Essen. RWE-Chef Schmitz baut auf Hilfe der Regierung beim Anpassungsgeld für Braunkohle-Frührentner. Im Interview sagt er auch, was er von Greta hält.

Mit seinen Braunkohle-Kraftwerken im Rheinland ist RWE ein rotes Tuch für Klimaschützer. Nun setzt der Essener Energiekonzern auf eine grüne Zukunft mit Ökostrom. Wie das gehen soll, warum Deutschland sich bei der Energiewende selbst im Wege steht und was er von Greta hält, sagt RWE-Chef Rolf Martin Schmitz im Interview mit Andreas Tyrock, Ulf Meinke und Stefan Schulte.

Vor wenigen Tagen haben Sie die „Ära der neuen RWE“ ausgerufen. Klingt revolutionär, ist es das auch?

Schmitz: Für RWE ist das revolutionär, weil sich das Unternehmen vollkommen ändert. Wir sind jetzt auf einen Schlag einer der globalen Marktführer bei Erneuerbaren Energien, weil wir diesen Bereich von Eon und Innogy übernehmen. Unser Ergebnis aus erneuerbaren Energien ist jetzt etwa dreimal so groß wie das aus konventionellen Energien. Wir wollen weiter wachsen und stellen dafür jährlich 1,5 Milliarden Euro netto für Investitionen in Erneuerbare und Speicher bereit.

Sie sind der „Lieblingsfeind“ von Fridays for Future, gelten als größter Klimakiller. Wer soll einem Unternehmen, das so stark von Braunkohle und Atomkraft geprägt worden ist, den Wandel zum Ökostromkonzern abnehmen?

Schmitz: Das geht nicht über Nacht, das wissen wir. Es wird eine gewisse Zeit dauern, bis die Leute sehen: Die von RWE machen ja ganz vernünftige Sachen. Wir haben nun einmal noch einen hohen CO2-Ausstoß. Ich versuche gar nicht erst, das schön zu reden. Aber wir haben auch einen klaren Fahrplan, um in zwei Jahrzehnten klimaneutral zu sein, mit sauberem, sicherem und bezahlbarem Strom.

RWE-Chef für Tempo 130

Die derzeit heiß diskutierte Forderung der Grünen nach einem Tempolimit von 130 auf deutschen Autobahnen findet Schmitz okay. „Ich gebe zu, selbst gerne schnell zu fahren. Aber mit Tempo 130 könnte ich gut leben, zumal es schon heute kaum Autobahnabschnitte ohne Begrenzungen gibt“, sagt der RWE-Chef.

Aber: „Viel CO2 spart man damit zwar nicht. Ein Tempolimit hat eher symbolischen Wert – für Befürworter wie für Gegner.

Bis 2040 soll RWE klimaneutral sein. Doch 20 Jahre bis dahin sind eine lange Zeit.

Schmitz: Das stimmt, aber wir werden schon im Jahr 2030 unsere CO2-Emissionen um 70 Prozent gegenüber dem Jahr 2012 gesenkt haben. Allein zwischen 2012 und 2018 haben wir bereits 60 Millionen Tonnen CO2 reduziert, das entspricht dem Treibhausaustoß von 30 Millionen Autos pro Jahr. Es ist uns schon lange klar, dass erneuerbare Energien die Kohle verdrängen. Wir hatten als Enddatum 2045 im Auge, das soll politisch gewünscht jetzt sieben Jahre früher kommen. Das werden wir schaffen. Mitarbeiter und Aktionäre wissen das.

Nach dem Eon-Deal und kräftig gestiegenem Kurs der RWE-Aktie strotzen Sie vor Kraft. Gleichzeitig rufen Sie nach Hilfe vom Staat für den Braunkohle-Ausstieg. Wie passt das zusammen?

Schmitz: Weil der gesellschaftlich beschlossene Ausstieg schneller kommen soll, als wir ihn selber machen würden, müssen uns zusätzlich entstehende Kosten und entgangene Gewinne ersetzt werden. Die Höhe lässt sich mit Gutachten relativ einfach klären. Uns geht es insbesondere um Entschädigungen für die Maßnahmen, die wir schon in den nächsten Jahren umsetzen sollen. Davon würden rund 3500 Mitarbeiter betroffen sein. Die Tagebaue Inden und Garzweiler sollen planmäßig bis 2030 beziehungsweise 2038 weiterlaufen.

Ausgleich für Rentenabschläge

Beim Steinkohleausstieg war das Anpassungsgeld (APG) ein wichtiges Instrument. Lässt sich das Modell eins zu eins auf die Braunkohle übertragen?

