Essen. Seit der Umstellung auf ein AOK-System kämpft die Knappschaft mit Riesen-IT-Problemen. Hunderttausende Anliegen der Versicherten blieben liegen.

Die Bochumer Knappschaft-Krankenkasse hat massive technische Probleme nach einer Umstellung der Kassen-IT auf eine AOK-Software. Versicherte müssen wochen- und monatelang auf Antworten warten, wie die Knappschaft einräumt. Das System laufe erst seit Mitte Juni reibungslos, nun sei man dabei, den riesigen Berg unbearbeiteter Anliegen abzuarbeiten, hieß es auf Anfrage unserer Redaktion. Betroffen sei besonders die Pflegeversicherung.

Was das für die Versicherten im Ernstfall bedeuten kann, schildert ein Leser unserer Zeitung aus Mülheim: Seine Frau sei schwer erkrankt, sagt er, zu Jahresbeginn habe sich ihr Zustand verschlechtert. Im März habe er deshalb einen Antrag auf Pflegeleistungen gestellt, zunächst für eine Haushaltshilfe. „Bis heute habe ich keine Antwort von der Knappschaft erhalten“, sagt er. Bei der Beschwerdestelle habe man ihm von großen Problemen mit einem neuen Computerprogramm berichtet, zurzeit komme man in den Hotlines kaum noch durch.

Neues AOK-System lief ein halbes Jahr nicht rund

Wenn Versicherte über ihre Kassen schimpfen, spielen die das in der Regel als bedauerlichen Einzelfall herunter – die Knappschaft nicht. Sie räumt offen „riesige Probleme“ ein, entschuldigt sich dafür und bittet ihre knapp 1,6 Millionen Versicherten, von denen viele im Ruhrgebiet leben, um Verständnis und Geduld. Die Umstellung auf das neue IT-System habe ein halbes Jahr lang zu „erheblichen Verzögerungen“ in der Bearbeitung geführt, erst seit Mitte Juni laufe „Oscare“ ordentlich, sagt ein Knappschafts-Sprecher. Das AOK-System habe vor allem in der Dokumentenverwaltung einiges durcheinandergebracht.

Die Übermittlung der rund 16 Milliarden Datensätze aus dem alten Knappschafts-System hat laut AOK Systems noch reibungslos funktioniert. Das Chaos begann mit der Anwendung des neu entwickelten Programms „Document Services“. Die Knappschaft setzte es als erste Kasse überhaupt ein – der Versuch in Echtzeit ging offenbar gründlich schief. Die neuartige elektro­nischen Versichertenakte sollte die Bearbeitung der Kundenanliegen vereinfachen, das Gegenteil war zunächst der Fall. „Es sind keine Anträge abhanden gekommen, aber häufig an die falsche Stelle gelangt“, sagt der Knappschafts-Sprecher. Nun arbeite man „mit Hochdruck“ und unter Anhäufung zahlreicher Überstunden daran, die Rückstände aufzuholen. AOK Systems hat auf unsere Fragen bisher nicht reagiert.

Berg von 740.000 unbearbeiteten Aufgaben

Das wird freilich noch „einige Monate“ dauern, wie die aus dem Bergbau entstandene Traditionskasse einräumt. Bis zum Frühjahr hatte sich ein Berg von mehr als einer Million unbearbeiteter Aufgaben aufgetürmt. Aktuell sind es noch 740.000, so die Knappschaft, wobei sie betont, dass diese „work items“ einzelne Bearbeitungsschritte bezeichnen und ein Anliegen aus mehreren dieser Schritte bestehen könne. Um den Berg anzutragen, hat die gesetzliche Kranken- und Pflegekasse auch Zeitarbeiter eingestellt, die einfache oder nicht gesundheitsrelevante Anliegen bearbeiten, etwa Bonuszahlungen für gesundheitsbewusstes Verhalten.

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Die Knappschaft Bahn See ist ein Verbund aus einer Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, die 14 eigene Krankenhäuser und neun Reha-Kliniken betreibt. Unter dem 760 Jahre alten Dach der Bergmannskasse ist seit 2003 auch die Minijob-Zentrale in Bochum angesiedelt ist. Als Krankenkasse gehört die inzwischen bundesweit für alle Berufsgruppen geöffnete Knappschaft mit ihren 1,57 Millionen Versicherten zu den größten gesetzlichen Versicherern. Auch ihnen setzt die Corona-Krise aktuell insofern zu, dass Milliarden an Einnahmen wegbrechen durch Kurzarbeit und gleichzeitig die Kosten steigen.