Rheinberg. Der Versandriese Amazon öffnet sein Logistikzentrum in Rheinberg für Besucher. Nicht alle Mitarbeiter freuen sich darüber, viele streiken wieder.
Seit Anfang des Jahres erlaubt Amazon den Besuch des riesigen „Fullfillment Centers“ in Rheinberg, vor einigen Wochen luden ganze Anzeigenseiten in der überregionalen Presse zum Besuch ein, gleichzeitig zeichneten aufwendig gemachte TV-Werbespots das Bild einer glücklichen Betriebsfamilie von Amazon-Mitarbeitern in den Warenverteillagern. Zeit für einen Ortstermin.
Am Metallzaun flattert unerwartet für die Besucher ein Streikplakat der Gewerkschaft Verdi an diesem Novembermorgen, Adresse: Amazonstraße 1, Rheinberg. Hinter den sechs Drehkreuzen: eine Amazon-Packstation „Bei Amazon bestellen, hier abholen“. So könnten die bis zu 1700 Mitarbeiter Lieferungen an sich selbst, die sie gerade auf den Weg gebracht haben, am Ende der Schicht hier im tristen Eingangsbereich abholen. An der Decke des Käfiggangs flattern Dutzende unterschiedliche Nationalitätenwimpel aus aller Welt im Wind. Wenn man weiß, wo es liegt, kann man von hier aus die Römerstraße 8 sehen: das Streiklokal von Verdi.
Verdi kämpft seit 2014 um Tarif
Nach der Amazon-Betriebsversammlung am Tag zuvor hat die Gewerkschaft ab 20.30 Uhr zum Warnstreik für die Nachtschicht und den folgenden Tag bis 23 Uhr aufgerufen. Bereits seit 2014 kämpft Verdi um die Einführung des Einzelhandels-Tarifvertrags im „FC“ abgekürzten Fullfillment Center. Amazon ist nicht tarifgebunden und lehnt sich bei der Bezahlung an den niedrigeren Tarif in der Logistik an. Streiktage in den stressigen Vorweihnachtswochen, in denen es rund 250 Aushilfskräfte, aber keine Führungen mehr gibt, sollen den Online-Versender durch Auslieferungsverzögerungen treffen. Tun sie aber nicht, entgegnet Amazon stets. Zumindest stauen sich um das „FC“ sichtbar nicht entladene Sattelschlepper.
Hinter dem tristen Eingangsbereich wird es für die 21 Amazon-Besucher, überwiegend Männer im Mittelalter, der Vormittagsgruppe etwas gemütlicher. Ein sehr professionell gemachter, emotional ansprechender Imagefilm über die große integrative Amazon-Familie läuft in Endlosschleife über den Bildschirm. Kurze Einführung, gelbe Warnweste über und Kopfhörer auf, Handy erlaubt, Fotografieren verboten, los geht es durch die Security in die erste von vielen Hallen mit einer Fläche von über 100.000 Quadratmetern, in der beliebten Fußball-Analogie größer als 15 Fußballfelder. In dem neonbeleuchteten Betongrau ist schwarz-gelb die vorherrschende Farbkombination, als Entschädigung dürfen Fußballfans anderer Farben ihre Arbeitsstation Schalke, Duisburg oder Mönchengladbach taufen.
Streiklokal mit Mettbrötchen
„Nicht beliebt, bestenfalls belächelt“ seien die Führungen bei den Mitarbeitern, erzählt Versandmitarbeiter Torsten Abel (40) im Streiklokal. 450 Mitarbeiter tragen sich laut Gewerkschaftsauskunft im Nebenzimmer der Gaststätte Zur Schopsbröck, klassisch Zwiebel-Mettbrötchen auf der Theke, in die Streiklisten ein. Eine konstante Zahl, fast 1000 der knapp 1500 Festangestellten seien gewerkschaftlich organisiert, sagt Verdi-Bezirksleiter Tim Schmidt. Bis 2015 war der 49-Jährige erster Vorsitzender des 2013 gegründeten Amazon-Betriebsrates. „Es wird bei den Führungen die heile Amazon-Welt gespielt.“ Man werde keine Ecke sehen, in der Mitarbeiter Verdi-Shirts tragen.
Auf der halbstündigen Führung sieht man dagegen, dass fast ausnahmslos alle die gleichen blauen Schuhe mit roten Schnürsenkeln tragen. Muss man aber nicht, versichert der Guide auf Nachfrage. Sein Ton ist nüchtern, er weicht keiner Frage aus und nie bekommt der Besucher bei seinen Erläuterungen das Gefühl, er solle manipuliert werden oder Mitarbeiter würden vorgeführt. Sprechen kann man jedoch mit ihnen nicht. Wie viele Pakete an der Einpackstation ein Mitarbeiter bewältigen muss? Schnell sind es 100, in der Stunde. Zuschläge auf den Lohn? Gibt es bis zu zehn Prozent bei einem geringen individuellen Krankenstand und einer guten Betriebsleistung aller.
Angeblich werden Streikende von attraktiven Stellen ausgeschlossen
Streikende würden bei der Vergabe attraktiver Aufgaben im „FC“ benachteiligt, sagen Streikende im Lokal, beweisen ließe sich das aber so einfach nicht. Für Tim Schmidt liegt auf der Hand, dass die neuen Betriebsführungen von Amazon eine Reaktion „auf unseren Druck sind“. Die Führungen in Rheinberg, an denen laut Amazon-Guide bis Jahresende rund 5500 Menschen teilgenommen haben, sowie an drei anderen Standorten seit Anfang des Jahres seien „keine Reaktion auf Verdi“, sagt die Amazon-Pressestelle. Seit 2016 sei bereits der Besuch anderer Center in Deutschland möglich gewesen. Aber man wolle mit dem Thema einfach offensiver umgehen.
Infos unter amazon.de/touren