Schmitz: Ab einem Alter von 58 Jahren soll das APG greifen. Glauben Sie aber nicht, dass sich unsere Beschäftigten danach drängen. Im Moment wird darüber diskutiert, wie ein Rentenausgleich erfolgen kann für die Abschläge, die auf unsere Mitarbeiter zukommen. Zuständig für das APG ist am Ende die Bundesregierung, die die Vorschläge der Strukturwandelkommission ja 1:1 umsetzen will.

Wie weit sind Sie denn in den Gesprächen mit der Regierung?

Schmitz: Es hat lange gedauert, bis die Gespräche Fahrt aufgenommen haben. Das ist jetzt der Fall. Es ist wichtig, dass wir eine verlässliche Basis für den Kohleausstieg bekommen, vor allem für unsere Mitarbeiter. Sie wollen wissen, bis wann Maßnahmen greifen und wie viele Stellen abgebaut werden müssen. Unsere Beschäftigten tragen den Ausstieg alle mit, sie wollen nur endlich genau wissen, wo sie dran sind.

Flächen für größere Windparks wie hier im Kreis Paderborn, sind gerade in NRW sehr rar.
Flächen für größere Windparks wie hier im Kreis Paderborn, sind gerade in NRW sehr rar. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Die „neue RWE“ will einer der weltgrößten Stromerzeuger für erneuerbare Energie werden. Aber in Deutschland ist der Ökostrom-Anteil sehr klein. Warum?

Schmitz: Weil die Rahmenbedingungen für Erneuerbare im internationalen Vergleich aktuell nicht gut genug sind. Wir haben jetzt Anlagen mit einer Leistung von 1,5 Gigawatt in Deutschland, das ist deutlich weniger als bei Kohle und Gas. Wenn die Investitionsbedingungen vernünftig sind, würden wir liebend gerne in Deutschland in Erneuerbare und Speicher investieren. Den Markt kennen wir. Aber bis ein Windpark an Land ans Netz geht, vergehen hier derzeit fünf, sechs Jahre wegen Einsprüchen oder Klagen. Die Politik müsste die Genehmigungsverfahren beschleunigen, Bürokratie abbauen und das auf Bundes- und Landesebene, sonst kommen wir hier nicht weiter. Zumal wir ohnehin kaum noch Flächen finden bei den Abstandsregeln, die es in Deutschland gibt...

… und in NRW durch die schwarz-gelbe Landesregierung noch verschärft wurden.

Schmitz: Das ist woanders nicht viel besser. Man kann nicht Klimaschutz wollen, aber immer sagen: bitte nicht hier. Das gilt auch für den Bau der Stromautobahnen von Nord nach Süd. Die brauchen wir, wenn wir weitere Offshore-Windparks vor der Küste bauen wollen.

Die Klimaschutz-Ikone Greta Thunberg hat den Hambacher Forst besucht, ohne dass Sie es vorher wussten. Hätten Sie gerne mit Ihr gesprochen?

Schmitz: Nicht in diesem Rahmen und nicht in diesem Umfeld.

Und unter vier Augen, was würden Sie Ihr sagen?

Schmitz: Unter vier Augen würde ich das natürlich tun. Ich würde ihr zuhören und versuchen, unsere Positionen anzunähern. Das geht, wenn man sich gegenseitig respektiert. Das tue ich.

Greta ist binnen Jahresfrist berühmt geworden und spaltet inzwischen die Gemüter. Wie denken Sie über Greta?

Schmitz: Ich finde es schon beeindruckend, welche Aufmerksamkeit sie in so kurzer Zeit erzielt hat. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass ihre Auftritte sehr vermarktet werden, und das finde ich schade.

Hat die Schülerbewegung Fridays for Future, die auch auf Ihrer Hauptversammlung sehr präsent war, Sie beeinflusst?

Schmitz: Nein, in keiner Weise. Kritische Stimmen hat es auf unseren Hauptversammlungen immer gegeben. Und es stimmt ja auch: Es ist die uneffektivste Form der Energiegewinnung, Rohstoffe einfach zu verbrennen. Deshalb stand das Ziel nachhaltiger Stromerzeugung für mich immer mit ganz oben. Mein Blick auf den Klimawandel hat sich in den vergangenen Jahren tatsächlich verändert. Die Entwicklungen sind viel schneller gekommen, als ich vor zehn Jahren gedacht habe. Wir müssen jetzt konsequenter von fossilen auf erneuerbare Energien umsteigen. Genau das machen wir. Dafür steht die neue RWE.

Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg am Rande des Tagesbaus nahe des Hambacher Forsts. Der Anblick mache sie traurig, sagte sie im August.
Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg am Rande des Tagesbaus nahe des Hambacher Forsts. Der Anblick mache sie traurig, sagte sie im August. © Reuters | WOLFGANG RATTAY

Eine grüne RWE holzt sicher nicht mehr den Hambacher Forst ab, oder?

Schmitz: Der Erhalt ist politisch und gesellschaftlich gewünscht, und auch wir wollen ihn machbar machen. Ich bin optimistisch, denn bei dem von der Kommission empfohlenen Ausstieg benötigen wir weniger Braunkohle für unsere Kraftwerke.

Vor einem Jahr haben Sie noch gesagt, Hambi müsse ohnehin weg, weil die Böschung schon zu steil sei. Seitdem baggern Sie sich immer weiter heran. Wollen Sie Fakten schaffen?

Schmitz: Nein, was die Kohlegegner behaupten, ist Unsinn. Laut geologischem Gutachten können wir bis auf 50 Meter an den Forst baggern, ohne seinen Wasserspeicher zu gefährden. Technisch ist der Erhalt lösbar, eine andere Frage ist, ob es den Aufwand wert ist. Was ich zur Sinnhaftigkeit des Forst-Erhalts gesagt habe, gilt weiter: Es ist deutlich komplizierter ihn stehen zu lassen, als ihn nicht stehen zu lassen. Wir brauchen dafür eine ganz neue Braunkohleplanung, die zehn bis 15 Jahre dauert und sehr viel Geld kostet. Wenn das so gewünscht ist, machen wir es.

Ihr Megadeal mit Eon steht: Innogy geht mit Netzen und Vertrieb zu Eon, Sie erhalten die Ökostromsparten – und reichlich Eon-Aktien. Sie haben mal gesagt, Sie hätten schon die Dollarzeichen in den Augen. Immer noch?

Schmitz (lacht): Die ersten knapp 1,7 Prozent an Eon haben wir ja schon verkauft ...

… und planen weitere Verkäufe?

Schmitz: Absehbar nicht. Die Finanzbeteiligung eröffnet uns mittelfristig zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten für größere Projekte, die auf unsere Strategie einzahlen. Eon hat eine sehr gute Dividende versprochen, an deren Auszahlung ich nicht zweifle.

Profitieren Sie als Großaktionär von Eon mehr als die Innogy-Beschäftigten, von denen einige ihre Jobs verlieren werden?

RWE-Chef Schmitz im Interview, im Vordergrund WAZ-Wirtschaftsreporter Ulf Meinke.
RWE-Chef Schmitz im Interview, im Vordergrund WAZ-Wirtschaftsreporter Ulf Meinke. © FUNKE Foto Services | Michael Gottschalk

Schmitz: Die Transaktion bietet auch den Innogy-Beschäftigten eine gute Perspektive. Innogy und Eon haben zusammen sicher die besseren Wachstumschancen. Nach meiner Einschätzung wird das neue Unternehmen nach dem angekündigten Abbau von Doppelstrukturen schlagkräftiger sein als zuvor beide für sich.

Wie sehr freuen Sie sich darauf, als neuer Eon-Aufsichtsrat Johannes Teyssen auf die Finger zu schauen? Und wie sehr freut sich Teyssen, von Ihnen kontrolliert zu werden?

Schmitz: Die erste Sitzung gab es ja bereits. Wir kennen uns schon lange und gehen immer freundlich, sachlich und respektvoll miteinander um. Jeder weiß, was in welcher Rolle von ihm erwartet wird.

In Essen als Europas Energie-Hauptstadt verändert sich viel durch die Aufteilung von Innogy, auch was die Gebäude angeht. Sie bauen Ihren neuen Campus im nicht eben noblen Essener Nordviertel. Ein Signal der Erdung?

Schmitz: Unser Handelshaus ist ja schon lange an der Altenessener Straße, und die Kollegen fühlen sich dort sehr wohl. Ich mag es tatsächlich lieber etwas kleiner und mit kurzen Wegen. Das schafft eine gute Arbeitsatmosphäre. Über 3000 Mitarbeiter werden hier künftig arbeiten. Sie freuen sich schon auf den Umzug.

Sie selbst haben einmal gesagt, Ihre Karriere bei RWE sei eigentlich schon vorbei gewesen. Jetzt sind Sie es, der den Traditionskonzern noch einmal komplett umbaut. Wie fühlt sich das an?

Schmitz: Sehr gut, es macht mir wirklich Freude, diese spannende Phase mitzugestalten. Ich glaube, das sieht man mir auch an.