milliarden Euro decke nicht einmal die Hälfte der tatsächlichen Kosten, so Janssen.
Der Wettbewerb mit der PKV gehöre für die AOK Rheinland/Hamburg zum Alltag, gibt sich Kassenchef Günter Wältermann gelassen, „wir nehmen die Aufforderung des Landesfinanzministeriums an alle Ministerien, gesetzlich versicherte Beamte ausschließlich auf die Sonderöffnungsaktion der PKV hinzuweisen, sportlich.“ Allerdings würde er sich freuen, wenn „das Ministerium im Gegenzug auch aktiv für die GKV werben würde.“
Tatsächlich ist nicht in allen Bundesländern die Privatversicherung das System der Wahl für den Staat. Zuerst weitete Hamburg 2018 die Beihilfe für angehende und bereits gesetzlich versicherte Beamte auf die GKV aus, bisher zogen vier Länder nach. Die Erklärung des NRW-Finanzministeriums, den gesetzlich versicherten Beamten „die Wahlmöglichkeit eröffnen“ zu wollen, zieht bei Kritikern deshalb nicht. „Eigentlich ist es überfällig, dass in NRW wie in Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg oder Thüringen den Beamten auch der geregelte Zugang zu Gesetzlichen Krankenversicherungen ermöglicht wird“, fordert AOK-Manager Wältermann. „So entsteht wirkliche Wahlfreiheit zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung.“
Grüne fordern Beihilfe auch für GKV
Mehrdad Mostofizadeh, Fraktionsvize der Grünen im Landtag, hat genau das 2019 beantragt, die schwarz-gelbe Mehrheit im Landtag lehnte das ab. Er würde sich wünschen, „dass sich Beamte in NRW ohne Benachteiligung auch gesetzlich versichern können“. Wegen der fehlenden Beihilfe hätten sie diese Wahl bisher faktisch nicht. Die vom Finanzministerium genannte „Wahlfreiheit“ meine dagegen, „dass alle in die PKV sollen“, so Mostofizadeh. Der grüne Gesundheitsexperte warnt vor allem chronisch Kranke vor den hohen Zusatzkosten in der Privaten Versicherung, die mit dem Alter weiter steigen würden.
Gerade weil Versicherte mit Vorerkrankungen ihrer Kasse überdurchschnittliche Kosten verursachen, kann das Finanzministerium die Kritik aus finanzieller Sicht nicht nachvollziehen: Mit den Öffnungsaktionen der Privaten für Beamte aus Risikogruppen könne „im Übrigen eine Entlastung der GKV eintreten“, erklärte das Ministerium auf Anfrage. Denn die solidarisch finanzierte GKV könne anders als die PKV nicht die „Versicherung von Beamten mit Vorerkrankungen und Behinderungen ablehnen oder kündigen“. Im Klartext: Beamte mit Vorerkrankungen, die nun in die PKV wechseln, würden den gesetzlichen Kassen Kosten ersparen.